Die Schlinge um die Arbeiter*innen des ex-Gkn-Werks in Campi Bisenzio zieht sich zu: Seit dem 8. November 2022 hat der neue Werksinhaber Francesco Borgomeo die Zahlung des Transformationskurzarbeitergeldes ausgesetzt. Wie steht es nun um den Kampf für eine Konversion des seit über einem Jahr besetzten Autozulieferer-Betriebes in der Toskana?
Dieser Artikel ist eine Fortsetzung des Beitrags #Insorgiamo - Fabrikbesetzung für's Klima. Auch hier danken wir der Zeitschrift Luxemburg für die Ermöglichung der Zweitveröffentlichung.
»Eccolo qua il Made in Italy« (»Das hier bedeutet Made in Italy«) heißt es auf einem Banner, das an einem Wagen voller verrosteter Achswellen für Nutzfahrzeuge befestigt ist. Damit wird humorvoll auf das italienische Wirtschaftsministerium verwiesen, dem die frisch gewählte Staatschefin Giorgia Meloni ein national-protektionistisches Antlitz verliehen und welches sie zum »Ministerium für das Made in Italy« umbenannt hat. Die dem strömenden Regen überlassenen Achswellen ähneln einem wertlosen rostigen Stahlhaufen, waren einst aber das Spitzenprodukt des britischen Automobilzulieferers GKN-Driveline. Die hochwertigen, vollautomatisierten und teils noch unbenutzten Maschinen zur Herstellung der Achswellen, die diesen GKN-Standort auszeichneten, stehen bis heute in der besetzten Fabrik. Vor dem berüchtigten 9. Juli 2021, der Tag an dem der Eigentümer von GKN, der Investmentsfonds Melrose Industries, das Werk schloss, waren hier 500 Arbeiter*innen beschäftigt, davon 422 festangestellt. 330 von ihnen sind heute noch an QF, das Unternehmen des neuen Eigentümers Francesco Borgomeo, gebunden und blicken tagtäglich auf den Stahlhaufen vor »ihrem Zuhause«, wie sie die Fabrik nennen. Einer von ihnen ist Giovanni. Er hat hier 15 Jahre lang als Abteilungsleiter gearbeitet und ist einer der wenigen leitenden Angestellten, die bis heute Teil der Besetzung geblieben sind:
»Die anderen Abteilungsleiter*innen und die Facharbeiter*innen haben sehr schnell eine neue Beschäftigung gefunden. So lange ich es mir leisten kann, will ich aber hier bleiben. Für mich ist es ein moralisches Prinzip geworden.«
Für ihn steht der beunruhigende Stillstand hier in Campi Bisenzio sinnbildlich für das Versagen der gesamten italienischen Industrie:
»Es kann nicht sein, dass ein Werk mit den technologisch hochwertigsten Maschinen, das Gewinne macht, die eigene Produktion im Handumdrehen ins Ausland verlagert und der Staat und die Institutionen dies ermöglichen, ohne einen Mucks von sich zu geben. Das heißt, dass dieses Finanzsystem, Kapitalismus, wie auch immer man es nennen will, nicht für die Gemeinschaft, sondern für private Interessen funktioniert.«
Gegen diese beängstigende Situation führt das Fabrikkollektiv GKN einen seit 17 Monaten andauernden betrieblichen Abwehrkampf, woraus sich eine außergewöhnliche sozial-ökologische Mobilisierung in der Toskana und darüber hinaus entwickelt hat. Klimaaktivist*innen, Anwohner*innen, Bäuer*innen kämpfen gemeinsam mit den Arbeiter*innen für eine ökologische Umstellung der Produktion. Bis zum November 2022 konnte die Besetzung und der gesellschaftliche Kampf, den das Fabrikkollektiv anführte, auf Grundlage eines Transformationskurzarbeitergeldes geführt werden. Dies wird ihnen durch die neue Unternehmensleitung von QF nun nicht mehr ausgezahlt.
