Rambazamba in JWD

Der Krieg des türkischen Staates gegen die Revolution in Rojava wird auch in den Produktionsstätten von Rheinmetall in Unterlüß gemacht. Die AG Krieg und Frieden der IL-Berlin hat eine Auswertung zum "Rheinmetall entwaffnen"-Camp geschrieben.

Das Rheinmetall-Entwaffnen-Camp fand Anfang September 2019 bereits im zweiten Jahr statt. Mehr als 300 Menschen beteiligten sich an der Blockade des Produktionsstandorts in Unterlüß. Damit war die Beteiligung an Camp und Aktion mehr als doppelt so groß wie im vorangegangenen Jahr

Um 5 Uhr morgens geht‘s los. Die Blockade-Aktion startet. Runter vom Camp-Gelände und keine 300 Meter die Dorfstraße hinauf, da geht es auch schon ins Unterholz. Um 5:20 Uhr haben wir bereits drei zentrale Blockadepunkte besetzt und warten auf den Schichtwechsel der Rheinmetall-Belegschaft. Aber alles der Reihe nach.

In einem kleinen Dorf

Unterlüß ist ein kleines Dorf zwischen Celle und Uelzen in Niedersachsen. Dort leben 3.500 Menschen. In der Gegend gibt es viele Dörfer, die so oder so ähnlich wie Unterlüß sind. Es gibt nicht viel außer Wälder und Heidelandschaften. Eine strukturschwache Region, wie häufig gesagt wird. Aber Unterlüß ist andererseits auch etwas Besonderes, denn dort hat der größte deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall zwei Produktionsstandorte und beschäftigt etwa 1.800 Menschen. Natürlich kommen nicht alle Rheinmetall-Beschäftigten aus dem Dorf. Es gibt auch PKW mit Hannoveraner Nummernschildern, die das Werk bei Schichtwechsel verlassen oder dorthin fahren. Trotzdem ist damit schon viel über das Dorf und die Region gesagt: Ein Großteil der Anwohner*innen ist ökonomisch abhängig von der Rüstungsproduktion. Deswegen wird Unterlüß auch nie ein Widerstandsnest werden, wie es so viele Dörfer im Wendland waren und noch sind, deren Bevölkerung selbst Teil der Anti-Atom-Bewegung ist und deren Türen öffnen stehen, wenn Aktivist*innen von außerhalb kommen, um ihren Kampf zu unterstützen. Im Wendland ging es um etwas, das kein Mensch dort haben wollte: Ein Atommülllager. In Unterlüß bietet Rheinmetall mit Abstand die meisten Arbeitsplätze in der Region an. Ein Großteil der Bevölkerung ist gegen uns. Wir sind in ihren Augen die Unruhestifter*innen. Wir gefährden den Dorffrieden. Und deshalb gibt es auch eine Petition der Dorf-Wutbürger*innen gegen uns.

Dennoch gibt es dort natürlich auch Verbündete; Leute, die wissen und die wissen wollen, wohin Rheinmetall seine Waffen exportiert und die durchschauen, dass Konzern und Politik zwar ständig von „Sicherheit“ und Schutz reden, dass aber durch Aufrüstung und Waffenexporte keine Sicherheit geschaffen wird, sondern deren Gegenteil. Einer von ihnen brachte uns selbstgebackenen Kuchen auf das Camp, eine andere erzählte uns am Supermarkt: „Es ist gut, dass ihr hier seid“. Am ersten Tag des Rheinmetall-Entwaffnen-Camps, am 1. September, gab es das Angebot an die Anwohner*innen auf dem Camp-Gelände zu einem Anti-Kriegscafé zu kommen und mit den Camp-Menschen in Kontakt zu treten. Es kamen nicht viele. Es braucht offensichtlich andere Angebote, um die kritischen Anwohner*innen zu erreichen und zu ermöglichen, dass auch sie ihre Meinung öffentlich und solidarisch äußern können.

