Was tun gegen die tödliche Abschiebepolitik? Wie wirkungsvoll ist Online-Aktivismus? Und lassen sich die Hauptversammlungen großer Konzerne zur Bühne für politischen Protest machen? Höchst aktuelle Fragen – auf die vor 20 Jahren, am 20. Juni 2001, eine spektakuläre Antwort gefunden wurde: Parallel zum Beginn der Lufthansa-Aktionärsversammlung startete eine erste Online-Demonstration gegen das Abschiebegeschäft des Konzerns – und schaffte es mit mehr als 13.000 Beteiligten, streckenweise die Buchungsserver und die Übertragung der Rede der Vorstandsvorsitzenden aus der Aktionärsversammlung lahmzulegen. Grund genug, hier einen älteren Beitrag der Initiative Libertad! zur Aktion und der anschließenden Repression zugänglich zu machen.
Köln, 20. Juni 2001, kurz vor 10 Uhr. Erwartende Spannung liegt auf dem Platz vor der Kölnarena. Drinnen in der Messehalle hat die Lufthansa AG zur Jahreshauptversammlung der Aktionäre geladen. Draußen protestieren Gruppen von »kein mensch ist illegal« und Libertad!. Mit Transparenten, Straßentheater und Installationen wird ein Aspekt der Geschäftspolitik der größten deutschen Airline in den Mittelpunkt gerückt, um den es, nach Willen des Vorstandes, auf der Aktionärsversammlung auf keinen Fall gehen soll: das Geschäft mit der Abschiebung, das deportation business.
Die Lufthansa AG steht wegen dieser Praxis schon seit geraumer Zeit im Zentrum der Kritik. Wie andere Fluggesellschaften auch, beteiligt sie sich an der Abschiebungen. Jährlich werden 30.000 Menschen per Flugzeug aus Deutschland abgeschoben. Ein Großteil dieser als »deportee-tickets« gekennzeichneten Flugscheine verkauft die Lufthansa AG. Es ist ein tödliches Geschäft: Am 28. Mai 1999 stirbt der Sudanese Aamir Ageeb nach Misshandlungen durch Grenzschützer in einer Lufthansa-Maschine.
Ausgesprochen medienwirksam entwickelte »kein mensch ist illegal« die deportation.class-Kampagne, mit der die Lufthansa AG zum Ausstieg aus diesem Geschäft bewegt werden soll. Die Kampagne beschmutzt das Image der sauberen Airline - und das ist auch der Zweck. Auch zur diesjährigen Hauptversammlung warteten Vorstand, Aktionäre und Medienvertreter*innen gespannt auf mögliche »Zwischenfälle«. Waren sie doch auch angekündigt.
Anfang März hatten »kein mensch ist illegal« und Libertad! aufgerufen, die Internetpräsenz der Lufthansa AG zu blockieren. Massenhafte Aufrufe der Lufthansa-Website sollten sie als sichtbaren Ausdruck des Protestes gegen das deportation business im besten Falle lahmlegen. Diese neue Aktionsform bot sich auch deshalb an, weil Lufthansa vorhat, in den nächsten Jahren jedes vierte Flugticket online zu verkaufen. Im vergangenen Jahr wurden bereits 250.000 Flüge online gebucht - und für dieses Jahr will die Lufthansa AG diese Zahl verdoppeln. Ein guter Ort also für eine Protestkundgebung, sagten sich die Initiator/innen. Eher augenzwinkernd wurde sie auch beim Kölner Ordnungsamt angemeldet, aber das fühlte sich für den virtuellen Raum nicht zuständig. Wie sollte es auch den (Daten-)Verkehr regeln? Trotzdem ist es ein Ort, an dem sich viele treffen können, ohne durchs halbe Land fahren zu müssen - und doch gemeinsam mit vielen gegen das Geschäft mit der Abschiebung protestieren zu können.
Mittels geschickter Pressearbeit, massenhaften Flyern, Plakaten und einer gemeinsamen Ausgabe der »deportation.class«- Zeitung gelang es schnell eine große Öffentlichkeit zu erreichen. Entsprechend erwartungsvoll war auch die Stimmung vor der Kölnarena. Die Onlinedemonstration sollte während der Eröffnungsrede von zehn bis zwölf Uhr stattfinden und: der symbolische Startklick - wo...
]]>Unsere Genoss*innen Olga und Erwin sind beide in der DDR aufgewachsen, genauer: in Rostock. Im Gespräch schildern sie, wie sie die Ereignisse 1989/90, die zum Ende des Staatssozialismus und zur kapitalistischen Übernahme Ostdeutschlands führten, erlebt haben. Von wem welche Antworten stammen, ist dabei nicht so wichtig.
Ich war 1989 noch relativ jung, ich bin in dem Jahr 14 geworden. Damals war ich sehr schockiert von den Ereignissen, fühlte mich gewissermaßen überrollt. Ich hatte zu keiner Zeit ein euphorisches Gefühl im Sinne von »jetzt geht die Mauer auf, jetzt bricht die DDR zusammen«. Es war eher das Gegenteil, das Gefühl etwas bewahren zu müssen, das Gefühl überrannt zu werden, das Gefühl, dass der Kapitalismus kommt … Das war glaube ich – in der Rückschau – ein Überbleibsel einer »guten ideologischen politischen Bildung« in der DDR (lacht), oder sagen wir Indoktrination. Politisch in der Rückschau fällt die Einschätzung natürlich anders aus.
