Ihr kriegt uns nicht!


Ein Debattenbeitrag der iL Frankfurt zu Kriegsregime und Autoritarismus

Die IL Frankfurt führt in diesem Text ihre These darüber aus, dass wir zunehmend in einem Kriegsregime als neuem Modus der Herrschaft leben. Kämpfe von Nationalstaaten um globale Machtverhältnisse und Ressourcen werden kriegerisch gelöst, das muss uns alternativlos erscheinen und eine kriegstüchtige Gesellschaft soll hergestellt werden. Vor dem Hintergrund der desaströsen sozialen, ökonomischen, ökologischen und politisch Folgen des Kriegsregimes für alle von uns, plädieren Sie für Antimilitarismus als verbindendes Element linker Bewegungen und Kämpfe.


Als Israel am 13. Juni 2025 den Iran angriff, trafen israelische Bomben das Evin Gefängnis in Teheran und töteten vermutlich über 70 Gefangene des iranischen Regimes. Unmittelbar nach den israelischen Angriffen ging das iranische Regime mit einer Repressionswelle gegen Kritiker*innen vor. Was auch immer uns also diejenigen erzählen, die von Kriegen profitieren und ihre Machtbereiche ausweiten wollen: Kriege werden nie im Sinne von Menschenrechten oder Befreiung geführt. Im Gegenteil: Krieg ist immer auch ein Krieg gegen die sozialen Kämpfe, die Bewegungen von unten. Ob in den Eskalationen der Kriege und der Gewalt im Iran, in Gaza, in der Ukraine oder in Syrien: die internationale Ordnung nach dem Ende des zweiten Weltkriegs bricht gerade zusammen und niemand scheint eine Idee für ihre Stabilisierung zu haben, selbst die Herrschenden nicht. Sie verfolgen ihre Interessen weder durch Soft Power oder Verhandlungen noch im Rahmen einer internationalen Ordnung unter US-Hegemonie. Sondern mit Gewalt setzen sie sich durch – zunehmend ohne rhetorische Verschleierung, wie dies noch um die Jahrtausendwende geschah.

Länder wie Iran, wie Palästina und die Ukraine werden zu Schlachtfeldern, auf denen der Kampf um ökonomische Interessen und um die internationale Ordnung geführt wird. Aber auch in Ländern, die nicht akut vom Krieg betroffen sind, schreibt sich dessen Logik fort: in Prozessen einer gesamtgesellschaftlichen Militarisierung. In Deutschland wird seit der »Zeitenwende« die Begrenzung der Rüstungsausgaben aufgehoben, die Debatte um die Wehrpflicht angeheizt, auf Wahlplakaten werden Sicherheit und Aufrüstung versprochen, Unternehmen wie VW setzen wieder vermehrt auf Kriegsgerät, die Aktien von Rheinmetall & Co. Boomen. Und der Diskurs wird autoritärer: Von Individuen wird »Kriegstüchtigkeit« verlangt, jeglicher Widerspruch als »naiv« diffamiert, Veranstaltungen werden abgesagt, Demos und Sprechchöre als antisemitisch gebrandmarkt und verboten. Der Debattenkorridor verengt sich und Zwischentöne sind kaum mehr hörbar. So oder so ähnlich wird der Krieg auch anderswo vorbereitet. So oder so ähnlich wird auch anderswo für Ordnung und Disziplin an der Heimatfront gesorgt. Einmal mehr verknüpft sich, was in unseren Straßen, Stadtteilen, Dörfern und Metropolen passiert mit den Dynamiken einer Globalisierung, die nun nicht mehr die Sprache der »Einen Welt« des Freihandels und der demokratischen Eintracht, sondern die des Krieges und der Gewalt spricht.

Wir stellen daher eine Hypothese auf über die Entfaltung eines Kriegsregimes. Mit dem Begriff des Regimes meinen wir dabei keine spezifische Form der Regierung in Form einer Militärjunta wie einst in Lateinamerika, die sich in einem einzelnen Nationalstaat installieren würde. Sondern wir meinen damit einen neuen Modus der Herrschaft und der nationalen und globalen Krisenbearbeitung, der durch das gemeinsame Agieren staatlicher und nicht- staatlicher Akteure zustande kommt. Dieser Modus zentriert sich um das Recht des Stärkeren. Die Kriege dienen zum einen der Sicherung von knapper werdenden Ressourcen sowie der Neuordnung globaler Handelsrouten, Lieferketten und neokolonialer Machtverhältnisse. Zum anderen bedeutet Krieg stets Homogenisierung und Disziplin im Inneren, das Niedermähen sozialer Widersprüche und Kämpfe unter dem Banner nationaler Einheit.