Am 23. Dezember 2021 kaufte der Unternehmer Francesco Borgomeo die Gesamtheit der GKN-Aktien dem Investmentfonds Melrose Industries ab. Er stammt aus einer reichen norditalienischen Familie, die im Laufe des 20. Jahrhunderts im Bereich der Metallverarbeitung ein Vermögen aufbaute. Francesco Borgomeo trat in...
]]>Vom 9. bis 11. September 2022 kamen kapitalismuskritische Initiativen aus ganz Europa zum Transnational-Social-Strike-Treffen in Sofia zusammen. Der Autor Hans berichtet von den Kämpfen der bulgarischen Linken und den Diskussionen über ein transnationales Netzwerk.
Vom 9. bis 11. September 2022 fand wieder ein Transnational-Social-Strike-Treffen (TSS-Treffen) in Sofia statt. Die Zusammenkünfte gibt es seit 2015, wobei das erste Treffen am Rande von Blockupy abgehalten wurden. Auf den Treffen kommen kapitalismuskritische Initiativen aus ganz Europa zusammen von Basisgewerkschaften wie Solidaires aus Frankreich über linksradikale Bündnisse wie die Interventionistische Linke oder Plan C bishin zu Gruppen wie Angry Workers of the World aus Großbritannien. Es nehmen darüber hinaus auch viele Einzelpersonen teil. Das Treffen in Sofia war das erste seit Ausbruch der Covid-19-Pandemie in Europa. Die feministische Gruppe LevFem aus Bulgarien organisierte das Treffen und leistete auch währenddessen enorm viel Reproduktionsarbeit inklusive einer sehr spannende Stadtführung durch das ehemals realsozialistische Sofia. Hierfür möchte ich mich an der Stelle bedanken!
Die Genoss*innen auf dem Treffen teilen die grundlegende Ansicht, dass in der heutigen polit-ökonomischen Situation die Linke ihre Kampfarena über die Grenzen des Nationalstaats hinaus erweitern muss, wenn sie die Interessen der Unterdrückten erfolgreich durchsetzen will. Bis dahin ist es allerdings noch ein langer Weg. Wichtiges Thema des Treffens war zum einen der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine im Zuge einer neuen globalen Blockbildung zwischen den imperialistischen Großmächten. Bedeutend für die Teilnehmenden waren vor allem die politökonomischen Folgen für die Bevölkerungen der europäischen Staaten wie Inflation und die Kriegskosten, für die nun die europäische Arbeiter*innenklasse aufkommen soll. Ein weiterer Schwerpunkt lag auf der Lage von Frauen und LGBTQ+ sowie Migrant*innen im Krieg. Zum anderen fanden Diskussionen zu der sich immer weiter zuspitzenden Klimakrise statt, wobei auch die negative Auswirkung des Krieges für das Weltklima hervorgehoben wurde. Für uns war insbesondere der Austausch mit Genoss*innen aus osteuropäischen Ländern zu diesen Fragen wichtig, die etwa zum russischen und EU-Imperialismus ein anderes Verhältnis haben als wir, also Bewohner* des europäischen Hegemon Deutschland. Im Folgenden werde ich zunächst auf die Situation der Linken in Bulgarien eingehen, da ich glaube, dass die dortige Situation in Deutschland weitgehend unbekannt ist, und zugleich Bezüge zu den Debatten auf dem TSS-Meeting herstellen. In einem zweiten Teil werde ich mich einer Kritik des Treffens widmen.
Zu den Kampfbedingungen der bulgarischen Linken
Bei der Darstellung der politischen Situation in Bulgarien beziehe ich mich nur auf die Erfahrungen, die Genoss*innen der feministischen Gruppe LevFem und der arbeitskampforientierten Gruppe Konflikt mit uns geteilt haben. Bulgarien war seit dem Ende des WK II Teil des imperialen Blocks der Sowjetunion gewesen. Die Vertreter*innen des realsozialistischen Regimes leiteten im Zuge der Massenproteste im Ostblock 1990 Wahlen ein, wobei die Proteste in Bulgarien kleiner waren als in anderen Staaten. Wie in den meisten anderen Ostblock-Staaten ging die postsozialistische Transformation Bulgariens mit einer enormen Deindustrialisierung und dem Verlust von Arbeitsplätzen einher. Die Reformen, die im Zuge Bulgariens EU-Beitritts 2007 stattfanden, sorgten für eine weite Privatisierung öffentlicher Infrastrukturen. Mehrere Genoss*innen aus ehemaligen Ostblock- und Sowjet-Staaten beschrieben die Erfahrungen der Einführung des Kapitalismus...