Die ersten Demonstrationen habe ich nicht mitgekriegt, da war ich noch zu jung. Man kann »1989« für meine Altersgruppe gut einteilen in die Zeit vor und die nach den Sommerferien: Die Hälfte der Schüler*innen war weg, die Hälfte der Lehrer*innen war weg … Das war wirklich der Anfang eines Umbruchs, ein Aufbruch, eine Öffnung, sowohl auf der großen politischen Ebene als auch in den kleinen Alltagsstrukturen. Bei mir war es vor allem in der Schule, wo sich auf einmal Räume öffneten, wo man auf einmal reden konnte, wo auf einmal Sachen nicht mehr funktioniert haben. Es war ja vorher alles reglementiert, und jede*r hatte seine Funktion und Rolle. Das alles wurde nun brüchig … und spannend.
Ich war schon etwas älter, 16 Jahre, und komme aus einem anderen Elternhaus. Meine Eltern waren zwar nicht in der Opposition, aber sie hatten ein kritisches Verhältnis zum Staat. Es gab zwei Ereignisse, die bereits vor dem Sommer zentral waren: zum einen das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking am 4. Juni 1989, das eine klare Ansage war, wie man mit Protesten umgeht. Egon Krenz (SED) hatte die chinesische Regierung damals sogar dafür gelobt, wie sie vorgegangen ist. Und im Mai fanden die Kommunalwahlen in der DDR statt, die das erste Mal von der Opposition »überwacht« wurden und wo zum ersten Mal Wahlbetrug aufgedeckt wurde. Bei der Demo zum Gedenken an Rosa Luxemburg war man mit einem Transparent »Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden« aufgetreten.
Die Opposition wurde also öffentlich immer sichtbarer – auch wenn man so etwas nur über das Westfernsehen mitbekommen hat. Es entstand dann der Eindruck: Da passiert etwas, und drohend im Raum steht irgendwie diese »chinesische Lösung«. Und als im Sommer die massenhafte Fluchtbewegung eingesetzt hat, da kann ich mich noch genau daran erinnern, wie mein Vater bei uns zu Hause darüber geredet hat, dass sie mich jetzt in den Westen rüberschicken müssten. Und ich saß damals auf der Couch, war gar nicht gefragt worden und meinte nur: »Ich will aber nicht in den Westen!« Ich wollte nicht in den Kapitalismus …
Die ersten Demonstrationen haben woanders...
]]>Kann von einem revolutionären Moment gesprochen werden, wenn wir auf den rebellischen Herbst 1989 blicken? Auf jedenfall ist es an der Zeit sich dieser linken Osterfahrungen zwischen Stalinismuskritik und antiautoritären Sozialismusvorstellungen zu stellen, um für die Zukunft zu lernen.Zweiter Teil des Interviews von Anna Stiede mit Judith Braband und Renate Hürtgen.
2019 heißt 30 Jahre Herbst 89, heißt 30 Jahre sind vergangen, nachdem die Macht im Osten auf der Straße lag und wäre sie ergriffen worden, wäre es womöglich nicht zu einer erneuten Wiederwahl Helmut Kohls in der BRD gekommen. Heißt aber auch 30 Jahre zu viel, in denen sich (linke) Westler*innen nicht für die Erfahrungen eines erlebten Systemzusammenbruchs und die Opposition interessierten. Nach 30 Jahren Herbst `89 ist es an der Zeit für einen generationenübergreifenden Austausch zwischen Ost-West und mit den Freund*innen, die jenseits dessen geboren sind und hier leben. "Für ein offenes Land mit freien Menschen“ - schallte es einst aus Leipzig und gilt heute mehr noch als damals: „Für eine offene Welt, ohne Grenzen, mit Brücken statt Mauern und mit freien Menschen“. Warum ist diese Revolution gescheitert? Das folgende Interview zeigt aufrichtig die Kontroversen, die wohl stets Momente von Umbrüchen begleiten. Wie sind die Frauenperspektiven auf diese Zeit und die DDR-Opposition, welche Bedeutung hatte die Emanzipation vom Leistungsprinzip und wie war das Verhältnis zu den Westfrauen?
Manchmal scheinen Frauen aus dem Osten „unabhängiger“ als Frauen aus dem Westen. Gibt es da irgendwie so was, was einer die DDR mitgegeben hat?
J: Ja Klar, ich finde schon! Das ist der Vorteil der Gesetzte, der verordneten Gleichberechtigung. Mit der hohen Quote an arbeitenden Frauen, ist auch dieses Selbstbewusstsein gewachsen. Wenn du dein eigenes Geld verdienst und nicht davon abhängig bist, dass der Kerl das nach hause bringt und du einen eignen Wert in der Gesellschaft hast. Das ist ein Ergebnis der DDR. Diese hohe Beschäftigtenquote bei Frauen führte dazu, dass Frauen selbstständiger und selbstbewusster waren. Und übrigens bis in die nachfolgenden Generationen. Also Kinder, Töchter von Frauen, die die DDR nicht erlebten, haben das auch noch, denn sie haben ein anderes Bild von Mutter.
