Debatte: Aus linker Geschichte lernen?

Wichtige Jahrestage, einschneidende Ereignisse und die Frage nach der Aktualität linker Geschichte (nicht nur) für die IL – Unser Call »Aus linker Geschichte lernen?«

Im Juni: 10 Jahre G8-Proteste in Heiligendamm, 50 Jahre Ermordung von Benno Ohnesorg in Berlin; im September und Oktober: 40 Jahre »Deutscher Herbst«, 100 Jahre Russische Revolution, 150 Jahre »Das Kapital« Band 1; im nächsten Jahr: 200 Jahre Geburtstag von Karl Marx, 50 Jahre »1968« und 100 Jahre Novemberrevolution – die kommenden Monate sind eine einzige Abfolge wichtiger Wegmarken linker Geschichte. Jenseits der anstehenden oder bereits begonnenen Debatten um die »richtige« historische Deutung der jeweiligen Ereignisse stellt sich unweigerlich die Frage, welche Bedeutung diese – und andere – Wegmarken für die (radikale) Linke heute noch haben.

Die IL als generationen- und spektrenübergreifendes Projekt

Für die IL ist diese Frage besonders wichtig, weil wir uns als generationen- und spektrenübergreifendes Projekt verstehen und es als Stärke empfinden, dass in unserer Organisierung Aktivist*innen aus ganz unterschiedlichen politischen Traditionslinien und Kämpfen der letzten Jahre und Jahrzehnte aktiv sind. Im Zwischenstandspapier heißt es dazu: »Alle diese Erfahrungen und Hintergründe fließen in der IL zusammen und gehören zu unserer Geschichte – genauso wie die Erfahrungen der Generationen vor uns, der Arbeiter*innenbewegung, der historischen Frauenbewegung, der kommunistischen Parteien mit all ihren dissidenten Strömungen, der Anarchist*innen usw. Wir setzen uns mit dieser Geschichte auseinander, wir versuchen, aus ihr zu lernen und erkannte Fehler zu vermeiden. Aber wir wählen aus der Vielfalt linker und revolutionärer Geschichte keine Traditionslinie aus und erklären sie für richtig oder verbindlich. Die IL hat keine Säulenheiligen und folgt keiner eindeutig abgrenzbaren theoretischen Lehre.«

Alte Traditionen und neue Bezugspunkte

Was bedeutet dieser Anspruch im Jahr 2017 konkret? Mit welchen Ereignissen und Debatten sollte sich die IL, aber auch die (radikale) Linke im Allgemeinen auseinandersetzen, um aus der linken Geschichte lernen zu können – und was lernen wir dann tatsächlich? Welche Traditionslinien, Organisationsformen und politischen Praxen gewinnen durch die veränderten Verhältnisse neue Aktualität, welche sind (endgültig) überholt, was gilt es (neu) zu entdecken? Wie reagieren wir auf die Verschiebungen innerhalb – und am Rande – der linken Szene wie das gewachsene Gewicht (netz-)feministischer und antirassistischer Zusammenhänge, die neue Attraktivität klassischer Antifa-Politik oder den Wiederaufschwung »roter«, marxistisch-leninistischer Gruppen? Und schließlich: Wie ist aktuell um unsere eigene Identität und Praxis bestellt? Bedeutet uns die Beschreibung »post-autonom« noch etwas? Braucht es vielleicht wieder eine stärkere Rückbesinnung auf unsere post-autonomen Wurzeln – oder sollten wir noch deutlicher als bisher mit linksradikaler Szenepolitik brechen? Was könnte beides jeweils konkret bedeuten?

All diesen Fragen wollen wir einen Raum geben und rufen Euch als Einzelpersonen und Gruppen – aus der IL und aus dem Kreise unserer Freund*innen und Kritiker*innen – auf, Euch an der Debatte zu beteiligen und uns Eure Artikel-Vorschläge zu schicken. Wir freuen uns auf spannende Diskussionen!

Bild: El Lissitzky, Denkmal für Rosa Luxemburg, 1919-21