]]>Der folgende Text basiert auf den Diskussionen vom letzten BPoCKanax-Wochenende der IL. Die Auseinandersetzungen, die uns dabei beschäftigen, führen wir konkret in und mit der IL. Sie sind aber Ausdruck von Herausforderungen, die insgesamt in der Linken bestehen.
Die Entscheidung zur IL eint uns. Sie zeigt, dass wir unsere politischen Kämpfe nicht von »unseren Identitäten« ausgehend führen wollten. Die politischen Ausgangspunkte sind stattdessen eher: undogmatisch, linksradikal, überregional. Oder Bestrebungen wie: nicht nur in und für die Szene, im gesellschaftlichen Handgemenge (das auch aus weißen Deutschen besteht), internationalistisch. Uns allen geht’s ums Ganze und nicht darum, unsere Kämpfe ausschließlich unter dem Vorzeichen »antirassistisch« zu führen.
Warum nicht zur IL? Wir haben keine Angst. Weder vor euch und den möglichen rassistischen Erfahrungen, den Enttäuschungen und Verletzungen, noch davor, Verrat an »unseresgleichen« zu begehen. Wir halten diese Ängste für »falsche« Ängste und politische Fehlannahmen. Wir wissen um die Gemeinsamkeiten zwischen »uns« und »euch« und halten es für notwendig, sie im Fokus zu behalten. Wir verstehen uns als vertrauensvoll (sowohl zwischenmenschlich als auch, dass es ein ernsthaftes Interesse gibt, rassistische Verhältnisse überwinden zu wollen) miteinander und angewiesen aufeinander – auf vielen Ebenen. Auf dieser Grundlage lässt sich unseres Erachtens mit Rassismen umgehen. Wir wissen auch um die Unterschiede zwischen »uns« und »euch« und die blinden Flecken – wir glauben gerade deshalb, dass es falsch wäre euch unter »euresgleichen« zu belassen. Identität ist also nicht der Ausgangspunkt bei der Frage, wie wir uns organisieren wollen. Das heißt: Wir bleiben!
»Identisch« ist mensch am Ende nur mit sich selbst. Alleinsein steht aber im Widerspruch zu Solidarität. In Zeiten der neoliberalen Vereinzelung scheint uns Solidarität als etwas gemeinsames, kollektives wichtiger denn je. Wir wissen, dass es möglich ist in unseren Unterschieden, in unserem unterschiedlich Getroffensein, gemeinsam politisch zu kämpfen. Alles andere würde die Idee von Solidarität verwerfen. Wir sind sicher, wir können in allen Unterschieden ausgehend vom Gemeinsamen agieren, wenn wir gewillt sind, die Gemeinsamkeit in antirassistischen Kämpfen zu suchen und zu finden.
Das, was sich so mutig und kämpferisch liest, hat für uns mit sozialem Kapital zu tun – mit schmerzlichem sozialen Kapital: Wir wissen uns in den Lebens-, Beziehungs- und Klassenzusammenhängen, aus denen wir ursprünglich kommen, zu bewegen. Wir wissen uns auch an Orten wie der Universität und der IL zu bewegen. Dieses »sich darin bewegen können« ermöglicht uns sehr viel, aber es ist auf verschiedenen Ebenen auch schmerzlich. Denn all das »sich bewegen können« kommt nicht zuletzt auch von einem es »müssen«. So sind wir auch in der IL manchmal Deutscher als sonst. Nicht zuletzt deshalb führen viele von uns Kämpfe, insbesondere antirassistische Kämpfe, auch oder stärker außerhalb der IL.