Das Kriegsregime: There is no alternative

Das Kriegsregime verbindet die Geografiendie Schlachtfelder aufweisen mit jenen, die keines aufweisen. Auch hierzulande soll eine ganze Volkswirtschaft, eine Gesellschaft kriegstüchtig gemacht werden – materiell und diskursiv. Der sozialpsychologische Treiber dieser Entwicklung ist die geschürte Angst vor dem Bösen, das hinter den Mauern lauert, die unsere Zivilisation trennen von der barbarischen Welt. Der russische Autoritarismus, der islamistische Fundamentalismus der Hamas dienen als das Symbol des wirklichen Übels, demgegenüber die eigene politische und gesellschaftliche Ordnung als Inbegriff der Menschlichkeit, der Freiheit und des Fortschritts erscheinen soll.

In Anbetracht der notwendigen Verteidigung gegen dieses Übel, sollen wir uns einreihen und glauben, die zahllosen Krisenherde, die Ungleichheiten und die Klimakatastrophe, die ihren Ursprung in der kapitalistischen Produktionsweise finden, seien zweitrangig geworden. Den Gürtel enger schnallen, die Abschaffung des Achtstundentags hinnehmen, die Inflation schlucken und dulden, dass Milliarden in Rüstung, aber nicht in das Bildungs- oder Gesundheitssystem investiert werden? All das muss wohl sein, wenn »der Russe« bald wieder vor der Tür steht und wir gegen ihn zusammenhalten müssen. Das Kriegsregime produziert so eine neue Version des neoliberalen Dogmas »There is no alternative«. Indem die äußere Bedrohung permanent beschworen wird, wird jeder Einwand gegen steigende Rüstungshaushalte, sinkende Löhne oder ausgedünnte Sozialleistungen als naiv, illoyal oder gefährlich gebrandmarkt. Und auch realpolitische Alternativen – Abrüstung oder die Suche nach diplomatischen Lösungen – verschwinden so nach und nach aus dem öffentlichen Diskurs.

Die Rhetorik der Alternativlosigkeit zementiert nicht nur das Kriegsregime selbst, sondern auch den neoliberalen Kern seiner Politik. Austerität und Militarisierung werden zur einzigen denkbaren Strategie für Sicherheit und Fortschritt erhoben. Durch eine zunehme Konversion von ziviler in militärische Produktion sollen deutsche Arbeitsplätze und Profite gesichert werden, wenn in Zukunft statt Zugwaggons wieder Panzer die Fabrikhallen verlassen. Um der Rezession also zu entkommen, wird gezielt auf den militärischen Wirtschaftszweig gesetzt. Einmal mehr profitiert die deutsche Wirtschaft vom Sterben und Töten. Die bellizistische Sparpolitik steht dabei erst am Anfang. Die Haushaltskürzungen unter dem Deckmantel ständig steigender Militärausgaben werden spürbar in alle Bereiche unserer Reproduktionskämpfe hineinragen – von Sozialhilfe über Gesundheit bis zur Bildung. Die Milliarden aus dem Infrastrukturpaket werden kaum dazu dienen, die Lücken zu schließen, die der neoliberale Sparkurs gerissen hat. Vielmehr fließt das Geld vor allem in die Modernisierung und Instandhaltung jener Verkehrs- und Energieanlagen, die als kriegsstrategisch wichtig gelten.

Das Kriegsregime als Wegbereiter autoritärer Politik

Die Rhetorik des Krieges kennt nur eine binäre und rassistisch kodierte Freund-Feind-Logik, die im Gegenüber und im Außen nur die Bedrohung und das absolut Andere der eigenen Position sieht mit dem jede Verhandlung oder Kompromiss nicht mehr zu machen ist. Die rassistische Entmenschlichung des Gegners war immer Grundvoraussetzung dafür, Kriege oder sogar einen Völkermord wie in Gaza durchführen und legitimieren zu können. Der Feind steht dabei nicht nur im Außen, sondern ist längst in der eigenen Gesellschaft angekommen. Betrachtet man jetzt z.B. Dobrindts Forderungen nach effektiveren Waffen für die Bundespolizei, die hochgerüsteten Außengrenzen und paramilitärische Akteure wie Frontex, so zeigt sich erneut, dass die »Anderen« mit militärischen Mitteln ferngehalten, prekarisiert und ihre Rechte weiter ausgehöhlt werden sollen. Zugleich sind migrantisierte Personen immer das »Testfeld« für autoritäre Praktiken, die im nächsten Schritt verallgemeinert werden sollen: Besonders deutlich zeigte sich dies im Herbst 2023, als sich die Repressionen und Eingriffe der Ampel-Regierung gegen die palästinasolidarische Bewegung richteten, die sich mit Debatten um importierten Antisemitismus und einer rassistischen Stimmungsmache für Abschiebungen »im großen Stil« verbanden. Daraus resultierten massive Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie der Zugänglichkeit von Staatsangehörigkeit.

