Neue Kriege – Alte Antworten

Eine neue Friedensbewegung hat Freund*innen bei Ende Gelände, in Rojava und kennt die Antifa. Von neuen Kriegen, alten Gewissheiten und darüber, was eine Friedensbewegung des 21. Jahrhunderts braucht.

Tag X?

2001 und 2003 kamen bundesweit selbst in kleinsten Ortschaften Menschen gegen den Krieg auf die Straße: Damals brachten die Bomben über Kabul und Bagdad nicht nur die alte Friedensbewegung, sondern auch junge Schüler*nnen auf die Marktplätze, in die Fußgängerzone und vor die Schulen. Vielleicht, weil der zweite Irakkrieg auch den Noch-Nicht-Politisierten endgültig zeigte, dass nach 1990 die Geschichte nicht zu Ende war: Friede, Freude, Eierkuchen sind und bleiben im Kapitalismus nur hohle Versprechen. Zum ersten Mal seit dem Ende des Kalten Krieges setzte eine Weltmacht ihren imperialen Anspruch mit Lügen und Völkerrechtsbruch durch. Nichts machte das damals deutlicher als der Angriff der USA auf den Irak. Das mobilisierte damals – ein letztes Mal – eine breite Masse der alten Friedensbewegten, die ihre anti-imperialistische Ideologie bestätigt sahen und erreichte auch diejenigen Schüler*nnen, die seit 1990 eine sorglose Zukunft zwischen Plateauschuhen, Diddlmaus und Grunge versprochen bekommen hatten. Und danach?

Der neue Krieg bewegt nicht

Machen wir uns nichts vor: Aktuell gibt es keine Friedensbewegung. Es gibt auch kein dynamisches Moment wie 2001 und 2003, an das eine neue Friedensbewegung anknüpfen könnte. So zerstört heute, 2019, bereits seit vier Jahren ein Krieg den Jemen, in dem Saudi-Arabien Luftangriffe geflogen, Deutschland Waffen geliefert und der die »aktuell weltweit schlimmste humanitäre Katastrophe« (UNO) im Schlepptau hat – aber die Menschen gehen nicht auf die Straße. Warum ist das so?

Der Krieg der saudischen Allianz im Jemen trägt alle Zeichen eines sogenannten neuen Krieges. Theoretische Stichwortgeberin dafür ist Mary Kaldor. Den neuen Krieg soll man vor allem daran erkennen, dass die Kriegsgegner nicht mehr zwei (drei…) Staaten sind. Die Kriegsparteien im neuen Krieg setzen sich stattdessen aus vielschichtigen Gruppen – etwa Rebell*innen, Warlords, privatwirtschaftlichen Söldnern – zusammen. Staatliche Militärangriffe sind damit nicht ausgeschlossen. Sie finden wie im Fall des Jemens durch die saudi-arabischen Luftangriffe auch statt. Sie sind aber eben nur noch eine kriegerische Möglichkeit von vielen. Der neue Krieg kann auch als IT-, Wirtschafts-, Propaganda- oder Hungerkrieg geführt werden. Man könnte nun meinen, eine solche vielschichtige, unüberschaubare Kriegsmelange mache eine Friedensbewegung unmöglich.

»Krieg«

Das fängt schon damit an, dass die Berichterstattung den Krieg im Jemen nicht einheitlich framed – mal läuft er als Jemenkrieg, mal als Jemenkonflikt mit Kontrahenten, mal als Bürgerkrieg, mal als schlimme Lage im Jemen. Übrig bleibt dann oft nur das Stichwort humanitäre Katastrophe, ohne dass diese direkt auf den dahinterstehenden militärischen Angriff der saudischen Allianz mit deutscher Schützenhilfe – Seeblockade – zurückgeführt wird. Dieses Ringen um Worte mutet nicht nur angesichts der staatlichen Propaganda zum war on terror zynisch an. Wieso kann ein Staat sein Kriegsprogramm als solches – positiv besetzt! – benennen, während Worte für den realen, brutalen Krieg wie heiße Kartoffeln im Mund herum geschoben werden? Es ist an der Zeit, diese Zeichen wieder umzudrehen. Ein erster – kleiner – Ansatzpunkt für den politischen, medialen Diskurs ist deshalb, eine »Konfliktlage« wie im Jemen, mag sie auch noch so vielschichtig und nicht-staatlich sein, konsequent als das zu benennen, was sie ist: als Krieg. Das ist der Kern der vermeintlichen Komplexität. Damit vereinfachen wir weder Analyse noch Erzählung. Wir bringen beides auf den Punkt, den die 80% in Deutschland, die Waffenexporte in Kriegs- und Krisengebiete ablehnen, mit oder ohne theoretische Unterbauten klar sehen können. Krieg bleibt Krieg.

Krieg an sich bewegt nicht (mehr)

Nicht nur der neue Krieg, auch der Krieg an sich – mag er auch noch so »schlimm« sein – ist aber nichts, was bewegt. Es braucht immer – entweder im Zusammenspiel oder für sich – eine (gefühlte) persönliche Betroffenheit, eine Verbindung zu einer Idee/Ideologie oder die realistische Möglichkeit der Auslöschung der Menschheit, damit sich Leute auf die Straße stellen und dauerhaft politisch aktiv werden.

