Zum Krieg in Israel/Palästina


Eine Positionierung der IL Berlin (German/English)

Die Interventionistische Linke Berlin positioniert sich in diesem Beitrag zu den Angriffen der Hamas am 7. Oktober 2023 und den darauffolgenden Bombardements in Gaza. German/English

English translation below

Wir gedenken der am 7. Oktober 2023 durch die Hamas und mit ihr verbündete Gruppen wie dem Islamischen Jihad und der PFLP ermordeten, verletzten und entführten Menschen. Die Massaker trafen komplette jüdische Familien, jüdische Israelis auf dem Weg zur Arbeit und bei einem Festival, Kleinkinder, Menschen, die sich schützend vor ihre Kibbuzim oder Familien stellten, Aktivist*innen, die sich jahrelang für Frieden und gegen die Besatzung einsetzten, arabisch-israelische Sanitäter*innen, nepalesische Austauschstudent*innen und Arbeitsmigrant*innen aus Thailand. Die Angreifer mordeten, verstümmelten, folterten und vergewaltigten. Etwa 200 Personen sind immer noch in Geiselhaft. Es war ein antisemitischer Angriff, dessen erklärtes Ziel es war, jüdisches Leben als solches auszulöschen. Für diese Taten gibt es keine Rechtfertigung. Sie stehen dem, was wir wollen und wofür wir kämpfen, diametral entgegen. Wer das als Teil des legitimen Widerstands gegen eine unzweifelhaft bestehende israelische Unterdrückungs- und Besatzungspolitik rechtfertigt, ist für uns kein Partner im Kampf für eine freie und solidarische Gesellschaft.

Wir gedenken der seit dem 07. Oktober 2023 durch israelische Luft- und Artillerieangriffe und ihre Folgen in Gaza getöteten Menschen. Hier wurden ganze palästinensische Familien ausgelöscht und unter anderem Flüchtende, Verschütteten zur Hilfe Kommende, Mitarbeiter*innen von Hilfsorganisationen, Journalist*innen, Ärzt*innen, Fahrer*innen von Krankenwagen und in UN-Institutionen und Schulen Schutzsuchende getötet. Wer mit Bomben und Raketen aus der Luft oder aus Artilleriegeschützen ein so eng bewohntes Gebiet wie Gaza unter Feuer nimmt, nimmt diese Menschen explizit ins Ziel, trifft weitgehend unterschiedslos alle dort Lebenden. Bei allem nachvollziehbaren Wunsch, die Hamas und ihre direkten Verbündeten zu bekämpfen, kann es auch für diese Verbrechen keine Rechtfertigung geben, ebenso wie es keine Legitimation dafür geben kann, eine komplette Bevölkerung abzuriegeln und ihnen zeitweise oder ganz Wasser, Nahrung und Strom zu entziehen. Die Rhetorik der israelischen Regierung gegenüber der Bevölkerung in Gaza ist menschenverachtend, ähnlich wie die Ignoranz gegenüber dem Leid in Gaza in Teilen der deutschen Debatten, auch bei manchen Linken. Auch das steht dem, was wir wollen und wofür wir kämpfen, diametral entgegen.

Weder der Angriff und die Massaker der Hamas und ihrer Verbündeten noch die Abriegelung Gazas und die militärischen Angriffe dort geschehen außerhalb des Kontexts eines jahrzehntelangen Konflikts. Zu diesem Kontext gehören die andauernde Belagerung des Gazastreifens, die systematische Diskriminierung von Palästinenser*innen und die völkerrechtswidrige Besatzung, ebenso wie die beständige Bedrohung jüdischen Lebens durch Raketen, Messerattentate und andere Angriffe. Dieser Kontext rechtfertigt jedoch nichts von den oben beschriebenen Verbrechen in Israel und Gaza. Das eine kann das andere nicht rechtfertigen und umgekehrt. Und für uns ist ebenso klar: Es dürfen keine Unterschiede in der Wertigkeit von Menschenleben gemacht werden. Wer den Angriff der Hamas feiert, unterscheidet. Wer es legitim findet, zwei Millionen Menschen kollektiv zu bestrafen und tausende Tote durch Luftschläge in Gaza achselzuckend hinnimmt, unterscheidet. Wer keine Empathie für das Leid der anderen Menschen aufbringen kann, unterscheidet. Es muss unsere Aufgabe sein, diesen Rechtfertigungen und dieser Empathielosigkeit entgegenzustehen und dafür zu sorgen, dass ein Ereignis nicht das andere überdeckt, Opfer dieser Verbrechen vergessen werden oder Unterscheidungen in der Wertigkeit von Menschenleben gemacht werden.