R: Man muss ein bisschen aufpassen über wen man redet. Die Arbeitstätigkeit hat tatsächlich einen bestimmten Frauentyp hervorgebracht. Ich hab später auch Arbeiter-Ehepaare aus dem Ruhrgebiet kennengelernt, da waren die Frauen genauso selbstbewusst. Aber das Besondere in der DDR war, das es flächendeckend war und die meisten Frauen betraf. Der Hausfrauentypus war einfach nicht das Leitbild. Ich denke allerdings, dass man aufpassen sollte und dieses Leitbild der arbeitenden Frau nicht gleichsetzen darf mit emanzipatorischem Verhalten, wie wir es heute verstehen. Einmal muss man sagen, dass Frauen in der DDR nicht zu den besonders Kritischen, Oppositionellen gehört haben; Frauen haben viel weniger im Betrieb mit Streiks und Widerstand gedroht als Männer. Die sind viel viel anpassungsfähiger gewesen – das gehört natürlich auch zu diesem Bild. Frauen sind unglaublich anpassungsfähig gewesen in der DDR. Im Sinne von: den Schwierigkeiten anpassen, mit den widrigen...
]]>Kann von einem revolutionären Moment gesprochen werden, wenn wir auf den rebellischen Herbst 1989 blicken? Auf jedenfall ist es an der Zeit sich dieser linken Osterfahrungen zwischen Stalinismuskritik und antiautoritären Sozialismusvorstellungen zu stellen, um für die Zukunft zu lernen.
2019 heißt 30 Jahre Herbst 89, heißt 30 Jahre sind vergangen, nachdem die Macht im Osten auf der Straße lag und wäre sie ergriffen worden, wäre es womöglich nicht zu einer erneuten Wiederwahl Helmut Kohls in der BRD gekommen. Heißt aber auch 30 Jahre zu viel, in denen sich (linke) Westler*innen nicht für die Erfahrungen eines erlebten Systemzusammenbruchs und die Opposition interessierten. Nach 30 Jahren Herbst `89 ist es an der Zeit für einen generationenübergreifenden Austausch zwischen Ost-West und mit den Freund*innen, die jenseits dessen geboren sind und hier leben. "Für ein offenes Land mit freien Menschen“ - schallte es einst aus Leipzig und gilt heute mehr noch als damals: „Für eine offene Welt, ohne Grenzen, mit Brücken statt Mauern und mit freien Menschen“. Warum ist diese Revolution gescheitert? Das folgende Interview zeigt aufrichtig die Kontroversen, die wohl stets Momente von Umbrüchen begleiten. Wie sind die Frauenperspektiven auf diese Zeit und die DDR-Opposition, welche Bedeutung hatte die Emanzipation vom Leistungsprinzip und wie war das Verhältnis zu den Westfrauen?
Was bedeutet für euch eigentlich der Herbst `89?
J: Das ist nicht dein Ernst?
Vielleicht in so ein paar Stichworten?
R: Naja wenn man so ganz politisch unkorrekt einfach mal sagt: großartige Stimmung, Aufbruch und das Gefühl, da passiert etwas. Ein Gefühl, dass alle Leute sich auf einmal anschauen in der U-Bahn, vor allem wenn sie gemeinsam zur Demo fahren, Aufregung was man jetzt machen könnte, aus der Opposition heraus. Und persönlich: ich bin Wissenschaftlerin, aber ich hatte nie etwas veröffentlicht, ich habe nie vor irgendwelchen Menschen gesprochen, und dann so ein Erlebnis auf einmal plötzlich auf `ne Bühne gehen zu können und zu sagen „Liebe Berlinerinnen und Berliner hier ist was ganz wichtiges passiert und ich lade euch ein...“ Das war ein durch und durch positives Gefühl und zwar nicht nur am Anfang. Das muss ich dazu sagen, dieses Gefühl, dass wirklich etwas wichtiges hier passiert, und dass man was machen muss, das hat sich sehr lange gehalten eigentlich bis in den Westen hinein.
J: Da kann ich ganz gut anknüpfen mit dem Reden: ich habe auch nie Reden gehalten und plötzlich war es nötig und ich konnte es auch. Ich war auch voller Zuversicht. Später kam dann die Wut hinzu und dann war ich glaub ich immer noch besser beim Reden. Aber am Anfang war es so, dass ich dachte: Wow jetzt passiert endlich wofür wir eigentlich schon zehn Jahre kämpfen oder länger. Und worüber wir immer nachgedacht haben und das hat so eine unglaubliche Euphorie hervorgerufen. Und auch, dass wir im Grunde nicht wussten was wir zuerst machen sollten, ne? Es gab 100.000 Möglichkeiten und du musstest alles irgendwie mit anschieben. Politisch war es einfach so,...
