Klassenkampf & Sonnenschein – Im Handgemenge der Ereignisse

Spätestens seit der polizeistaatlichen Offensive im Nachgang der G20-Proteste in Hamburg und den fortlaufenden Angriffen auf kurdische und türkische Genoss*innen wird die Frage nach Solidarität und Widerstand gegen staatliche Repression und Unterdrückung innerhalb der (radikalen) Linken aktuell so viel diskutiert wie lange nicht. hpk aus der Initiative Libertad! nimmt den 18. März zum Anlass, um die Idee hinter dem Aktionstag für die Freiheit der politischen Gefangenen vorzustellen und die Bedeutung des Tages in der Geschichte der Klassenkämpfe nachzuzeichnen.

Ja, wir müssen das immer wieder sagen, dass die herrschenden Verhältnisse nicht zum Tanzen zu bringen sind, ohne dass wir ihnen Aufruhr und Widerstand entgegensetzen. Jeden Tag und immer! Denn staatliche Repression und die von bürgerlichen wie reaktionären Kräften – von der Regierung bis zum Stammtisch – forcierte autoritäre Formierung der sozialen und politischen Verhältnisse hat sich längst tief in diese eingeschrieben. Von der »wehrhaften Demokratie« des Adenauer-Regimes in den 1950ern , dem »Modell Deutschland« der SPD der 1970er Jahre mit Berufsverboten, Zensurparagrafen, Isolationsfolter und 129a-Gesetzesverschärfungen, der »Operation Enduring Freedom« in den 2000er Jahren mit weltweitem Foltersystem und Stasi 2.0 in Deutschland … und und und: Es ist eine nicht endende Geschichte. Dabei ist der Begriff einer »autoritären Formierung der Gesellschaft« genauso unscharf, wie der eines »Sicherheitsstaates« oder der einer »Faschisierung«. Aber all das versucht eine Entwicklung zu fassen zu kriegen, die keinen Endpunkt kennt, eine strukturell reaktionäre und autoritäre Wirklichkeit bürgerlicher Herrschaft.

Ja, eigentlich ist uns klar, dass es dort, wo radikale Gegner*innen der kapitalistischen Normalzustände aufhören, diese zu akzeptieren und es deshalb manifesten Widerspruch, Revolte und Widerstand gibt, Verfolgung und Repression nicht ausbleiben. In einer solchen Situation ist gegenseitige Hilfe, Unterstützung – eben das solidarische Zusammenstehen – eine Voraussetzung emanzipatorischer Politik. Das meint: Solidarität ist eine unserer wichtigsten Waffen! Sie braucht Gefühl und Härte, Empathie und Haltung – aber kein Mitleid. Unsere Solidarität basiert auf den gemeinsamen Zielen einer grundsätzlichen gesellschaftlichen Veränderung – so unterschiedlich die konkreten politischen Vorstellungen und Praktiken in der Linken auch manchmal sein mögen. Die gemeinsame Verteidigung gegen Angriffe auf linke Strukturen, Organisierungen und Personen, auf emanzipatorische Politik überhaupt und auf unsere Geschichte ist Ausdruck unseres politischen Selbstverständnisses. Aber ist sie auch selbstverständlich?

Warum also ein Aktionstag am 18. März?

Natürlich sind Gedenktage Kadaver, die das Leben längst ausgehaucht haben. Das Jahr scheint vollgestopft zu sein mit jeder Sorte Gedenktage. »Jeder Sorte« natürlich nur bedingt, denn so wie Zeit und Raum, ist auch der Kalender Abbild und Produkt der herrschenden Verhältnisse und der Art und Weise, in der – und für wen – produziert wird. Deshalb: »Nichts wird vergessen« ist auf Seiten derer, die für andere den Kopf hinhalten und malochen, nicht als Gedenktag möglich, sondern als immer wiederkehrende Eroberung eigener Handlungsfähigkeit. Deshalb Kampftag, deshalb Aktionstag.

1995 schlug die Solidaritätsinitiative Libertad! vor, einen bundesweiten Aktionstag am 18. März für »Solidarität und Widerstand gegen staatliche Unterdrückung« ins Leben zu rufen. Diese Initiative wurde von anderen Antirepressionsgruppen und Solidaritätskomitees aufgegriffen, auch die Rote Hilfe schloss sich an. 1996 wurden dann erstmalig am 18. März Solidaritätsaktionen und Veranstaltungen organisiert. Seitdem wird an dem Tag insbesondere die Solidarität mit gefangenen Genossinnen und Genossen propagiert, auch, indem durch vielfältige Aktivitäten die Öffentlichkeit auf staatliche Unterdrückung und Repression aufmerksam gemacht wird.