Diese militärische Logik des Denkens in Lagern, die keine Zwischentöne zulässt und den Feind als das absolut Böse präsentiert und damit den Korridor des Sagbaren verengt, das Verbot von Demonstrationen, die Aufrüstung von Polizeikräften und das Entziehen von Mitteln für kritische, soziale und/oder linke Projekte – das alles sind die Embleme eines zusehends autoritär agierenden Staats. Diese Dynamik beeinflusst Kämpfe um Bewegungsfreiheit und Migration zwar unmittelbar und zuerst, aber nicht allein; denn sie führt auch dazu, dass das politische Feld für emanzipatorische Forderungen insgesamt undurchlässiger wird. Der Aushandlungsprozess zwischen kritischer Zivilgesellschaft und denjenigen Teilen des Staats, auf den wir jahrelang als Mittel zur Durchsetzung emanzipativer Politik gesetzt haben, verschiebt sich nach rechts oder findet nicht mehr statt.

Das Kriegsregime und die gesellschaftliche Faschisierung

Das Lagerdenken in absoluten Widersprüchen, die zunehmende Gewöhnung an Gewalt als normales Mittel politischer Durchsetzung, die Vorstellung, das Böse müsse mit Gewalt ausgemerzt werden, die aktive Unterstützung von Genozid, das Einstampfen von Opposition und das Verengen von Debattenräumen, die Gewöhnung an autoritäres Krisenmanagement und die Eliminierung demokratischer Prinzipien: das alles begünstigt eine weitere Entwicklung, die unsere Kämpfe bereits prägt und weiter prägen wird: die Faschisierung. Diese geht, wie Raul Zelik richtigerweise schreibt, nicht nur von rechten Kräften aus, sondern findet in der liberalen Ordnung ihren Nährboden.

In Deutschland zeigt sich das insbesondere am Ausbau der staatlichen Gewaltapparate – Bundeswehr und Polizei –, die im Zuge der Debatten um die »Wehrhaftigkeit« der Demokratie nicht nur symbolisch, sondern auch materiell massiv aufgerüstet werden. Und das trotz zahlreicher, durch antifaschistische Recherchen ans Licht gebrachter rechter bis rechtsextremer Netzwerke in genau diesen Institutionen. Mit Blick auf die nächste Wahl hat eine gesichert rechtsextreme Partei die Möglichkeit, die Macht in einem bis dahin vermutlich massiv hochgerüsteten Staat zu übernehmen. Mit der Wiedereinführung des Veteranentages und der Aufwertung der Tradition der Bundeswehr wird bereits jetzt eine erinnerungspolitische Verschiebung vorgenommen, mit der die deutsche Militärtradition rehabilitiert wird und mehr Menschen zu »Reservist*innen« gemacht werden sollen. Deutschland soll wieder militärische Führungsmacht in Europa werden und die Deutsche stolz auf ihr Land und seine Geschichte sein.

Auch in dem fundamentalen Angriff, den das Kriegsregime auf feministische Kämpfe darstellt, verbindet sich dessen autoritäre mit der faschistischen Dynamik. Im Mittelpunkt steht dabei das wiederkehrende Idealbild der soldatischen Männlichkeit, und die Betonung von Härte und Disziplin. Damit die Maschinerie im Inneren funktioniert, muss an der sozialstaatslosen Heimatfront Ruhe und Ordnung herrschen. Dafür wird die traditionelle Kleinfamilie gestärkt und Geschlechterrollen re-traditionalisiert, feministische Errungenschaften werden infrage gestellt. Gleichermaßen ist die Logik des Krieges auch immer eine Logik der patriarchalen Inbesitznahme. Die Körper von FLINTA* werden zur expliziten Zielscheibe von Gewalt. Vergewaltigungen sind immer schon Kriegswaffe gewesen.

