Keine Militanz ist auch keine Lösung


Ein Debattenbeitrag zur Klimagerechtigkeitsbewegung

Wie weiter in der Klimagerechtigkeitsbewegung, wenn die bisherigen Aktionsformen an offensichtliche Grenzen stoßen? Während in der Presse vor einer »grünen RAF« schwadroniert wird, diskutiert die Bewegung selbst sehr viel konkreter und zielorientierter – zum Beispiel im Folgenden Beitrag einiger anonymer Militanter.

Liebe Genoss*innen, Freund*innen und Gefährt*innen der Klimagerechtigkeitsbewegung (KGB) und darüber hinaus, wir* sind ein loser Zusammenhang von Aktivist*innen, der sich seit Mitte letzten Jahres mit der Frage auseinandersetzt, ob und wie es an der Zeit ist für mehr Militanz in der radikalen Linken und speziell in der KGB. Diese Debatte um Militanz, friedliche Sabotage oder ZU+ ist seitdem schon voll im Gange – nice! Wir wollen an der Stelle gerne unsere* Gedanken dazu mit euch teilen und die ein oder andere unschlüssige Person davon überzeugen, dass wir als KGB weiter gehen sollten. Um mit unseren Aktionen den sich zuspitzenden Verhältnissen durch die (Klima-)Krise gerecht zu werden, sehen wir* es als einen von mehreren relevanten Punkten, die Aktionsformen zu verändern. Wir brauchen mehr Militanz, um in einen gesellschaftlichen Klima-Diskurs mit einer radikalen Perspektive intervenieren zu können, um zum Investitionsrisiko der Konzerne zu werden, um ein revolutionäres Bewusstsein zu stärken, um den Slogan »Den Wandel selbst in die Hand nehmen« zur tatsächlichen Praxis zu machen und letztendlich, um die kapitalistische Gesellschaftsordnung zu überwinden. Hierbei konzentrieren wir* uns, aufgrund unserer eigenen politischen Arbeit, vor allem auf den Teil der KGB, der in zivilem Ungehorsam (ZU) ihre dominante Handlungsform gefunden hat.

ZU in Form von Bagger- und Schienenbesetzungen hatte u*Mn vor einigen Jahren durchaus einen antagonistischen Charakter, den wir* als einen wesentlichen Bestandteil einer militanten Handlung sehen. Allerdings haben die Aktionen des zivilen Ungehorsams rund um die Braunkohlegebiete diesen Charakter verloren. U*Mn stellen sie, in ihrer gegenwärtigen Form, mehr ein eingehegtes, von allen Seiten berechenbares Schauspiel dar, anstatt einer Systemlogik entgegen zu stehen. Dennoch sehen wir* in der Gruppe an Menschen, die sich dem politischen Kampf für Klimagerechtigkeit verschrieben haben, das Potential einen Schritt weiter in Richtung Militanz zu gehen.

Einerseits, um für uns* selber eine bessere Vorstellung davon zu haben, was wir eigentlich unter Militanz und militanten Handlungen verstehen, aber natürlich auch, um dieses Verständnis in die Bewegung zu tragen, haben wir eine Militanz-Definition aufgestellt.

1. Motivation hinter militanten Handlungen

Unserem* Verständnis nach ist Militanz ein Mittel, welches nur im Kampf für eine radikal emanzipatorische Gesellschaft Anwendung finden sollte. Eine politische Handlung ist für uns* immer dann militant, wenn sie sich antagonistisch zur bestehenden Ordnung verhält. Militante Aktionen versuchen die herrschende Logik aufzubrechen und lassen sich von dieser nicht einhegen. Bei all dem ist es notwendig, die Bedingungen für militantes Handeln als dynamisch zu verstehen. Eine ständige Reflexion der bestehenden Verhältnisse und eine hierauf aufbauende Anpassung der Aktionsform ist notwendig. Die Militanz ist demnach ein Mittel zur Erreichung eines radikal emanzipatorischen Lebens.

2. Aktionistische Ebene von militanten Handlungen

Auf der aktionistischen Ebene bedeutet militantes Handeln die Erzeugung eines nachhaltigen Schadens – also eines Schadens, der über die physische Anwesenheit der Aktivist*innen hinaus bestehen bleibt. Dieser Schaden kann finanziell sein, aber beispielsweise auch auf die Angst seitens der kapitalistischen Konzerne und Akteur*innen abzielen, Investitionen zu tätigen.