]]>Im zweiten Teil seines Beitrags zum Kampf gegen die Notstandsgesetze rekonstruiert Rolf die Dynamik des Jahres 1968 und gibt den Verlauf der Anti-Notstandsproteste nach dem Sternmarsch wieder. Außerdem untersucht er, wie die Bewegung nach ihrem Ende innerhalb der Linken aufgearbeitet wurde und die »liberale Opposition« ihre anfängliche Solidarität aufkündigte.
Den ersten Teil lest ihr hier.
Was macht das »Ereignis« von 1968 in seiner Vielfalt aus? Was ist der Anteil der Anti-Notstands-Bewegung an 1968 als »Ereignis«? Beginnen wir mit dem 11. April 1968, dem Attentat auf Rudi Dutschke in West-Berlin und den folgenden BRD-weiten »Osterunruhen«. Diese manifestieren sich in Blockadeaktionen gegen den Springer-Verlag und Druckereien der Bild-Zeitung. Für den Kampf gegen die »NS-Gesetze«, die auf das entscheidende Datum, die Verabschiedung des Gesetzespakets im Bundestag, zusteuern, sind die »Osterunruhen« gleichermaßen Mobilisierungs- wie Belastungsmoment.
Das neue Militanzniveau dieser Auseinandersetzungen gefährdet die Bündniskonstellation zwischen dem SDS, der IG Metall, welcher zugleich den linken Flügel der DGB-Gewerkschaften repräsentiert, sowie dem linkssozialistischen und pazifistischem Flügel der Anti-NS-Gesetze-Bewegung und droht sie zu sprengen. Anlass dafür ist, dass der SDS, und vor allem dessen aktionsorientierte Teile, keine Distanzierung von den militanten Kampfformen vollziehen. Zugleich gehen weite Teile der Jugend- und Protestkulturbewegung auf die Straße und werden in Auseinandersetzungen mit dem staatlichen Gewaltapparat rasch – und manche auch nachhaltig – politisiert. Nachhilfe kommt derweil aus Frankreich in Form des »Pariser Mai«, der »Barrikadennächte« und des Generalstreiks der französischen Arbeiter*innen.
Angesichts der noch für den Mai 68 angesetzten Verabschiedung der Gesetze durch den Bundestag einigen sich der SDS und die pazifistisch-radikaldemokratischen Bündnispartner (Komitee für Demokratie und Abrüstung) sowie minoritäre Teile der gewerkschaftlichen Opposition auf eine Protestchoreographie, die mit dem »Sternmarsch auf Bonn« beginnt. Aber bereits am 11.5.1968, dem Tag des »Sternmarschs auf Bonn«, wird das »in sich gespaltene Notstandslager« in der BRD sichtbar: 60.000 Menschen als »Bewegung« in Bonn auf der Straße vs. 20.000 »DGB-Funktionäre« in der Dortmunder Westfalenhalle. Doch die Gemengelage des Protests ist aber noch komplexer. Denn mindestens drei Strömungen von »Akteur*innen« sind im gespaltenen Anti-Notstandsprotest auszumachen:
• Die SPD-nahe Strömung, darunter vor allem gewerkschaftliche Protestgruppen, die auf das konkrete Gesetzesvorhaben Einfluss nehmen wollen, sich in parlamentarischen Anhörung äußern und Massenaktionen explizit ablehnen und in ihrer Masse in Dortmund sichtbar werden. Durch den Aktivismus der Jugendbewegung fühlen sie sich »abgeschreckt«.
• Der linkssozialistisch-linkssozialdemokratisch-pazifistische Protestflügel inklusive der akademischen Kritik um die ›Frankfurter Schule‹ mit Habermas an der Spitze, der den Spagat zwischen (linker) SPD und antiautoritärer Jugendbewegung sucht. Dieses Protestsegment trägt den »Sternmarsch auf Bonn« und viele lokale Initiativen inhaltlich wie organisatorisch. Jenseits der Anti-Notstandsproteste zielen ihre Aktivitäten auf ein linkssozialistisch-radikaldemokratisches Wahlprojekt für die Bundestagswahlen 1969, das zugleich die SPD »nach links« ziehen soll.
• Die antiautoritäre systemoppositionelle Jugend- und Studierendenbewegung, für die der Kampf gegen die »NS-Bewegung« zunehmend nur ein Moment eines prinzipiell antikapitalistischen Widerstands ist und die außer von antifaschistischen ebenso von internationalistischen Bezügen (Vietnam, Iran, Black Panther) getragen ist. Diese Bewegung sucht im »antiautoritären Aktionszusammenhang« nach neuen Politik- und Lebensformen und stellt eingeschliffene gesellschaftliche Normen wie private Verhaltensmuster...
]]>Aktuell sehen wir uns vielerorts neuen Formen autoritärer Staatlichkeit gegenüber. Damit gewinnt auch die Frage nach möglichen Gegenbewegungen und -strategien wieder an Bedeutung. Vor diesem Hintergrund lohnt der Blick zurück: Wie unser Frankfurter Genosse Rolf zeigt, war der Kampf gegen die Notstandsgesetze in Deutschland eine wichtige Triebfeder der »1968er Jahre«. In Teil I seines Artikels beleuchtet er die besondere Rolle Frankfurts für die Entstehung der breiten Bewegung gegen die »NS-Gesetze« und zeichnet deren Entwicklung vor dem Jahr 1968 nach.