Die sozialen und politischen Rechte für alle sind lokal und global ein umkämpftes Gebiet. Nirgendswo gelten sie für alle, selbst wenn sie als »Grundrechte« in Verfassungen und UNO-Deklarationen geschrieben stehen. Menschenrechte werden uns nicht auf einem silbernen Tablett serviert. Wir kriegen sie nicht geschenkt. Von keiner Regierung und von keinem Staat, keiner internationalen Institution. Und wurden sie mal erkämpft, können sie uns jeder Zeit wieder eingeschränkt oder genommen werden. Allein deshalb müsste dafür eigentlich jeder Tag ein Kampftag sein. Weil das aber mehr Wunsch als Wirklichkeit ist, war der 18. März als Aktionstag auch von dem Gedanken getragen, dass Solidarität mit den Gefangenen aus unseren Kämpfen und den von Repressialien Betroffenen nicht allein Sache von Antirepressionsgruppen und Solikomitees sein kann. Insofern wurde dieser Tag auch deswegen initiiert, um allen linken Gruppen und radikalen Initiativen die Möglichkeit zu geben, wenigstens an einem Tag gemeinsam auf die Straße zu gehen und solidarisch zu handeln: gemeinsam – solidarisch – widerständig! Der 18. März sollte aber nie Ersatz für einen weltweit begangenen Tag sein, sondern eine Initiative, auch in Deutschland einen Tag zu schaffen, wie er in vielen Ländern ohnehin besteht.

Bezug auf die Geschichte der Klassenkämpfe

Der 18. März als Aktionstag der Solidarität mit politischen Gefangenen und gegen staatliche Repression knüpft an die Tradition der Arbeiter*innenbewegung an. Denn das Datum 18. März hatte in der Geschichte der Klassenkämpfe mehrfach eine wichtige Bedeutung. So als Erinnerung an den Märzaufstand von 1848, die Pariser Commune von 1871 und die Befreiung Russlands vom Zaren 1917. In Deutschland steht der 18. März 1848 auch für den proletarischen Aufruhr gegen die alten feudalen Herrscher und auch die neu entstandene Bourgeoisie. Am 18. März 1848 begannen die Barrikadenkämpfe des vorher unbekannten Berliner Proletariats, das militant gegen das Militär vorging. Doch 1848 steht noch vielmehr für die vollendete Konterrevolution: Das Bürgertum verbündete sich mit der Reaktion. Der revolutionäre Aufbruch wurde blutig niedergeschlagen, das Bürgertum erhielt dafür Wahlen, Nationalversammlung und Verfassung – und 1871 einen Kaiser.

Die von der kapitalistischen Industrialisierung verursachte ländliche und städtische Massenarmut hatte aber längst das massenhafte Bedürfnis nach Kommunismus hervorgebracht – als revolutionäre Forderung nach Recht auf Existenz. Am 18. März 1871 übernahm die Nationalgarde in Paris die Macht und läutete damit den Beginn der Pariser Commune ein. Die Rache der französischen Bourgeoisie kostete 25.000 Menschen das Leben, 3.000 starben in den Knästen, 13.700 wurden verurteilt, die meisten zu lebenslänglichen Strafen. Deshalb wurde der 18. März zuerst »Tag der Pariser Kommune« genannt und bis in die 1920er Jahre innerhalb der Arbeiter*innenbewegung jährlich begangen.

Daran anknüpfend erweiterte 1923 die ein Jahr zuvor gegründete Internationale Rote Hilfe (IRH) den 18. März als »Internationaler Tag der Hilfe für die politischen Gefangenen«. »Ein Tag, um das Wüten der bürgerlichen Klassenjustiz und des weißen Terrors allen Werktätigen ohne Unterschied zum Bewußtsein zu bringen.« Mit diesem Tag sollte vor allem das Bewusstsein und die Solidarität für die Lage der politischen Gefangenen weltweit erzeugt und verankert werden und auf diese Weise auch praktisch zum Ausdruck kommen.

Die Reaktion auf die erfolgreiche Revolution in der Sowjetunion und die instabile Lage der kapitalistischen Staaten nach dem ersten Weltkrieg hatte zu einer massiven Verschärfung im Kampf gegen die revolutionären Kräfte geführt. Der weiße Terror wütete allerorts. In zahlreichen Staaten Nord- und Osteuropas wurden schon 1918 Konzentrationslager errichtet, in denen allein in Finnland mehr als 26.000 Menschen umkamen. In Bulgarien und Bessarabien wurden ca. 30.000 Menschen ermordet, in Polen wurde mit Giftgas gegen streikende Arbeiter*innen vorgegangen. In Deutschland ließen Sozialdemokraten auf streikende Arbeiter*innen und Matrosen schießen. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht wurden ermordet.