Im Rahmen des Camps fand eine Vielzahl von Aktionen statt. Zur Mitte der Woche sind fast 100 Menschen in das etwa 15 Kilometer entfernte Dorf Hermannsburg gefahren, um vor dem Haus des Rheinmetall-Bosses Armin Papperger zu protestieren. Knapp zwei Wochen später hat er sich in einem FAZ-Interview beschwert, weil wir ihn besucht haben: Das gehe eindeutig zu weit, an seinem Privathaus. Wir finden das gut. Und wir stellen erfreut fest: Eine Fokussierung auf die Person hat offensichtlich zu Reaktionen geführt, die bei anderen Aktivitäten leider ausgeblieben waren.

KZ-Außenlager Tannenberg

Den darauffolgenden Tag gab es eine antifaschistische Gedenkaktion: Der Weg der Erinnerung. Durch eine Veranstaltung und einen Aktionstag wurde darauf aufmerksam gemacht, dass in unmittelbarer Nähe der Rheinmetall-Produktionsstätte das KZ-Außenlager Tannenberg von Bergen-Belsen existierte. Von Sommer 1944 bis März 1945 waren hier 900 osteuropäische jüdische Frauen inhaftiert, die Zwangsarbeit für Rheinmetall leisten mussten. Als die SS-Bewachung angesichts der nahenden britischen Truppen floh, erlebten die Frauen einen kurzen Moment der Befreiung, bis ortsansässige Nazis des Volksturms die Frauen ins KZ nach Bergen-Belsen brachten, wo viele noch kurz vor Kriegsende wegen der elenden Bedingungen zu Tode kamen. Im Rahmen der Aktion wurde u.a. ein Gedenkstein am Ort des Außenlagers Tannenberg aufgestellt. Bereits am Ende des Camps war allerdings klar, dass der Gedenkstein beschmiert und umgekippt worden war. Nach einer Woche war er komplett zerschlagen.

Neben einer Demonstration durch den Ort am Ende der Woche, gab es noch weitere Aktionen und jede Menge inhaltliche Workshops. Mit Genoss*innen aus den Rheinmetall-Standorten auf Sardinien und in Südafrika waren auch internationale Gäste auf dem Camp, mit denen wir zusammen über das Vorgehen von Rheinmetall in den unterschiedlichen Ländern und den gemeinsamen Widerstand dagegen diskutieren konnten.

Die Aktion, auf die wir besonders hingefiebert und -gearbeitet haben, war die Blockade des Produktionsstandortes „Rheinmetall Waffe Munition“. Am frühen Freitagmorgen um 5 Uhr ging es los. Schnell wurden die neuralgischen Zufahrtswege rund um die Fabrik besetzt. Aber die hermetische Blockade einer Fabrik, die von Wald und Waldwegen umschlossen ist, ist gar nicht so einfach. Ab und zu haben es kleine Grüppchen von Arbeiter*innen in die Fabrik geschafft – bis wir am späten Vormittag mit insgesamt fünf Blockadepunkten das Ding komplett dichtmachen konnten.

Erfolgreiche Blockaden

Ein Schichtwechsel am Freitagnachmittag fand nicht mehr statt. Mehrere LKW kamen am Freitag nicht zum Werk durch und mussten umdrehen. Rheinmetall selbst bestätigte, dass es zu Produktionseinschränkungen gekommen sei, bestritt allerdings einen Produktionsausfall.

Aufschlussreich war auch das Verhalten der Polizei. Sie beobachteten lediglich die Blockadeaktion und vermieden – von einzelnen Ausnahmen abgesehen – Provokationen. Sie trugen in den allermeisten Situationen keine Helme und traten nicht aggressiv auf. Und sie legten auch keinen besonderen Eifer bei der Strafverfolgung an den Tag. Es schien als hätten sie nur den Auftrag, den Verkehr zu regeln und arbeitswillige Beschäftigte an ihren Arbeitsplatz zu bringen.

