Ein Vorschlag für einen solidarischen Umgang mit Sexarbeiter*innen

Die Queerfeminismus AG der Berliner Ortsgruppe der IL fordert Solidarität mit Sexarbeiter*innen und legt ihre Betrachtung zum Verhältnis von Feminismus und Sexarbeit dar. Für sie ist nicht Sexarbeit das Problem, sondern die Bedingungen, unter denen sie verrichtet wird.

Im Dezember letzten Jahres veröffentlichte die Interventionistische Linke Rhein-Neckar den monatlich erscheinenden Podcast »ILTIS in Bermudas«. In diesem ging es diesmal um eine Tagung des feministischen Bündnisses Heidelberg mit dem Thema »Kritik der Prostitution«. Der Podcast und die Tagung zeichneten dabei eine klare Antihaltung zu Sexarbeit im Tenor von »Es gibt in der Prostitution keine Freiwilligkeit«. Wir, die Queerfeminismus AG der Berliner Ortsgruppe der Interventionistischen Linken, kritisieren die Perspektiven des Podcast und legen im Folgenden unsere Betrachtung zum Verhältnis von Feminismus und Sexarbeit dar.

Sexarbeit in Abgrenzung zum Prostitutionsbegriff

Wir wählen den Begriff Sexarbeit in Abgrenzung zu Prostitution. Prostitution ist gesellschaftlich mit dem Bild unfreiwilliger, abgewerteter Arbeit verbunden. Diese werde von Frauen ausgeführt, die aufgrund ihres sozioökonomischen Status keine andere Wahl hätten, als durch Prostitution ihren Unterhalt zu verdienen. Dieser Begriff geht ebenfalls mit dem Bild von Frauen einher, die sexualisierte Gewalt erfahren haben und nun ihr Leid zum Beruf machen. Prostitution sei zudem aufgrund der Körperlichkeit der Arbeit nicht mit anderen Berufen vergleichbar. Gleichzeitig ist hierbei der Ausgangspunkt eine heteronormative Gesellschaftsordnung. Kritik an Sexarbeit klammert häufig queere Sexarbeit oder jene Sexarbeit, bei der eine Frau einen Mann bezahlt, aus und verfestigt damit heteronormative Gesellschaftsmodelle. Wir möchten mit diesem Text die häufig schlechten Bedingungen von Sexarbeit nicht verschleiern. Die Art der Betrachtung von Sexarbeit in manchen feministischen Diskursen ist uns allerdings zu einseitig und entmächtigend.

So wie es mit fast allem ist, gibt es nicht die eine Form von Sexarbeit. Wir möchten den Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, nicht ihren freien Willen in Abrede stellen. Deswegen benutzen wir die von Teilen der Ausführenden gewählte Bezeichnung »Sexarbeit«. Dieser Begriff soll helfen, die negativen Konnotationen von Dienstleistungen im Bereich der Sexualität abzubauen und die Tätigkeiten in eine Reihe mit anderen Dienstleistungsbereichen zu stellen. Dabei schließt der Begriff für uns queere Sexarbeit oder die große Bandbreite von Handlungen, die vom »klassischen« Bild des sexuellen Verkehrs bis zu emotionalen Gesprächen und Kuscheln reichen, mit ein. Gleichzeitig kritisieren wir die Ansicht, dass eine Frau durch Sexarbeit ihren Körper verkaufen würde. Der Unterschied zu anderen Berufen, die ebenfalls körperlicher Art sind (Bauarbeiten, Physiotherapie, Pflege, das Arbeiten für längere Zeit im Büro), erschließt sich uns nicht.

Sexarbeit unter patriarchalen und kapitalistischen Bedingungen

Der These des Podcast, patriarchale Verhältnisse reproduzieren sich im Bordell, können wir zustimmen. Allerdings ist dies kein Alleinstellungsmerkmal von Sexarbeit, sondern lediglich Ausdruck der gesellschaftlichen Verhältnisse. Wenn wir von patriarchalen Herrschaftssystemen ausgehen, dann betreffen diese immer die gesamte Gesellschaft und nicht nur ein Teil dieser. Die Bedingungen, unter denen viele Sexarbeiter*innen arbeiten müssen, sind in vielerlei Hinsicht schlecht und ausbaufähig. Ebenso wie in anderen ausbeutenden Arbeitsverhältnissen ist davon auszugehen, dass die meisten Personen in dem Bereich arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Besonders dabei ist, dass der Bereich keine offiziell anerkannte Ausbildung benötigt und damit leichter zugänglich ist. Dabei ist es bei Sexarbeit wie bei anderen weiblich-konnotierten Tätigkeiten: Sie wird unsichtbar gemacht. Und zwar so sehr, dass Sexarbeiter*innen keine Lobby haben und auch sonst in Arbeiter*innenkämpfen häufig außen vor gelassen werden.