Wir haben die schrecklichen Bilder gesehen. Unsere Gedanken, unser Mitgefühl und unsere Solidarität gelten den Familien und Freund*innen der Ermordeten und Entführten. Sie gelten denen, die sich in Geiselhaft der Hamas und ihrer Verbündeten befinden, den unzähligen Verletzten, denen, die kaum noch Zugang zu medizinischer Versorgung, Nahrung und Wasser haben, denen die aus ihren Wohnungen flüchten mussten und müssen oder das nicht können und denen, die vor Raketenangriffen in Bunkern Schutz suchen oder ihnen ohne jeden Schutz ausgesetzt sind.

Nichts legitimiert die verstärkten Bedrohungen und Angriffe gegen Jüd*innen in Deutschland in Folge der Ereignisse - oft während sie gleichzeitig die Trauer oder Sorge um Freunde und Familienangehörige bearbeiten müssen. Jüdisches Leben in Deutschland wurde schon vorher bedroht, marginalisiert und verachtet. Es liegt auch an uns als Gruppe, antisemitischen Bedrohungen und Angriffen entgegenzustehen und hier Solidarität zu zeigen. Die deutsche Regierung inszeniert einen Kampf gegen Antisemitismus, der vor allen Dingen mit dem Finger auf Andere zeigt, anstatt konsequent in den eigenen Reihen, so z.B. im Fall Aiwanger, dagegen anzukämpfen. Wie der Anschlag in Halle gezeigt hat, versagt er zudem im konkreten Schutz jüdischen Lebens.

Nichts legitimiert, dass alle Solidaritätsdemonstrationen hier lebender Palästinenser*innen verboten und muslimische Menschen unter Generalverdacht gestellt werden. Ein öffentlicher Ausdruck der Trauer um die Opfer in Gaza sowie eine politische Kritik an den Angriffen des israelischen Militärs und an den gerade massiv zunehmenden Angriffen von Siedler*innen auf Palästinenser*innen ist legitim und muss möglich sein. Wir müssen sowohl klar gegen antisemitische Äußerungen und Angriffe auch im Kontext dieser Demonstrationen Position beziehen, als auch uns jeder rassistischen Instrumentalisierung der Ereignisse entgegenstellen. Weder sind Palästinenser*innen mit der Hamas, noch Jüd*innen mit dem Staat Israel gleichzusetzen.

Als radikale Linke im Land der Täter*innen der Shoah gibt es jetzt viel, was wir falsch machen können. Deshalb haben auch wir in der Vergangenheit zu oft nichts getan. Nun ist es aber explizit richtig, unsere Trauer um die Opfer in Israel und Palästina zum Ausdruck bringen. Wir wollen uns der Entmenschlichung und der Abwertung von menschlichem Leben entgegenstellen, egal von wem sie ausgeht und in welcher Form sie daherkommt. Beispiele von jüdisch-arabischer Solidarität in Israel trotz der extrem angespannten Situation gerade machen uns Mut. Wir stellen uns an die Seite derer, die den Kampf und die Hoffnung auf ein besseres Leben in Frieden, Gleichheit und Selbstbestimmung für alle in Israel/Palästina nicht aufgeben wollen – so realitätsfremd das gerade auch erscheinen mag.

On the war in Israel/Palestine

In this article, Interventionistische Linke Berlin takes a position on the attacks by Hamas on October 7, 2023 and the subsequent bombardments in Gaza.

We honor the people murdered, injured and kidnapped on October 7, 2023 by Hamas and its allied groups such as Islamic Jihad and the PFLP. The massacres hit complete Jewish families, Jewish Israelis on their way to work and at a festival, young children, people who stood protectively in front of their kibbutzim or families, activists who worked for years for peace and against the occupation, Arab-Israeli medics, Nepalese exchange students and migrant workers from Thailand. The attackers murdered, maimed, tortured and raped. About 200 people are still being held hostage. It was an antisemitic attack whose stated goal was to eradicate Jewish life as such. There is no justification for these acts. They are diametrically opposed to what we want and what we are fighting for. Whoever justifies this as part of the legitimate resistance against an undoubtedly existing Israeli policy of oppression and occupation can not be a partner for us in the struggle for a free and united society.