Die totale Deeskalation

Die Polizeitaktik war derart zurückhaltend, dass der Schluss naheliegt, dass sie, sicher auch in Absprache mit dem Konzern, keine konfrontativen Situationen und Bilder produzieren wollten. Alles was auf einen handfesten Konflikt zwischen Rüstungsgegner*innen und Rüstungsindustrie öffentlich hindeuten könnte, sollte vermieden werden. Die Erzählung des Konzerns und der Polizei war dann auch dementsprechend: Ja, es gab Proteste, aber eigentlich ist nichts passiert. Niemand wurde ernsthaft verletzt, niemand wurde verhaftet. Wir sind alle gute Demokrat*innen. Das passt im Übrigen auch zur generellen Linie des Konzerns: In der Regel lieber unter dem Radar bleiben. Wenig Presse, wenig Aufmerksamkeit ist gut.

Wenn es derart gelingt, die Proteste zu deckeln, schließt sich die Frage an, wie wir damit in Zukunft umgehen wollen. Wenn wir zwar eine regelüberschreitende, ungehorsame Aktion durchführen, aber der Regelübertritt von der Gegenseite nicht als solcher anerkannt und geahndet wird, dann hat der Regelübertritt auch nicht den beabsichtigen Effekt. Er soll ja gerade deutlich machen, dass es legitim ist, Regeln zu überschreiten, weil es den Gegenstand, um den es geht, notwendig macht. Die Gegenseite soll bewusst herausgefordert werden, indem wir ein kalkuliertes Risiko der Repression und Strafverfolgung eingehen. Aber was, wenn sich die Gegenseite dadurch nicht herausfordern lässt?

Die nächste Stufe

Wir können es auch aus einer anderen Perspektive sehen: Wenn die Polizei uns solche Freiräume lässt, wieso nutzen wir nicht die Chance, um uns darin zu entfalten? Dabei muss handlungsleitend bleiben, wie wir Rheinmetall weiter unter Druck setzen können. Es geht auch darum, wie wir für alle unmissverständlich deutlich machen können, dass es einen essenziellen Konflikt zwischen uns und der Rüstungsindustrie gibt. Und diesen Konflikt gilt es exemplarisch in und durch Aktionen abzubilden und öffentlich zu machen.

Politisches Resümee des Camps

Das Camp und die Aktionen waren ein wichtiger Schritt, die Antikriegsbewegung zu reanimieren. Es war zwar nach wie vor ein kleines Camp, aber es waren wesentlich mehr Aktivist*innen dort als im vergangenen Jahr. Feminismus bildete einen Schwerpunkt. Er wurde inhaltlich in Workshops thematisiert, es gab das permanente Angebot der Organisierung von FLINT (Frauen, Lesben, Intersexuell, Nicht-Binär, Trans)-Personen. Auch die enge thematische Verbindung der praktischen Kritik an Aufrüstung und Waffenexporten mit der Rojava-Solidarität war ein wesentlicher Bezugspunkt vieler inhaltlicher Beiträge der anwesenden Gruppen und Zusammenhänge und fast überall präsent. Diese beiden Schwerpunkte waren genau richtig. Eine Neue Antikriegsbewegung wird feministisch und rojava-solidarisch sein oder sie wird gar nicht existieren.

Von der Hauptversammlung zum Ratschlag

Bereits im Mai 2019 haben wir gemeinsam mit vielen Genoss*innen die Hauptversammlung des Aktienkonzerns Rheinmetall in Berlin auf spektakuläre Weise für fast eine Stunde unterbrochen. Die erfolgreichen Blockadeaktionen wie auch das Camp als Ganzes waren für uns der nächste Schritt in unserer Kampagne gegen den größten deutschen Rüstungskonzern und Waffenexporteur.

Im November werden wir uns mit unseren Kooperations- und Bündnispartner*innen zu einem Bewegungsratschlag treffen, um eine strategische Diskussion fortzusetzen, die wir auf dem Camp in Unterlüß begonnen haben – und um einen gemeinsamen Plan für 2020 zu schmieden.


Autor*in: AG Krieg und Frieden der IL Berlin

Bild: feministische Blockade von "Rheinmetall entwaffnen"