Der folgende Text versucht sich als, sicherlich unvollständige, punktuelle Chronik und Aufzählung der 1968er-Ereignisse in Frankfurt am Main. Vorab aber einige Anmerkungen zu ortspezifischen Bedingungen der Vorgeschichte der sozialen Kämpfe und zur gegenwärtigen innerlinken dominanten Sichtweise auf die besagten Notstandsgesetze (im Folgenden wie auch in der Bewegung von 1967/68 selbst üblich als »NS-Gesetze« abgekürzt) als einer der großen Brandbeschleuniger für die Revolte, die in aller Regel auf die »Studentenbewegung« reduziert wird.
Relevanz gewinnen die Kämpfe gegen die »NS-Gesetze« bis heute nicht zuletzt dadurch, dass sie sich gegen einen in Gesetzesform gegossenen Formierungsschub in Staat und Gesellschaft in Richtung »Autoritärer Staat« richteten, auch wenn die »NS«-Etikettierung dieser Entwicklung der BRD einem heute nicht behagen mag. Relevant erscheint aber auch, dass sich in diesen Kämpfen neue Protestformen – vom »zivilen Ungehorsam« bis zur »Straßenschlacht« – entwickelten, die deutlich über das kritische Kommentieren beklagenswerter Zustände hinauswiesen.
Schon seit Beginn der 1960er Jahre hat Frankfurt am Main den Ruf der »Wirtschaftshauptstadt« der BRD und künftigen Metropole, d.h. Finanzmetropole am Main. Damit einher gehen entsprechende »Probleme« in der Stadtentwicklung und Fragen des Wohnens als Teil sozialer Infrastruktur. Spätestens ab 1970, also nur zwei Jahre nach 1968, werden diese Fragen zu Kristallisationspunkten heftiger urbaner Konflikte in Frankfurt. Zugleich gilt Frankfurt am Main nach 1945 als sozialdemokratische Musterkommune. Unter Führung der SPD-Kommunalpolitik bereitet sich die Stadt auf ihre künftige Rolle als Metropole vor, während sie sich bundesweit als das Zentrum von linkssozialdemokratischer, linksgewerkschaftlicher, pazifistischer und linksintellektueller Opposition etabliert. Eine widersprüchliche Konstellation, wie sich v.a. in den urbanen Kämpfen der 1970er Jahre erweisen wird. Ein Moment dieser linken Opposition ist die ›Frankfurter Schule‹ und ihr universitäres und studentisches Umfeld – das wird für den Kampf gegen die »NS-Gesetze« von Belang sein.
Daneben ist Frankfurt außerdem Ort des zunächst linkssozialdemokratischen, ab 1968 linksradikalen Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) mit bundesweiter Bedeutung. Diese Studentenorganisation wird den Protest gegen die »NS-Gesetze« wesentlich tragen. Frankfurt ist der Sitz des Bundesvorstands, der Delegiertenkonferenzen und der meisten vom SDS in den 1960er Jahren organisierten Kongresse mit bundesweiter Bedeutung. Diese stehen für »Aufklärung im Diskurs« – und später im Kontext der antiautoritären Studierendenbewegung für »Aufklärung durch Aktion«. Frankfurt wird damit auch zentraler Ort der Organisierung der Anti-Notstandsproteste, die ein Moment der Bewegung von 1968 und der Zuspitzung der Proteste ausmachen.
In den aktuellen politischen Diskursen um 1968 sind Sinn und Zielsetzung insbesondere um das widerständige Erbe umstritten. Auch was das Thema Kampf gegen die »NS-Gesetze« betrifft, ist Delegitimierung angesagt. War der Kampf gegen die Notstandsgesetze ein Kampf gegen ein »Phantom«? War...
]]>Muss sich unser Blick auf linke Geschichte angesichts der massiven Verschiebung der Kräfteverhältnisse in den letzten Jahren verändern – und wenn ja, wie? Ist narratives »Reihen schließen» gegen die Rechte und ihren Aufschwung das Gebot der Stunde, oder müssen Differenzierung und linke Selbstkritik weiter die Hauptaufgaben sein? Letzteres, findet das AutorInnenkollektiv Loukanikos: Linke Geschichte bleibt ein Eimer voller Löcher!
»Der Mond geht – wie bekannt – manchmal auch rot auf. Dies aber ist ein optischer Irrtum.« (Theo Pirker, Die blinde Macht, Berlin 1979, S. XXII)
»An’ now people just get uglier / An’ I have no sense of time« (Bob Dylan, »Stuck Inside Of Mobile With The Memphis Blues Again«, 1966)
Zu den Hauptforderungen des russischen Kosmismus, einer im 19. Jahrhundert entstandenen philosophischen Denkrichtung aus geistes- und naturwissenschaftlichen Strömungen, gehörten Wiederauferstehung und Unsterblichkeit für Alle. Wegen des dann zu erwartenden Anstiegs der Weltbevölkerung wurde außerdem die Besiedelung des Weltalls verlangt. Angesichts der Geschichte im Allgemeinen und des Wirkens der diversen Linken darin sollten diese Forderungen und ihr utopischer Anspruch auch der Ausgangspunkt eines heutigen linken Blicks auf die Vergangenheit sein.