We honor the people killed by Israeli air and artillery attacks and their impacts in Gaza since 07 October 2023. Here, entire Palestinian families have been wiped out and, among others, refugees, people who came to the aid of those buried under rubble, aid workers, journalists, doctors, ambulance drivers and people seeking protection in UN institutions and schools have been killed. Those who use bombs and rockets from the air or from artillery shells to fire on such a densely populated area as Gaza are explicitly targeting these people, striking all those living there indiscriminately. For all the understandable desire to fight Hamas and its direct allies, there can be no justification for these crimes either, just as there can be no legitimacy for sealing off an entire population and depriving them temporarily or entirely of water, food, and electricity. The rhetoric of the Israeli government towards the population in Gaza is inhumane, similar to the ignorance towards the suffering in Gaza in parts of the German debates, even among some leftists. This, too, is diametrically opposed to what we want and what we are fighting for.

Neither the attack and massacres by Hamas and its allies, nor the closure of Gaza and the military assaults there, occur outside the context of a decades-long conflict. This context includes the ongoing siege of Gaza, the systematic discrimination against Palestinians and the occupation in violation of international law, as well as the constant threat to Jewish life from rockets, knife attacks and other assaults. However, this context does not justify any of the crimes in Israel and Gaza described above. One cannot justify the other, and vice versa. And for us it is equally clear: no distinctions should be made in the value of human lives. Those who celebrate the Hamas attack make a distinction. Those who find it legitimate to collectively punish two million people and shrug off thousands of deaths from air strikes in Gaza are discriminating. Those who cannot muster empathy for the suffering of other people are discriminating. It must be our task to oppose these justifications and this lack of empathy and to ensure that one event does not eclipse the other, that victims of these crimes are forgotten or that distinctions are made in the value of human lives.

We have seen the terrible images. Our thoughts, our sympathy and our solidarity are with the families and friends of the murdered and kidnapped. They are for those who are held hostage by Hamas and its allies, for the countless injured, for those who barely have access to medical care, food and water, for those who have had to flee their homes or are unable to do so, and for those who seek shelter from rocket attacks in bunkers or are exposed to them without any protection.

Nothing legitimizes the increased threats and attacks against Jews in Germany in the aftermath of the events - often while at the same time having to deal with grief or concern for friends and family members. Jewish life in Germany has been threatened, marginalized and despised before. It is also up to us as an organization to stand up to antisemitic threats and attacks and show solidarity here. The German government is staging a fight against antisemitism, which above all points the finger at others, instead of consistently fighting against it in its own ranks, as in the case of the Bavarian politician Hubert Aiwanger, for example. As the 2019 attack in Halle has shown, it also fails to provide protection for Jewish life.

Nothing legitimizes that all solidarity demonstrations of Palestinians living here are banned and Muslim people are put under general suspicion. A public expression of mourning for the victims in Gaza as well as a political criticism of the attacks of the Israeli military and the currently massively increasing attacks of settlers on Palestinians is legitimate and must be possible. We have to take a clear position against antisemitic statements and attacks within these demonstrations, as well as oppose any racist instrumentalization of the events. Neither Palestinians are to be equated with Hamas, nor Jews with the state of Israel.

As a radical left in the land of the perpetrators of the Shoah, there is much that we can do wrong now. That is why too often in the past we have done nothing. But now it is explicitly right to express our grief for the victims in Israel and Palestine. We want to oppose dehumanization and the devaluation of human life, no matter who it comes from and in what form it comes. We are encouraged by examples of Jewish-Arab solidarity in Israel despite the extremely tense situation right now. We stand with those who do not want to give up the struggle and hope for a better life in peace, equality and self-determination for all in Israel/Palestine - as unrealistic as this may seem at the moment.

Interventionistische Linke Berlin, October 2023

Autor*in: Interventionistische Linke Berlin, Oktober 2023

Bild: Olive illustration from Traité des Arbres et Ar

Dieser Text ist das Diskussionsergebnis einer Ortsgruppe der iL. Wir wünschen uns hier auf dem Debattenblog einen konstruktiven, kritischen Austausch über linke Positionierungen und Haltungen zu dem komplexen (und lange nicht erschöpften) Thema des Nahen Osten. Ein Ziel unserer Debatte könnte sein, andere Stimmen, die in Kriegszeiten in den Hintergrund treten, hörbar zu machen. Wir sind neugierig und gespannt auf Eure Beiträge.