Dieses soziale Kapital entsteht nicht nur in alltäglichen Zwängen (Performancedruck in der Schule oder Ähnliches), sondern führt auch dazu, überhaupt in Zwänge zu kommen – also auch das »Können« führt wieder zum »Müssen«: Bestimmte Anteile unserer Selbst performen zu können, zwingt uns auch dazu, andere kontinuierlich nach hinten zu stellen oder zu unterdrücken. So ist die (post-)migrantische Beziehungsstruktur ständig geprägt...
]]>Der Einfluss großer Wohnungskonzerne am deutschen Wohnungsmarkt nimmt weiter zu. Für Mieter*innen und unsere Städte insgesamt heißt das nichts Gutes. Umso wichtiger, dass auch die Mietenbewegung ihre Kräfte bündelt und die bundesweite Organisierung gegen Vonovia & Co. vorantreibt, argumentieren Anna und Felix aus der überregionalen Recht auf Stadt-AG der IL in ihrem Artikel. Im Rückblick auf die Enteignungskonferenz von »Deutsche Wohne & Co. enteignen« in Berlin zeichnen sie strategische Diskussionen nach und informieren über nächste Schritte.
Wie kann die angestrebte Enteignung und Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne trotz der Blockadehaltung der Berliner Politik durchgesetzt werden? Was lässt sich von der Initiative »Deutsche Wohnen & Co. enteignen« (DWE) lernen? Und wie geht es mit der Mietenbewegung insgesamt weiter? Das sind einige der zentralen Fragen, die wohnungspolitisch Aktive aktuell umtreiben – und zwar längst nicht nur in Berlin. Unter dem Slogan »Wir müssen reden« sind deshalb vom 27. bis 29. Mai auf Einladung von DWE über 700 Aktivist*innen und Interessierte aus Berlin und dem ganzen Bundesgebiet – sowie teilweise dem europäischen Ausland – zur großen Enteignungskonferenz an der TU Berlin zusammengekommen. Bei Workshops, Podien, Pausengesprächen und einer rauschenden Party haben wir gemeinsam diskutiert, voneinander gelernt und Netzwerke vertieft.
Keine Frage: Die Enteignungskonferenz hat Spaß gemacht und war eine großartige Erfahrung. Ob sie auch ein politischer Erfolg war und was aus ihr folgt, wird jetzt im Nachgang diskutiert. Wir wollen zu dieser Debatte beitragen, beschränken uns dabei jedoch auf jenen Teil der Konferenz, den wir als Mitglieder der überregionalen Recht auf Stadt-AG der Interventionistischen Linken (IL) organisiert haben: die dreiteilige Workshopreihe »Bundesweit gegen Vonovia & Co.«, die ebenso wie Workshops zu lokalen Bürger*innenbegehren und zum aktuellen Stand bei der Kampagne Mietenstopp der bundesweiten Vernetzung von Aktiven diente. Ziel unserer Workshops war es, gemeinsam über bundesweite Strategien und Ansätze gegen große Wohnungskonzerne zu beraten sowie konkrete Schritte zum Bewegungsaufbau und zur Ausweitung der Enteignungs- und Vergesellschaftungsdynamik über Berlin hinaus zu planen.
Als erstes Fazit können wir festhalten: Die kontinuierliche, aktive Teilnahme von mindestens 30, in Hochphasen über 60 Aktiven an den Workshops zeigt, dass es ein großes Interesse an bundesweiter Vernetzung zu Vonovia & Co. gibt. Dies spiegelt auch die vielfältige Zusammensetzung der Teilnehmenden wider: In den Debatten vertreten waren nicht nur Aktive von DWE, der Initiative »Hamburg enteignet«, dem VoNOVia-Bündnis oder dem #NoVonovia-Bündnis gegen die Vonovia-Aktionärsversammlung in Bochum sowie von vielen lokalen Mietinitiativen aus dem ganzen Bundesgebiet (von Bremen bis Stuttgart, von Aachen bis Leipzig), sondern auch Vertreter*innen des Deutschen Mieterbundes und der Kritischen Mietaktionär*innen. Umso auffälliger war demgegenüber, dass – ebenso wie bei der Enteignungskonferenz insgesamt – nur wenige Aktive aus der Partei DIE LINKE, der radikalen Linken und der Recht auf Stadt-Szene anwesend waren. Letztere orientierte offenkundig stärker auf das jährliche Recht auf Stadt-Forum, das nur zwei Wochen später in Jena stattfand. Hier eine stärkere Brücke zu bauen, wird für die Zukunft eine wichtige Aufgabe sein.