Weltweit landeten zahllose Revolutionär*innen im Knast. Sie selbst waren von übelsten Schikanen und Folter betroffen, ihre Familien hatten durch politische Repression und materielle Not oftmals ebenfalls zu leiden. Vor diesem Hintergrund entstanden in mehreren Ländern, unter anderem in Deutschland, Polen und Bulgarien, lose Hilfsorganisationen, in denen vor allem die Angehörigen der getöteten, verhafteten oder geflohenen Revolutionär*innen wirkten. In Deutschland gründete sich die ersten Hilfsvereine bereits 1919. Beschleunigt wurde dieser Prozess durch die Ereignisse um den Kapp-Putsch und den Mitteldeutschen Aufstand und der daraus folgenden Verfolgung. Aus den Hilfsvereinen entwickelte sich die Rote Hilfe Deutschlands. Am 18. März gingen in den 1920er Jahren fortan in allen Ländern Menschen für die Opfer politischer Justiz auf die Straße, beispielsweise für die in den USA zum Tode verurteilten Anarchisten Sacco und Vancetti. Die bis dahin beispiellose internationale Kampagne für Leben und Freiheit der beiden Anarchisten konnte sie zwar nicht vor dem staatlichen Mord retten, zeigte aber die Möglichkeiten internationaler Solidarität auf. Auch, dass Solidarität nur dann mächtig und bewegend wird, wenn es von einem grundsätzlichen solidarischen Verhältnis geprägt ist, mit allen die auf welche Weise auch immer um Befreiung von kapitalistischer Ausbeutung und staatlicher Willkür kämpfen. Die Frage des »richttigen« Parteibuches oder der ideologischen Übereinstimmung sollte da wirklich nicht an erster Stelle stehen.

Der Faschismus und der von Deutschland ausgehende Weltkrieg machte der Begehung dieses Tages in Deutschland vorläufig ein Ende. 1933 wurde dieser Tag von den Nationalsozialisten verboten.

1803 – wir sind dabei?

Erst seit 1996 wird der 18. März auf Initiative von Libertad! wieder als Tag der Solidarität mit den Gefangenen propagiert und begangen. Nach anfänglich breiterer Beteiligung verschiedenster Gruppen und Initiativen der radikalen Linken ist er in den letzten Jahren vor allem ein Tag, an dem Rote Hilfe- und andere Antirepressionsgruppen handeln.

Sicher war für die meisten all dies zur Geschichte dieses Tages nicht bewusst, als wir am Morgen des 18. März 2015 mit Blockupy gegen die Eröffnung des EZB-Towers in Frankfurt zogen und damit gegen das autoritäre Krisenregime blockierten, sabotierten, demonstrierten. Aber das ist natürlich die beste Art einen Aktionstag zu begehen. Und in der Parole von »Sie wollen Kapitalismus ohne Demokratie – wir wollen Demokratie ohne Kapitalismus« steckt eben genau das, was auch der Kern des Aktionstages 18. März ist: unsere Freiheit gegen ihre Macht. Bleiben wir dran! Als gemeinsamer Solidaritätstag aller um Befreiung kämpfenden Aktivist*innen in Solidarität mit von Repression betroffenen Aktivist*innen muss der Tag erst wieder neu entstehen und aufgegriffen werden: um unseren Widerstand gegen staatliche Unterdrückung, unmenschliche Behandlung in den Gefängnissen und Polizeirevieren des autoritären Krisenregimes einen starken Ausdruck zu geben. Natürlich geht es auch um diese Sichtbarkeit der emanzipatorischen Linken und ihrer radikaldemokratischen Freund*innen – und somit auch um die Eroberung von Handlungsfähigkeit und Wirken in den politischen Verhältnissen des kapitalistischen Normalzustandes, die über das Beklagen der grausigen Zustände und staatlichen Gemeinheiten hinausgeht.

Und im Kleinen geht es vielleicht auch um Respekt und Solidarität denjenigen gegenüber, die das ganze Jahr Hilfe, Unterstützung, Solidarität gegen die Einschränkung der Demonstrationsfreiheit, Polizeigewalt, Klassenjustiz, staatliche Willkür und sonstige Schweinerein organisieren.

gemeinsam – solidarisch – widerständig!

hpk – der/die/das Aktivist* aus Libertad!, unterwegs auch in der Interventionistischen Linken, nicht nur in sachen notwendiger antirepression gegen staatliche zumutungen jeder art.

Libertad! war eine bundesweite Initiative für die Freiheit aller politischen Gefangenen weltweit und setzte sich außerdem gegen staatliche Repression und Unterdrückung ein. Zudem war Libertad! eine der historischen Quellgruppen der IL. Die Initiative hat sich am 18. März 2016 aufgelöst, der wundervolle Text »Alles hat seine Zeit. Bemerkungen zum Ende der Initiative Libertad!« lässt sich hier nachlesen.

Ebenfalls online: Der Aufruf der Interventionistischen Linken zum diesjährigen 18. März. »Gemeinsam und widerständig - damit Solidarität eine Waffe wird!« Macht mit bei den Aktionen rund um den 18.03 gegen Repression und autoritärer Formierung. Für ein ungehorsames Jahr 2018!

Bild: Logo der Initiative Libertad!