Als AutorInnenkollektiv Loukanikos haben wir uns seit dem Jahr 2010 zusammen diskutierend, schreibend, veranstaltungsorganisierend und buchvorstellend mit dem Ort und den sinnvollen Aufgaben linker Beschäftigung mit Geschichte auseinandergesetzt (siehe z.B. hier; was das AK Loukanikos insgesamt so tut und tat, kann hier nachgelesen werden). Der Blickwinkel dabei war, wie ein guter Schnaps, immer ein doppelter: Nach »außen« gerichtet auf das Wirken innerhalb des herrschenden Geschichtsbilds und nach »innen« auf die Leerstellen und Schattenseiten der Konstruktion der »eigenen Geschichte« durch die (Strömungen der) Linken. Da aus einem unserer Beiträge im ak eine so genannte Loukanikos-Debatte entstand, lag es nahe, dass wir uns auch an diesem neuerlichen Anlauf zu einer Geschichtsdebatte beteiligen. Dazu wurden wir außerdem durch den Beitrag von Bernd Hüttner hier auf dem Blog sehr freundlich gezwungen.
Inzwischen ist allerdings einiges passiert. Seit 2010 haben sich die politischen und sozialen Kräfteverhältnisse durch einige Erdbeben bewegt und eine negative Entwicklung in einem solchen Ausmaß und von solch einer Dauer hat unsere Generation wohl noch nicht erlebt. Darum wollen wir uns hier an einer Selbsthistorisierung des AK Loukanikos versuchen: Was haben wir in den Jahren 2010/11 gedacht, und warum; und was davon ist angesichts zum Beispiel des Scheiterns des »Arabischen Frühlings« und des Erfolgs der nationalistischen Brutalisierung der Gesellschaftsmehrheit von Mitteleuropa über die USA bis zur Türkei und eskalierender (Welt-Bürger-)Kriege noch zu halten? Und wir dachten, wir tun das hier öffentlich, weil es aktuelle politische Fragen von Gegenwart und Geschichte betrifft und deswegen auch für Andere interessant sein kann.
Der Bezug auf die kosmistische Forderung nach Wiederauferstehung der Toten und ewigem Leben für Alle ist dabei mehr als ein Texteinstieg mit Schmunzelgelegenheit. Wir haben ihn auch gewählt, um voranzustellen, dass auch in Zeiten, die in der Linken bürgerlichen Gänsehauthorror und Schockmomente der Realisierung der eigenen Bedeutungslosigkeit auslösen (Ja, Panik!?), utopisches Verlangen bewahrt und artikuliert werden muss, das Vergangenheit und Zukunft mit ein- und miteinander kurzschließt. Utopie soll...
]]>Spätestens seit der polizeistaatlichen Offensive im Nachgang der G20-Proteste in Hamburg und den fortlaufenden Angriffen auf kurdische und türkische Genoss*innen wird die Frage nach Solidarität und Widerstand gegen staatliche Repression und Unterdrückung innerhalb der (radikalen) Linken aktuell so viel diskutiert wie lange nicht. hpk aus der Initiative Libertad! nimmt den 18. März zum Anlass, um die Idee hinter dem Aktionstag für die Freiheit der politischen Gefangenen vorzustellen und die Bedeutung des Tages in der Geschichte der Klassenkämpfe nachzuzeichnen.
Ja, wir müssen das immer wieder sagen, dass die herrschenden Verhältnisse nicht zum Tanzen zu bringen sind, ohne dass wir ihnen Aufruhr und Widerstand entgegensetzen. Jeden Tag und immer! Denn staatliche Repression und die von bürgerlichen wie reaktionären Kräften – von der Regierung bis zum Stammtisch – forcierte autoritäre Formierung der sozialen und politischen Verhältnisse hat sich längst tief in diese eingeschrieben. Von der »wehrhaften Demokratie« des Adenauer-Regimes in den 1950ern , dem »Modell Deutschland« der SPD der 1970er Jahre mit Berufsverboten, Zensurparagrafen, Isolationsfolter und 129a-Gesetzesverschärfungen, der »Operation Enduring Freedom« in den 2000er Jahren mit weltweitem Foltersystem und Stasi 2.0 in Deutschland … und und und: Es ist eine nicht endende Geschichte. Dabei ist der Begriff einer »autoritären Formierung der Gesellschaft« genauso unscharf, wie der eines »Sicherheitsstaates« oder der einer »Faschisierung«. Aber all das versucht eine Entwicklung zu fassen zu kriegen, die keinen Endpunkt kennt, eine strukturell reaktionäre und autoritäre Wirklichkeit bürgerlicher Herrschaft.
