Über den Kapitalismus hinaus transformieren? Gesellschaftlicher Umbau jenseits von Reform und Revolution

One Solution Revolution? Tatsächlich enthält der Transformations-Begriff vielmehr die bereits in kapitalistischen Zeiten notwendigen Veränderungen, auf deren Basis eine neue Gesellschaft entstehen kann – meint zumindest Felix.

Die Zeiten, in denen die Arbeiter*innenmassen auf den Barrikaden für den Kommunismus kämpfen, sind (leider) schon etwas länger vorbei. In Anbetracht des Zustands der Welt (als Stichworte sollen hier die Klimakrise, Hungersnöte im globalen Süden und zunehmende Konzentration des Reichtums genügen) steht für die radikale Linke die Abschaffung des Kapitalismus immer noch ganz oben auf der Tagesordnung – zumindest sollte sie das. Strittig ist jedoch, wie wir dies erreichen können, und wie der Prozess der umfassenden Umgestaltung unserer Gesellschaft benannt werden soll. Um Letzteres soll es in diesem Debattenbeitrag gehen – genauer gesagt darum, ob das Konzept Revolution durch das Konzept Transformation ersetzt werden soll – einem Begriff, der zunehmend auch von antikapitalistischen Linken (gerne mit dem Zusatz »sozial-ökologisch«) in die Diskussion gebracht wird..

Wie jeder andere Begriff werden auch Revolution und Transformation erst mit Bedeutung gefüllt. Die Debatte um die Begrifflichkeiten soll daher keine Wortklauberei sein, sondern darlegen, welche Aspekte und Eigenschaften die jeweiligen Begriffe betonen, welche Denkräume damit eröffnet werden und was daraus für die politische Strategiebestimmung und Praxis folgt.

Was bedeutet Transformation?

Zunächst einmal – was ist mit sozial-ökologischer Transformation gemeint, dem Begriff, der hier als aktuelles strategisches Projekt der radikalen Linken vorgeschlagen wird? Transformation wird in diesem Text verstanden als Prozess umfassenden sozialen Wandels von Gesellschaftsmodellen, ausgehend von unserem jetzigen kapitalistischen Wirtschaftsmodell hin zu einer befreiten (hier bitte selbst einsetzen: kommunistischen, antikapitalistischen, herrschaftsfreien, empanzipatorischen…) Gesellschaftsordnung. Sozial-ökologisch soll die Transformation deshalb sein, da nicht nur die sozialen und ökonomischen Verhältnisse grundlegend geändert werden müssen, sondern auch das Verhältnis der Gesellschaft zu Natur (das »gesellschaftliche Naturverhältnis«) neu gestaltet werden muss. Ohne Letzteres wird die Erderwärmung dafür sorgen, dass wir den Korridor klimatischer Stabilität verlassen, der in den letzten 10.000 Jahren das ermöglicht hat, was heute »menschliche Zivilisation« genannt wird.

Die momentane Karriere des Transformationsbegriffs fußt nicht zuletzt darauf, dass erkannt wurde, dass aus Polanyis Analyse der Transformation von der feudalen zur kapitalistischen Gesellschaft viel zu Lernen ist. In seinem Werk ›The Great Transformation‹ (1944) ist nicht nur die Darstellung interessant, wie die Durchsetzung der Marktwirtschaft vorherige soziale Beziehungen zerstören musste, und wie die mit der Reduzierung der Menschen auf ihre Arbeitskraft einhergehenden Verarmungen zu verzweifelten Gegenbewegungen führte. Ebenfalls relevant ist die Beschreibung, wie eine Vielzahl von Akteur*innen unterschiedliche Änderungsprozesse technologischer, wirtschaftlicher, sozialpolitischer, kultureller etc. Art anstößt, die sich in einem langwierigen Prozess zu dem gesellschaftlichen Wandel verdichten, dessen Ergebnis die moderne kapitalistische Gesellschaft ist. Häufig waren die Interventionen mit ganz anderen Zielen initiiert worden als die vollständige Durchsetzung der Marktlogik, hatten aber als unintendierte Nebeneffekte zur Etablierung zentraler Funktionsweisen des kapitalistischen Systems beigetragen. Die politischen Interventionen kontrastiert Polanyi mit der in der liberalen Wirtschaftswissenschaften verbreiteten Ansicht, dass sich der Kapitalismus selbstständig durch eine den Märkten innewohnende natürliche Tendenz zur Ausbreitung etabliert hat.