Auch wenn die Bundeswehr heute mit Diversität wirbt, ist der Krieg doch ein männliches Geschäft und wird so auch weiterhin Männer hervorbringen, die alles »Schwache« in sich und um sie herum vernichten wollen. Viel ist zwar in den letzten Jahren darüber geschrieben und diskutiert worden, dass die faschistischen Projekte der Gegenwart im Vergleich zu ihren historischen Vorbildern keiner futuristischen Utopie hinterhereifern und sie den kriegslüsternen, imperialistischen Anspruch vermissen lassen, der die Vernichtungsfeldzüge des 20. Jahrhunderts prägte. Vielmehr geht es den Faschisten der chaotischen und zerfallenden Welt heute um die Absicherung ihrer Insel, um den Bunker in dem sie sich vor den Folgen von 500 Jahren Kolonialismus, hemmungsloser Naturausbeutung und Vernichtung des Lebens durch den Kapitalismus verkriechen wollen. Seinen prominentesten Ausdruck findet dies sicher im Schlachtruf der Trumpisten: »America first«.

Trotzdem ist es naiv zu glauben, die faschistischen Kräfte der Gegenwart seien nicht Teil des Kriegsregimes, der Ordnung der starken Männer. Trump setzte zuletzt die immens höheren Verteidigungsausgaben in der NATO durch, rasselt mit dem Säbel in Richtung China, bereitet eine militärische Auseinandersetzung im Pazifik vor und unterstützt die Vertreibung und den Genozid in Gaza. Auch die AfD fordert eine Wehrpflicht, Aufrüstung der Bundeswehr und eine Rehabilitation der Tradition der Wehrmacht. Meloni wiederum treibt die europäische Aufrüstung maßgeblich voran und ist eine laute Befürworterin der Waffenlieferungen an die Ukraine. Putin, Netanjahu und Modi stehen ohnehin nicht im Verdacht, Friedenspolitik zu betreiben. Sowieso ist es fraglich, wie lange die faschistischen Bewegungen – ob an der Macht oder auf dem Weg dahin – langfristig dabei bleiben, Auslandseinsätze und Militärinterventionen abzulehnen. Denn auch der Bunker will versorgt sein mit Ressourcen.

Neue Mittel der politischen Durchsetzung

Denn: Wer die Grundbedingungen imperialer Konkurrenz im Kapitalismus nicht abschafft, wird auch in Zukunft nicht darum herumkommen, Kriege zu führen. Weder die erpresserische »Friedens«-Politik Trumps, noch die Expansion des europäische Grenzregimes, das Migrationsbewegungen militärisch und sicherheitspolitisch bekämpft, deuten darauf hin, dass die faschistische Internationale tatsächlich ein Projekt des Friedens ist, mögen Auslandseinsätze in ihrer Anhängerschaft noch so unpopulär sein. Im Angesicht des eskalierenden planetaren Chaos werden politische Vormachtstellungen und der Zugriff auf zunehmend knappere Ressourcen und die imperiale Lebensweise immer häufiger mit militärischen Mitteln gesichert. Es ist zu befürchten, dass sich dieser Trend in Zukunft durch eine Art »überdimensionales Prepping« (Naomi Klein) weiter zuspitzen wird. Das betrifft auch die Absicherung der Rohstoffe für »grüne« Technologien: die übrigen Projekte des »green capitalism« verbindet sich mit einem militarisierten Neoliberalismus, denn auch ein auf »grüne« Technologie umgestellter Kapitalismus benötigt Zugriff auf Ressourcen und ist auf neokoloniale Ausbeutung angewiesen. Beides muss militärisch abgesichert werden. Auch die katastrophischen Folgen der Zerstörung und der Produktion von Tod durch das Entstehen ganzer unbewohnbarer Zonen werden zunehmend als sicherheitspolitische Fragen aufgefasst und unterliege somit auch militärischen Logiken. Zuletzt führt Krieg außerdem zum Ausstoß hoher Emissionen und zerstört ganze Ökosysteme.