Ja, eigentlich ist uns klar, dass es dort, wo radikale Gegner*innen der kapitalistischen Normalzustände aufhören, diese zu akzeptieren und es deshalb manifesten Widerspruch, Revolte und Widerstand gibt, Verfolgung und Repression nicht ausbleiben. In einer solchen Situation ist gegenseitige Hilfe, Unterstützung – eben das solidarische Zusammenstehen – eine Voraussetzung emanzipatorischer Politik. Das meint: Solidarität ist eine unserer wichtigsten Waffen! Sie braucht Gefühl und Härte, Empathie und Haltung – aber kein Mitleid. Unsere Solidarität basiert auf den gemeinsamen Zielen einer grundsätzlichen gesellschaftlichen Veränderung – so unterschiedlich die konkreten politischen Vorstellungen und Praktiken in der Linken auch manchmal sein mögen. Die gemeinsame Verteidigung gegen Angriffe auf linke Strukturen, Organisierungen und Personen, auf emanzipatorische Politik überhaupt und auf unsere Geschichte ist Ausdruck unseres politischen Selbstverständnisses. Aber ist sie auch selbstverständlich?
Natürlich sind Gedenktage Kadaver, die das Leben längst ausgehaucht haben. Das Jahr scheint vollgestopft zu sein mit jeder Sorte Gedenktage. »Jeder Sorte« natürlich nur bedingt, denn so wie Zeit und Raum, ist auch der Kalender Abbild und Produkt der herrschenden Verhältnisse und der Art und Weise, in der – und für wen – produziert wird. Deshalb: »Nichts wird vergessen« ist auf Seiten derer, die für andere den Kopf hinhalten und malochen, nicht als Gedenktag möglich, sondern als immer wiederkehrende Eroberung eigener Handlungsfähigkeit. Deshalb Kampftag, deshalb Aktionstag.
1995 schlug die Solidaritätsinitiative Libertad! vor, einen bundesweiten Aktionstag am 18. März für »Solidarität und Widerstand gegen staatliche Unterdrückung« ins Leben zu rufen. Diese Initiative wurde von anderen Antirepressionsgruppen und Solidaritätskomitees aufgegriffen, auch die Rote Hilfe schloss sich an. 1996 wurden dann erstmalig am 18. März Solidaritätsaktionen und Veranstaltungen organisiert....
]]>Mit unserem Call »Aus linker Geschichte lernen?« wollen wir dazu einladen, sich mit der Vergangenheit linker Kämpfe und Bewegungen auseinanderzusetzen – und mit der Frage, worin deren Aktualität heute bestehen könnte. Aber gibt es sie überhaupt, »die Geschichte», und können wir heute ohne Weiteres aus ihr lernen?
Die IL fragt in ihrem Call »Aus linker Geschichte lernen?« für ihren Debattenblog nach der imposanten Aufzählung demnächst anstehender historischer Jahrestage zu recht »welche Bedeutung diese – und andere – Wegmarken für die (radikale) Linke heute noch haben«. Nicht ohne halbironisch darauf zu verweisen, dass es ja auch um die »anstehenden oder bereits begonnenen Debatten um die ›richtige‹ historische Deutung der jeweiligen Ereignisse« gehe.
Ich möchte mich hier auf zwei zusammenhängende Fragen konzentrieren: Was ist Geschichte (oder Vergangenheit) und kann aus ihr gelernt werden?
Die Diskussionen sowohl der kritischen, bewegungsnahen Historiker*innen, wie auch Entwicklungen in der akademischen Zunft zeigen, dass es die »Geschichte« nicht gibt, sondern diese eine Konstruktion, wenn nicht Fiktion darstellt. Dazu trägt mit bei, so der Stand der Wissenschaft, dass es keine objektive Erinnerung gibt, sondern sich Menschen ihre eigene Vergangenheit immer wieder neu zusammensetzen.
So gibt es sicher unzweideutige »Ereignisse«, aber allein wie diese mit Wörtern und Bildern beschrieben werden, ist bereits Teil konfliktbehafteter, gesellschaftlicher Deutungsprozesse. Ich selbst gehe davon aus, dass es zwar Vergangenheit (oder auch: Vergangenheiten) gibt, »Geschichte« aber die permanente Deutung und Produktion von Deutung über diese Vergangenheit(en) ist. Insofern gibt es keine Geschichte, sondern Geschichte ist, wie über die Vergangenheit gesprochen wird. Postmoderne Historiker*innen sprechen seit Jahren davon, dass Geschichte auch Literatur sei und Klio (in der griechischen Mythologie die Muse der Geschichtsschreibung) insofern dichte. Selbst die liberale historische Bildung verwendet hier den Begriff der »Multiperspektivität«. Die radikale Linke kann und darf dahinter nicht zurückfallen.
Aus Überzeugung oder aus pragmatischen Gründen kann sich »die Linke« oder kritische Geschichtsarbeit an historischen Jahrestagen orientieren, da es rund um diese z.B. mehr Medienpräsenz des Themas und daraus resultierend mehr Interesse dafür gibt. Es wird aber auch unabhängig von solchen Konjunkturen historisches Wissen vermittelt und historisches Bewusstsein geschärft. Jahrestage wie die kommenden zu 1917 und 1918, aber auch vergangene, wie z.B. der 80jährige Beginn des sog. »Spanischen Bürgerkrieges« bieten Gelegenheiten sich die Vergangenheit anzueignen.