Sexarbeiter*innen sind häufiger Diskriminierung von verschiedenen Seiten ausgesetzt. Der Staat erlässt ein »Prostituiertenschutzgesetz«, welches seinem Namen in keiner Weise gerecht wird. Sexarbeiter*innen kritisierten u.a. das damit verbundene Zwangsouting, mangelnde anonyme Beratungsmöglichkeiten und die zu hohen Auflagen für Kleinbetriebe. Zudem müssen sich Arbeiter*innen regelmäßigen »Gesundheitsberatungen« unterziehen. Zur Folge hat das Gesetz eine aktuell hohe Illegalitätsrate unter den Arbeiter*innen. In anderen Ländern, wie z.B. in Schweden, hat diese Art der Stigmatisierung zu einer kompletten Illegalisierung des Arbeitsbereiches geführt (Sexkaufverbot). Die Folgen einer Illegalisierung von Sexarbeit hat keine Verbesserung für Sexarbeiter*innen zur Folge, sondern drängt diese in die organisierte Kriminalität und erhöht für sie die Wahrscheinlichkeit, Opfer von Gewalt zu werden. Ein Ursprung der Diskriminierung von Sexarbeiter*innen ist aus unserer Sicht ein mehr oder weniger subtiler patriarchaler Druck, einer Frau vorschreiben zu können, mit wie vielen Menschen (am besten mit nur einem) und unter welchen Bedingungen (unentgeltlich mit dem Ehemann) sie Sex haben soll. Es ist kein Zufall, dass in unserer Gesellschaft einige der am häufigsten genutzten Schimpfwörter, wie »Hure(nsohn)« oder »Schlampe«, gleichzeitig mit der Diffamierung von Sexarbeiter*innen einhergehen, als auch, dass konservative Politiken sich für die Kleinfamilie als Keimzelle des Staates und für das Verbot von Sexarbeit einsetzen. Die starke negative Stigmatisierung reicht bis in die feministische und linke Bewegung.

Unser Feminismus und unsere Solidarität

Für uns ist nicht Sexarbeit das Problem, sondern die Bedingungen, unter denen sie verrichtet wird. Ein wichtiger feministischer Grundsatz für uns ist, Personen, die von geschlechtsbezogener Diskriminierung betroffen sind, als selbstbestimmte Subjekte anzuerkennen und sie in ihren Anliegen ernst zu nehmen und zu unterstützen. Wir wollen mehr über die vielseitigen Arbeitsrealitäten lernen und stellen uns gegen eine patriarchale Sexualmoral. Mit unserer Auffassung von Feminismus ist es nicht vereinbar, Frauen vorzuschreiben, wie sie ihr Geld verdienen dürfen, wie sie zu leben haben und wie sie Sex haben dürfen. Wir arbeiten im Rahmen von Bündnissen (bspw. in dem »What-The-Fuck?!«-Bündnis mit dem Netzwerk »Sexarbeit ist Arbeit«) mit Sexarbeiter*innen zusammen. Wir sehen unsere Rolle darin, sie in ihren Kämpfen solidarisch zu unterstützen. In der Anerkennung der Selbstbestimmung wie auch in der Unterstützung ihrer Kämpfe sehen wir für uns Anknüpfungspunkte an unsere feministische und antikapitalistische Arbeit. Die Solidarität und die Unterstützung aller Sexarbeiter*innen und deren Kämpfe ist für uns nicht verhandelbar. Unsere Solidarität mit Sexarbeiter*innen ist ein Kampf gegen das Patriarchat, konservative Rollenbilder und ausbeuterische Arbeitsverhältnisse.

Autor*innen: Die Queerfeminismus AG ist innerhalb der Interventionistischen Linken organisiert und ist unter anderem im »What the Fuck?!«-Bündnis aktiv.

Das Bild: von Craig Whitehead zeigt einen roten Regenschirm. Dieser ist ein Symbol der Internationalen Hurenbewegung.