Teil unserer Hypothese ist, dass sich vor dem Hintergrund der planetaren Verwüstung Kriegsregime und Faschisierung nicht als gegenläufige Prozesse gegenüberstehen, sondern es zu Momenten des Zusammenfließens beider Dynamiken und des gemeinsamen Multiplizierens kommt. Das wird nicht widerspruchsfrei verlaufen und die beiden Versuche der gewaltvollen Kontrolle des planetarischen Chaos – in neoliberal-autoritärer oder faschistischer Spielart – sind nicht (immer) deckungsgleich. Dennoch: wir sehen bereits jetzt, wie autoritäre, faschistische und kriegstreibende Herrschende unterschiedlicher Schattierungen demokratische Grundrechte untergraben, kritische Zivilgesellschaften attackieren und Gewalt als Mittel politischer Durchsetzung feiern – sei es als Aufstandsbekämpfung oder als Abschiebephantasie. Unser Antifaschismus muss also antimilitaristisch werden und unser Antimilitarismus antifaschistisch.

Eine Linke der Gegenwart muss eine antimilitaristische Linke sein

Nicht nur Antifaschismus, sondern alle unsere Kämpfe müssen antimilitaristische Kämpfe werden. Denn wenn wir die Hypothese aufstellen, das sich herausbildende Kriegsregime mache sich daran, die ganze Gesellschaft auf ein Neues zu strukturieren und zu durchdringen, dann tun wir das nicht als große theoretische Geste, sondern aus der Perspektive unserer Kämpfe heraus. Das Kriegsregime ist ein massiver Angriff auf liberale Grundrechte wie Versammlungs-, Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit, auf die kritische Zivilgesellschaft, auf die Rechte von Lohnarbeitenden und auf den Sozialstaat. Es ist also auch ein Krieg von oben nach unten, ein Angriff auf schon Erkämpftes, ein Angriff auf alle Formen widerständigen Verhaltens. Oder wie unsere italienischen Genoss*innen von Connessioni Precarie schreiben: »Der Krieg ist ein weiterer Akt in der nunmehr jahrhundertealten Krise der Souveränität«.

Wir schlagen euch deshalb vor, zu desertieren. Nicht nur in dem engen Sinne der Verweigerung des Kriegsdienstes. Desertieren verstehen wir als Praxis des Sich- Entziehens, der kollektiven Verweigerung der Einbindung ins Kriegsregime. In der Praxis würde das bedeuten, sich in all jene Kämpfe zu involvieren, in denen die Ausbreitung des autoritären Kriegsregimes verhandelt wird: in Kämpfe gegen die deutsche Unterstützung des Genozids in Gaza, in Kämpfe gegen Repression, in Kämpfe gegen Gewalt an Queers, an Migrant*innen und an FLINTA*, in Kämpfe gegen Sozialkürzungen und Sparpolitik, gegen Aufrüstung, Waffenlieferungen, Wehrpflicht und militaristische Zurichtung, in Kämpfen gegen fortgesetzte Ressourcenausbeutung, in Kämpfe gegen militarisierte Außengrenzen und Abschiebungen, in Kämpfe gegen den hochgerüsteten Polizeiapparat. Unsere Aufgabe als radikale Linke ist es: diese Kämpfe zu antimilitaristischen Kämpfen, zu Kämpfen gegen das Kriegsregime machen, sie aus ihrer Isolation zu holen und miteinander zu verbinden. Es ist unsere Aufgabe, Momente der Verweigerung, der Desertion aus dem Kriegsregime zu verbreitern, zu verbinden und zu kollektivieren. Nicht, weil neben dem Krieg alles andere unwichtig wird – im Gegenteil. Aber weil die Logik des Krieges eine neue Logik der Macht schafft, die in der Militarisierung der ganzen Gesellschaft ihre Legitimationsgrundlage und ihr Ziel hat.

Und – last, but not least – gilt es, all diese Kämpfe gegen das Kriegsregime als transnationale Kämpfe zu führen. Wir brauchen eine transnationale Bewegung, die es zurückweist, sich einzuordnen in die starren Reihen der Disziplin und in die abgegrenzten Fronten der Lagerbildung. Eine transnationale Bewegung, die deutlich macht: Die Grenze verläuft nicht zwischen Nationen und Fronten, sondern die Grenze verläuft zwischen uns, die wir in euren Kriegen sterben, die wir den Gürtel enger schnallen müssen, und euch. Zwischen unten und oben. Zwischen den Gefangenen des Evin-Gefängnisses im Iran und überall auf der Welt, und den Mächtigen, die sie einsperren und Bomben auf sie werfen. Zwischen denen, die für das Leben kämpfen und denen, die Todesmaschinen bauen. Wir können und wollen uns für keine Seite in euren Kriegen entscheiden, denn es sind Kriege gegen uns.


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