Dass die neuen »roten Gruppen», ihr Angebot einfacher Lösungen, ihre (vermeintliche) Klarheit und ihre schlichten Geschichtsbilder heute so attraktiv sind, ist auch ein Resultat der Versäumnisse der undogmatischen Linken. Aber kann aus »der Geschichte« überhaupt gelernt werden? Ich denke, dass die Deutung der Vergangenheit und der Umgang mit Geschichte wichtig sind. Das wäre die ganz klassische, auch von Konservativen geteilte Sichtweise, dass Menschen und auch politische Bewegungen und Strömungen wissen sollten, woher sie kommen – und dieses Wissen ihnen bei der Bewältigung ihres Lebens bzw. ihrer politischen Arbeit nützlich ist. Es gibt aber keinen Automatismus, dass aus der Geschichte gelernt werden kann. Der Lerneffekt entsteht aus der heutigen Debatte darüber, mit welchen Fragen, mit welchem Interesse und Blickwinkel...
]]>Zum 50. Jahrestag des 2. Juni 1967 haben wir Andreas, ehemaliges Mitglied der »Bewegung 2. Juni« und von Anfang an bei der Interventionistischen Linken dabei, zu einem Gespräch getroffen. Im zweiten Teil des Interviews spricht Andreas über die Unterschiede zwischen damals und heute, die Notwendigkeit einer internationalistischen Haltung und die schwierige Suche nach einer neuen weltrevolutionären Strategie.
Der erste Teil des Interviews ist hier nachzulesen.
Andreas, im ersten Teil des Interviews hast Du beschrieben, wie der 2. Juni 1967 für Euch etwas klar gemacht hat: »Die führen Krieg gegen uns«. Wenn das ein wichtiger Ausgangspunkt für Eure Rebellion war – fehlt diese Erfahrung heute oder verläuft die Konfrontationslinie an einem anderen Punkt?
Natürlich führen sie immer noch Krieg gegen uns. Dieser Ausnahmezustand hat sich normalisiert und ist ein permanenter geworden, international, aber auch hier. Mit seinen NoGo-Areas, Folterenklaven, Dauerlagern, Kriegsgebieten – und natürlich den Wohlstandsinseln inmitten des Elends. Und es ist etwas anderes passiert: Die Erfahrung dieses sozialen Krieges von oben ist verwoben mit dem unterschiedslos gewordenen »Terror der Schwachen« - und ist in keinster Weise mehr gekoppelt an eine Möglichkeit des Aufbruchs. Das würde ich als den entscheidenden Unterschied markieren. Nicht Repression und Unterdrückung mobilisiert, sondern die kollektiv erfasste Option des Widerstandes. Ohne die sitzt nur die Furcht im Nacken. Faktisch passiert den allermeisten Aktivist*innen in Deutschland aktuell gar nix und droht auch nichts. Die Wahrnehmung ist aber eine andere. Das ist Teil der herrschenden Angststrategie. Wir dagegen müssen Mut machen.
Denn auch damals hatten wir es mit einer repressiven Regierung zu tun und die Mehrheitsgesellschaft war rechts und wir nur eine kleine radikale Minderheit. Dem 2. Juni 1967 sind die Diskussionen um die Notstandsgesetze vorausgegangen, dann kamen die Schüsse auf Ohnesorg und später auf Dutschke, das hat das Bild abgerundet und auf den Punkt gebracht. Aber es lähmte nicht, weil in tausend Rebellionen rund um den Globus eine Möglichkeit des Handels spürbar und sichtbar wurde. Deswegen hatten alle eine Antwort, egal wie unklar und ideologisch die war. Und alle waren fest überzeugt: Wenn wir es so machen, können wir wirklich etwas verändern.
Eines unser Probleme heute ist dagegen, dass es selbst denjenigen, die sich wehren, kaum gelingt, überzeugend eine echte Perspektive der Hoffnung und Veränderung zu vermitteln. Es fehlt uns die notwendige Glaubwürdigkeit, es ernst zu meinen. Unsere NoG20-Plakate bringen diese Dialektik auf den Punkt: Hoffnung kommt von Rebellion, Rebellion entsteht aus Hoffnung. Jetzt müssen wir das mit Leben füllen.
Aber hat die veränderte Wahrnehmung von Repression nicht auch damit zu tun, dass ein Teil der Leute seit den »1968er Jahren« tatsächlich viel mehr Freiheiten genießt, dass die Gesellschaft insgesamt liberaler geworden ist – und sich deshalb die Bedingungen von Protest und Widerstand grundlegend verändert haben?
Natürlich, das ist so. Und gleichzeitig existiert beides ganz eng nebeneinander. Nehmt die Situation hier in Frankfurt: Einerseits gibt es das beschwerdehafte Lob des Yuppie-Krawalls am Friedberger Platz im Nordend. Aber denen werden Toiletten hingestellt. Es wurden die...
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