Einig waren sich die Teilnehmenden der Workshops in der Einschätzung, dass DWE kein einzelner Leuchtturm bleiben dürfe, sondern von Berlin aus ein...
]]>Im letzten Jahr sind Delegationen der Zapatistas durch Europa gereist und haben hiesige Kämpfe und Kämpfende besucht und kennengelernt. Von den lehrreichen Prozessen im Vorfeld, den wertschätzenden Begegnungen währenddessen und den Einsichten im Nachhinein berichtet die InterSol AG der iL, die mit an der Umsetzung der Reise beteiligt war.
Es scheint eine Ewigkeit her, und doch sind seitdem nicht einmal anderthalb Jahre vergangen. Im Oktober 2020 kündigte die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) an, im darauf folgenden Jahr den europäischen Kontinent bereisen und die hiesigen Kämpfe und Kämpfenden kennenlernen zu wollen. In einem tatsächlich internationalistischen Akt wollten sie Perspektiven für den eigenen Kampf suchen und auftun. Der Zeitpunkt war nicht zufällig gewählt. Ein halbes Jahrtausend zuvor wurde, der Geschichtsschreibung der Herrschenden zufolge, das uns heute bekannte Mexiko erobert. Das Jahr 1521 markiert Kolonialisierung und Tod, aber auch Widerstand und Überleben. Diesem Ereignis sollte nun antagonistisch ein Zeichen für das Leben entgegen gesetzt werden, indem einige hundert indigene Delegierte aus Chiapas entsandt werden sollten, um ein Europa von links unten kennen zu lernen. Ihr Vorhaben betitelten die Zapatistas daher auch als »Reise für das Leben«. In dem Aufruf wurden unterstützende Gruppen gesucht, die verbindlich einladen, organisieren und und die Reise begleiten sollten. Die Zapatistas trafen keine Vorauswahl, wer einladen durfte, die Vorgaben über die Inhalte für die Zusammentreffen waren sehr vage, erst recht die Dauer und die technischen Details der Reise. Die EZLN hat sich selbst eingeladen, und die europäische Linke sollte sich dafür eigenständig organisieren. So ein Projekt ist ungewöhnlich und wurde zur Herausforderung, wie sich zeigen wird.
Zunächst sagten immer mehr linke und emanzipatorische Gruppen, Organisationen und Einzelpersonen überall in Europa zu. Lokale, regionale sowie überregionale Koordinationskreise entstanden daraufhin und arbeiteten über Monate mehr oder wenig regelmäßig für die Vorbereitung des Zwischenstopps in der eigenen Region. Darüber hinaus gab es eine bundesweite Vernetzung, die sich regelmäßig überwiegend online traf. Das Resultat war ein mitunter sehr chaotischer Ablauf in den unterschiedlichen lokalen Vorbereitungskreisen. Dies war die Folge von nicht getroffenen Absprachen, wie Kommunikation und Entscheidungsfindung in der Zeit des Aufenthaltes der Zapatisten stattfinden solle, aber sicherlich auch ein Ergebnis davon, sich eher unfreiwillig in dieser Akteur*innenzusammensetzung gefunden zu haben. In dieser Gemengelage übernahmen unterschiedliche lokale und bundesweite Strukturen Aufgaben und Verantwortung, darunter auch die interventionistische Linke.
Die Vorbereitung zog sich Mitte 2021 in die Länge. Der mexikanische Staat verweigerte im Zuge einer rassistischen Logik gegenüber seiner eigenen indigenen Bevölkerung die Ausreisedokumente, und Frankreich bediente sich der Pandemie, um eine Einreise zu verhindern. Über Wochen war nicht klar, wann die Reise mit wie vielen Compañer@s beginnen kann.