Die Betonung von verschiedenen, sich überlagernden Dynamiken kann mit linearen Revolutionskonzepten kontrastiert werden, die in bestimmten Spielarten des (Vulgär-)Marximus propagiert wurden. Der Begriff der Transformation legt ein starkes Augenmerk auf die Vielfältigkeit der Übergangsprozesse. Rolf Reißig, der Autor des Werkes ›Die zweite Transformation‹, versteht ihn folgendermaßen:

»Revolution wurde eher als abrupter, als jäher Bruch mit der Vergangenheit verstanden (und erfahren!), als vorbestimmter Durchbruch zu einer kommenden, neuen bzw. höheren Daseinsordnung. Im Unterschied zum Begriff der Revolution sollte der Begriff der Transformation mehr die Ereignisgeschichte, die Entstehung des Neuen auch schon im Alten, die Kontingenz, die Offenheit des Prozesses, die unterschiedlichsten Formen von Übergängen und auch den Verzicht auf Mystifizierungen und Heilserwartungen reflektieren (können).«

In der linksradikalen politischen Praxis folgert aus der Verwendung des Transformationsbegriffs, dass politische Interventionen gleichzeitig an einer konkreten Verbesserung der Zustände ansetzen, aber parallel zu der Überwindung des kapitalistischen Systems beitragen sollten. Somit ist nicht alles, was vor der Abschaffung des Kapitalismus an sozialen und ökologischen Verbesserungen erkämpft und aufgebaut werden kann »Quark«, sondern notwendige Bedingung für den grundlegenden Umbau. Damit öffnet sich der Transformationsprozess stärker für Suchprozesse, die notwendig sind, um Alternativen zum kapitalistischen Konsum- und Produktionsmodell zu entwickeln. Ohne einer Vielzahl von bereits in Nischen ausprobierten Keimformen (1|2) und Einstiegsprojekten wird es eine neue Gesellschaft schwer haben, nach einer Revolution Alternativen anbieten zu können.

Lebensweisen in den Metropolen des Kapitalismus

Der Transformationsbegriff erlaubt außerdem, unser aller Verwobenheit mit dem kapitalistischen System zu reflektieren. Wer auf welcher Seite der Barrikade zu stehen hat, lässt sich heute nicht allein durch Hinweis auf die objektive Klassenzugehörigkeit bestimmen. Das Konzept der imperialen Lebensweise verdeutlicht, dass unsere Konsumgewohnheiten und Produktionsverhältnisse die Kosten des Wohlstands auf den globalen Süden, künftige Generationen, und die »Natur« auslagern. Durch unsere Teilhabe an der Ausbeutung sowie die (größtenteils unbewusste) Verinnerlichung der kapitalistischen Zwänge findet der Kampf gegen das System nicht nur gegen die Repressionsorgane und Kapitalist*innen statt, sondern auch in uns drin: die Stärkung von Werten wie Solidarität und die Überwindung von neoliberalen Selbstoptimierungskonzepten und Arbeitsethos mag zwar nicht revolutionär sein, ist aber eine notwendige Voraussetzung dafür, dass der Übergang zu einer neuen Gesellschaftsordnung emanzipativen Charakter hat. Subjekt und Struktur stärker zusammen zu denken ist daher ein weiterer Vorteil des Transformationsbegriffs.

Gleichzeitig darf sich die Transformation nicht in Beliebigkeit verlieren. Die Erwartung, dass durch die Änderung des persönlichen Konsums und ein wenig Selbstversorgung ein Systemwandel eingeleitet würde, ist natürlich falsch. Die Analyse von Macht, Herrschafts- und Eigentumsverhältnissen sowie gesellschaftlichen Naturverhältnissen ist notwendig, um die sozial-ökologische Transformation strategisch voranbringen zu können. Gerade hier ist es sinnvoll, als radikale Linke mit kritisch-wachsamem Auge auf die Propagierung der »sozial-ökologischen Transformation« von nicht dezidiert antikapitalistischen Ansätzen zu schauen und nach deren emanzipatorischen Gehalt zu fragen. Die mangelnde Analyse von Machtstrukturen ist mehr als nur ein fehlendes Detail in der den Konzepten vieler Mainstream-Akteure der Transformationsdebatte.

Auch die Transformation wird kein Ponyhof sein. Der Abbau von Privilegien, die Entmachtung von Eliten und die Umverteilung von Privateigentum wird auch bei einer sozial-ökologischen Transformation keine »win-win«-Konstellation sein, sondern auch konflikthaft verlaufen und Elemente »revolutionären« Umbruchs beinhalten. Die Betonung der Kontinuität zwischen heutigem transformatorischen Handeln und der zukünftigen Gesellschaft legt aber auch nahe, dass eine totale Entkopplung der während der Revolution anzuwendenden Werte und Prinzipien von den eigentlich anzustrebenden postrevolutionären Werten nicht zielführend ist. Anders ausgedrückt: auch im Prozess des Umbruchs heiligt der Zweck nicht jedes Mittel.