Aber wer ist von Krieg schon noch persönlich betroffen? Die Generation, die aus eigener Kriegserfahrung eine pazifistische Haltung gezogen hat, stirbt; die Wehrpflicht ist – vorerst – abgeschafft; Bilder in den Medien führen nur bei wenigen Menschen dazu, über Spenden hinaus selbst aktiv zu werden. Welche anti-militaristische Ideologie gibt es denn noch? Das, was daraus noch bewegt, ist solidarischer Internationalismus – wie zuletzt die Demonstrationen gegen den Angriff auf Afrin im Februar und März 2018 gezeigt haben. Eine breitere Bewegung entstand daraus nicht. Für eine solche sorgen ebenso wenig die linken Spektren der immer schmaler werdenden christlichen Ideologie – starke Trägerin des Pazifismus im 19. Jahrhundert. Und die Möglichkeit eines Atomkriegs ist seit 1990 im Bewusstsein der Menschen verblichen. Die dystopische Katastrophe der Menschheit ist vom Atomtod zum Klimatod gewandert – um diesen kümmert sich Ende Gelände und nun auch die Schüler*nnen bei Fridays for Future.

Was von den neuen Kriegen bleibt

Sieht‘s unter diesen Vorzeichen also mau aus für eine neue Friedensbewegung? Sind mit den neuen Kriegen, also den innerstaatlichen oder transnationalen »Dauerkonflikten«, nicht nur die staatlichen Akteure, sondern damit auch die klaren Gegner*innen einer Friedensbewegung aus dem Blickfeld gefallen? Bleibt von einer Friedensbewegung nur noch die mehr oder weniger große Solidaritätsdemo anlässlich eines selten gewordenen direkten staatlichen Kriegsangriffs?

Eines – und genau das ist den genannten 80% in Deutschland klar – bleibt auch in den neuen Kriegen sehr deutlich übrig: Der Staat ist und bleibt Waffenexporteur. Damit bleibt er Unterhändler des Kapitals. Wir denken, dass das Umfrageergebnis in dieser Deutlichkeit vielleicht sogar direkte Folge der neuen Kriege ist – nicht mehr der angreifende Staat, sondern die Waffenexporte und damit die Zusammenarbeit von Staat und Rüstungsindustrie sind vielleicht noch das einzig klar Erkennbare im neuen Krieg. Darin liegt für eine neue Friedensbewegung eine doppelte Chance: Der Angriff auf deutsche Rüstungskonzerne ist nicht nur richtig, weil er gegen den kriegerischen Kapitalismus gerichtet ist. Dieser Angriff stellt in der Frage Krieg und Frieden aktuell auch die einzige Möglichkeit dar, einen global agierenden, aber konkreten Gegner vor Ort angehen zu können.

Waffenschmiede

Die neuen Kriege ermöglichen uns – so klar wie lange nicht zuvor – die Zuspitzung von Anti-Militarismus, Pazifismus und Humanismus auf einen expliziten Anti-Kapitalismus, gegen die Konzerne, für ein besseres Leben. Der größte deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall ist bereits im Fokus einer anti-militaristischen Bewegung, die stark von der Solidarität zu unseren kurdischen Freund*innen geprägt ist. Und der Konzern tut uns den Gefallen, nicht nur immer größeres Wachstum, Wachstum, Wachstum als Devise auszuschreiben, sondern er strebt auch eine Monopolbildung mit französischen Konzernen als Joint Venture an und möchte sich damit für den größten europäischen Rüstungsauftrag in den nächsten Jahren bewerben. Der richtige Gegner also.

Eine neue Friedensbewegung

Der richtige Gegner für eine neue Friedensbewegung. Eine neue Friedensbewegung ist internationalistisch, tauscht sich mit sardischen Anarchist*innen aus und trägt die Fahnen der kurdischen Selbstverteidigung. Eine neue Friedensbewegung ist aktiv vor Ort – mit Aktionen gegen die Aktionärsversammlung von Rheinmetall und in Diskussion mit Dorfbewohner*innen an deutschen Produktionsstandorten. Eine neue Friedensbewegung hält Reden auf der Seebrückendemo – Rheinmetall rüstet auch die europäischen Außengrenzen auf. Eine neue Friedensbewegung setzt sich mit alten Friedensbewegten, Putin- und Assadfreund*nnen auseinander und tut alles dafür, dass der nächste Krieg nicht wieder zu einem weiteren Steigbügel für die Rechte wird. Eine neue Friedensbewegung unterhält sich mit der Klimabewegung – können wir aus den Kämpfen von Ende Gelände gegen RWE lernen? Worin liegen die Unterschiede zwischen den Arbeitsplätzen in der Kohleindustrie und denen in der Waffenschmiede? Welche Folgen ziehen wir daraus? Kann die Klimabewegung aus der guten alten Konversion lernen? Und spätestens wenn Armin Papperger, der Konzernchef von Rheinmetall, zuletzt gegen Waffenexportverbote sagt, Deutschland dürfe aus ideologischen Gründen keinen Sonderweg gehen, ist für eine neue Friedensbewegung auch der Bogen zum Antifaschismus geschlagen.

Wenn in naher Zukunft Krieg im Iran geführt werden sollte, sollten wir nicht erst anfangen müssen, alten Friedensbewegten politische Infrastruktur streitig machen zu müssen, sondern wir sollten sie schon in der Hand halten. Und wenn Europa anfängt an seinen Außengrenzen auf Klimageflüchtete zu schießen, sollten wir nicht aufschreien müssen, sondern Rheinmetall endgültig zerschlagen können. Eine neue Friedensbewegung gibt es noch nicht. Aber wir sollten neugierig auf sie sein und sie mit aufbauen.


Autorin: Venja ist organisiert in der IL Berlin und Teil der der AG Krieg und Frieden.

Bild: Ostermarsch 1960 von Hamburg nach Bergen-Hohne (die anderen Sternmarsch-Gruppen kamen von Bremen, Braunschweig und Hannover) von Konrad Tempel bei wikimedia commons