Ursprünglich war geplant, dass die Zapatistas am 13. August eine europaweite Demonstration in der spanischen Hauptstadt abhalten würden. An diesem Tag jährte sich ein Massaker im heutigen Mexiko-Stadt zum 500ten Mal. Dieser Termin war symbolträchtig und steht für den oben genannten Kolonialismus und den Widerstand dagegen. Statt der kompletten Delegation fand sich die siebenköpfige zapatistische Vorhut in Madrid ein, die Monate zuvor in einem Segelmanöver, das...
]]>Gesundheit sollte nicht individuell verhandelt werden müssen, so die Autorin dieses Beitrags. Warum das Verständnis von Gesundheit in größerem Rahmen gedacht werden sollte und welche Handlungsmöglichkeiten es gibt, um den Gesundheitsbegriff zu politisieren, erfahrt ihr hier.
Während eines Termins bei unserer Hausärztin wird wohl vielen von uns einfallen, von dem chronischen Husten zu erzählen. Vielleicht auch den Tinnitus nochmal ansprechen, auch wenn wir wissen, dass wir uns selbst schon damit nerven und mensch ja sowieso nicht viel daran machen kann. Sollte das Gegenüber Vertrauen erwecken und ein bisschen mehr Zeit haben als sonst, fällt uns auch noch ein zu sagen, dass wir seit kurzem immer so plötzlich anfangen zu weinen, doch gar nicht genau wissen wieso. Wenn es gut läuft, erhalten wir einen sekundenlangen betroffenen Blick, eine Überweisung an andere Expert*innen und die Frage, ob wir schon einmal an eine Therapie gedacht haben, um das Weinen in den Griff zu kriegen...
Worüber wir nicht beim Thema Gesundheit und erst recht nicht in unserer Hausarztpraxis reden, sind unsere Wohnsituation und das Problem mit dem Schimmel – leider ruft uns der Vermieter nicht zurück, weil er weiß, dass wir uns eh keinen Anwalt leisten können. Worüber wir nicht sprechen, sind unsere drohende Arbeitslosigkeit oder der Umstand, dass wir eine halbe Stunde unterwegs waren, um eine Praxis zu erreichen, die überhaupt noch Patient*innen annimmt. Worüber wir nicht sprechen, ist, dass unsere Freundin, die leider nicht das Glück hat, den deutschen Pass zu besitzen, sich hier nicht einfach einen Termin machen konnte. Wir reden beim Arzt, in der Klinik oder wo immer Gesundheit gerade verhandelt wird, nicht über unsere kollektive Angst vor der Zukunft und existierende Ungerechtigkeit, die uns Unbehagen bereitet. Wir schweigen über die Bedrohung des Klimawandels, Ertrinkende im Mittelmeer und darüber, dass wir unseren Lebensstandard nur auf Kosten anderer aufrechterhalten können. Zu unserem bisherigen Gesundheitsbegriff gehört weder die Angst, unseren Aufenthalt zu verlieren, noch, abstrakt gesagt, in unserer Leistungsfähigkeit nachzulassen.
Gesundheit ist eine Sache der Gesellschaft. Dieser Gedanke kann komisch klingen, weil wir sehr früh lernen, dass Krankheiten etwas sind, was uns passiert. Wenn wir Pech haben oder uns »falsch verhalten«. Aber es ist nicht allein Pech oder Eigenverschulden, was krank macht. Die Beweislage dafür, dass unsere Lebensverhältnisse darüber bestimmen, wie krank oder wie gesund wir sind und wie früh wir sterben, ist heute so gut, dass es kaum noch zu leugnen ist. In Deutschland leben die reichsten 10% der Bevölkerung ca. 10 Jahre länger als die ärmsten 10%. Dies lässt sich niemals nur durch »ungesunde Ernährung, an der die Leute selbst schuld sind«, erklären. Unsere Arbeit, unser Wohnort und unsere Umwelt, die Versorgung in unserer Stadt und unsere soziale Umgebung bestimmen in ihrem Zusammenwirken maßgeblich darüber, wie es uns geht.