3. Verhältnis zum politischen Gegner

Zudem wollen wir* uns von Aktionen abwenden, die auf die (moralischen) Entscheidungen derjenigen abzielen, die wir eigentlich angreifen wollen (z.B. den Staat oder Konzerne). Solche Aktionen können durchaus militant sein, dennoch widerstrebt es uns*, das Gelingen einer Aktion an die Entscheidungen der Polizei oder eines Konzerns zu knüpfen. Für die Aktivist*innen sollte eine militante Aktion eine selbstermächtigende Erfahrung sein.

Wir* verstehen diese Definition eher als Anregung und laden euch dazu ein, sie mit uns* zu diskutieren und weiterzuentwickeln. Sie kann eine Orientierung dafür geben, wie Gruppen militante Handlungen ausüben können und sie zeigt auf, warum u*Mn die jetzige dominante Aktionsform in der KGB den Anspruch an Militanz nicht erfüllen, dies aber sollten. Hier meinen wir* insbesondere die ZU-Massenaktionen, aber auch FFF-Streiks, Schienenblockaden oder Wald- und Baggerbesetzungen.

  1. Der Erfolg der KGB der letzten Jahre vor der Pandemie hat zu einer spürbaren Diskursverschiebung geführt. Doch unserer* Meinung nach stagniert der Diskurs und die Aktionsformen haben ihren progressiven und aneckenden Charakter verloren. Ganz im Gegenteil sind sie mittlerweile eingehegt in das bürgerlich akzeptierte Protestspektakel und berechenbar. Dies führt dazu, dass die Aktionen für die Teilnehmenden als passive, nicht selbstermächtigende und wirkungsarme Erfahrung enden. Sie sind kein angemessener Ausdruck der Wut und führen nicht zu einem revolutionären Bewusstsein.

  2. Außerdem richten wir mit unseren Aktionen keinen nachhaltigen Schaden an. RWE plant seinen Betrieb nach unseren Aktionen und kann so den Schaden minimal halten. Der Schaden hört in dem Moment auf, in dem wir den Ort verlassen. Der Schaden ist also in keinster Weise nachhaltig.

  3. Hinzu kommt, dass wir in der aktuellen Ausführung darauf angewiesen sind, dass die Herrschenden sich an die Spielregeln halten – wenn wir uns beispielsweise passiv an die Schienen ketten. Ein Kampf gegen den Staat kann und darf sich aber nicht auf dessen Handlungen verlassen.

Wie aber militante Aktionen im Bewegungskontext umsetzen?

Militante Aktionsformen sind auch in der Umweltbewegung nicht neu. Sie wurden bereits im großen Stil im Kontext der Anti-Atom-Proteste praktiziert und werden auch heute immer wieder ausgeübt, zum Beispiel durch Sabotageaktionen an Pumpen beim Hambi. Dies bleibt jedoch meist ohne besondere Öffentlichkeitswirksamkeit. So ist die Kenntnis über diese Aktionen häufig nicht einmal innerhalb der KGB verbreitet. Unserer* Meinung nach müssen sie aus dem Sporadischen heraus geholt werden und in die dominante Aktionsform übersetzt werden. Darüber, wie militante Aktionen am besten in unsere Strategien integrierbar sind, besteht auch bei uns* noch keine Einigung. Wir* sehen verschiedene Wege, wie militante Elemente in Massenaktionen ihren Platz finden, ebenso wie die Möglichkeit, dass es eine Vielzahl an militanten Kleingruppenaktionen gibt, die koordiniert passieren und veröffentlicht werden.

Wichtig ist aber, dass die Hemmschwelle gegenüber militanten Handlungen insgesamt sinkt und die Auseinandersetzung mit Militanz zum Standard wird. Das heißt nicht, dass wir nun alle jederzeit nur noch militante Aktionen machen sollten. Wir* glauben, dass es ein nebeneinander verschiedener Formen braucht. Wir* wollen uns aber für ein Überdenken und Bereichern unseres bisherigen Handelns aussprechen. Dabei sind wir* in keinem Fall die kampferprobten Militanz-Expert*innen. Auch wir* müssen diesen Weg erst beschreiten, halten ihn aber für unbedingt nötig.

Eine längere Version des Textes ist bei indymedia erschienen.

Autor*innen: Anonyme Militante sind Aktivist*innen, die um Ende Gelände herum aktiv waren und sind.

Bild: »The Gates Are Broken Open« von Bill Smith.