Die (bisherigen) Grenzen des Transformationsbegriffs

Wie jedes Konzept gibt es aber auch beim Transformationsbegriff Schwach- und Leerstellen, deren Reflexion lohnend und wichtig ist: Zum einen stellt sich die Frage nach den vergangenen Kämpfen, revolutionären Momenten und der Geschichte einer Verschiebung von Kräfteverhältnissen im emanzipatorischen Sinne: Entsorgt der Transformationsbegriff die Geschichte der Kämpfe von Arbeiter*innen, in dem das Vokabular der revolutionären Bewegungen nicht mehr verwendet wird? Da soziale Kämpfe bislang selten mit dem Ziel einer sozial-ökologischen Transformation geführt wurden, sollten tatsächlich größere Anstrengungen unternommen werden, sich stärker auf historische und aktuelle Kämpfe zu beziehen, und entsprechende Erfahrungen in die strategische Ausrichtung aufzunehmen. Die soziale Frage wird in den meisten Transformationsdiskursen derzeit vernachlässigt. Im Gegensatz zum Revolutionsbegriff öffnet sich der Transformationsbegriff allerdings gleichzeitig für die Bezugnahme von Auseinandersetzungen, die sich im Revolutionsbegriff eventuell nicht wiedergesehen haben, beispielsweise eher ökologisch orientierte Kämpfe der Anti-Kohle-Bewegung.

Lohnt eine Bezugnahme auf den Begriff überhaupt, wenn sich sogar das Weltwirtschaftsforum unter diesem Begriff sammelt? Ist er nicht – wie der Begriff Nachhaltigkeit vor ihm – schon zur Bedeutungslosigkeit verschwommen? Die Richtung und der Inhalt des Transformationskonzepts ist umkämpft. Daher ist es wichtig, den systemüberwindenden Charakter zu betonen, da die Transformation sonst die mit ihr verbundenen Ziele nicht erreichen kann. Offen ist außerdem die Frage, ob sozial-ökologische Transformation über einen akademischen Wirkungskreis hinaus genügend Anschlussfähigkeit besitzt, um Kämpfe zu verbinden – die Parole »Heraus zur sozial-ökologischen Transformation« wird wohl nicht die Massen auf die Straße locken. Andererseits ist auch der Revolutionsbegriff nur für eine kleine Minderheit eine ernstzunehmende Perspektive, auch hier fehlt derzeit die breite Anschlussfähigkeit und für viele hat er momentan eher eine abschreckende Wirkung.

Und ist Transformation nicht einfach der Versuch, dem Reformismus neue Kleider zu verpassen, wohl wissend, dass dieser Ansatz gescheitert ist? Um sich vom Reformismus abzugrenzen, ist einerseits die Reflexion der Machtverhältnisse unabdingbar, die oft genug wohlmeinende Reformen ins Leere laufen ließen. Konkret sollte immer wieder gefragt werden, ob dieses oder jenes Projekt nun das bestehende System stützt oder die Verhältnisse zum Tanzen bringen kann. Darauf kann es keine »one size fits all«-Antwort geben: Hausprojekte sind weder per se »Schöner Wohnen«- Modelle noch die Keimzelle einer neuen Gesellschaft. Transformatorische Projekte sollten immer eine Perspektive des »über den Kapitalismus hinauswachsen« miteinbeziehen, auch wenn sie nur ein kleines Mosaiksteinchen in einem langen Prozess sind.

Letztendlich kommt es darauf an daran, die nötigen Schritte einzuleiten, die eine Überwindung des derzeitigen Gesellschaftsmodells und den Aufbau einer postkapitalistischen Gesellschaft ermöglichen. Ob dieser Übergang im Nachhinein als Revolution oder Transformation bezeichnet werden wird, mögen die Historiker*innen der Zukunft unter sich ausmachen. Der Transformationsbegriff bietet heute jedoch die Möglichkeit, bestimmte Aspekte des Wandlungsprozess zu betonen und die Gegenwart stärker mit der zukünftigen Gesellschaft in Beziehung zu setzen. Er impliziert, dass ein »weiter so« keine Option mehr ist und dass ein radikales Umsteuern nötig ist – wie diese Veränderungen aussehen und wem sie nutzen werden, ist immer das Ergebnis gesellschaftlicher Konflikte.

Der Autor Felix ist u.a. als Teil des ILA-Kollektivs (›Imperiale Lebensweise und solidarische Alternativen‹) auf der Suche danach, wie ein Gutes Leben für Alle möglich ist.

Bild: Revolutionäre oder transformatorische Kämpfe? Die Proteste gegen Kohle und für Klima.