Weltweit haben sich Gruppen zusammengefunden, die Gesundheit auf eine alternative, ganzheitliche Weise verstehen und sie in sogenannten Gesundheitszentren organisieren wollen und es zum Teil schon tun. In Lateinamerika wurden während der 1960er Jahre untragbare Arbeitsbedingungen und ungleiche Machtverhältnisse und deren Verknüpfung zu Gesundheit angeprangert. Resultat...
]]>»Deutsche Wohnen & Co. enteignen!« ist in die zweite Sammelphase gestartet und die Interventionistische Linke ruft dazu auf, die Initiative bundesweit zu unterstützen. Ein Aufruf zur Aktivität – und zur Debatte!
Seit Ende Februar ist es so weit: Das Gespenst der Enteignung geistert wieder durch Berlin – und zigtausende Menschen empfangen es mit offenen Armen. Die zweite Sammelphase des Volksbegehrens »Deutsche Wohnen & Co. enteignen!« läuft. Und sie läuft erfolgreich, trotz Corona und politisch-polizeilichen Störversuchen: Plakate, Infostände, Kiezteams, vom Szeneviertel bis zur Großsiedlung am Stadtrand – die ganze Stadt ist auf den Beinen. Statt pflichtbewusst demokratische Mitbestimmung über sich ergehen zu lassen, begreifen die Bewohner*innen der Stadt das Volksbegehren als das, was es ist: Eine einmalige Chance, sich die Stadt zurück zu holen, von den Wohnungskonzernen, Investor*innen, Aktionär*innen und ihren politischen Handlanger*innen.
Diese Begeisterung und Dynamik ist wichtig, denn die Aufgabe ist groß: Bis Ende Juni müssen rund 175.000 gültige Unterschriften gesammelt werden, damit es am 26. September zeitgleich mit der Bundestags- und Abgeordnetenhauswahl zum großen Showdown kommt: In einem Volksentscheid könnten die Berliner*innen dann darüber entscheiden, ob alle Wohnungskonzerne mit mehr als 3.000 Wohnungen gegen Entschädigung enteignet und ihre Wohnungen vergesellschaftet, d.h. in Gemeineigentum überführt und mit wirklicher Mitbestimmung durch Mieter*innen und Beschäftigte demokratisch verwaltet werden sollen. Damit wären mindestens 240.000 Wohnungen – rund elf Prozent aller Wohnungen in Berlin – dauerhaft dem Markt und damit dem Mietenwahnsinn entzogen.
Ein erfolgreicher Volksentscheid wäre für die betroffenen Mieter*innen und die mieten- und stadtpolitische Bewegung in Berlin und darüber hinaus ein Riesenerfolg – und für die Immobilienwirtschaft samt ihrer politischen Vertreter*innen von SPD über CDU und FDP bis hin zur AfD eine krachende Niederlage. Der von Rot-Rot-Grün eingeführte Mietendeckel zeigt, wie sehr »Deutsche Wohnen & Co. enteignen!« die wohnungspolitischen Kräfteverhältnisse schon jetzt nach links verschoben hat, und zwar nicht nur in Berlin, sondern bundesweit. Ein am Tag der Bundeswahl gewonnener Volksentscheid würde diese Dynamik weiter verstärken und der Mieter*innen-Bewegung auf Jahre hinaus massiven Rückenwind geben.
Gleichzeitig spüren alle, dass es um mehr geht als um Wohnungspolitik, um mehr als den Kampf gegen Mietenwahnsinn und Verdrängung: Wem gehört die Stadt? Ihren Bewohner*innen oder den Konzernen? Wer entscheidet? Die Bevölkerung oder die Aktionär*innen? Wie sieht die Stadt der Zukunft aus? Stadt der Reichen oder Rotes Berlin? Was überwiegt in der Coronakrise und darüber hinaus: Kapitalistische Traurigkeit oder rebellische Hoffnung? In der Entscheidung über das Volksbegehren werden diese grundlegenden Fragen konkret. Damit erzwingt »Deutsche Wohnen & Co. enteignen!« eine Entscheidung – von der Stadtgesellschaft, aber auch von uns als außerparlamentarische Linke. Am Rande stehen und Nase rümpfen? Neidvoll nach Berlin schauen und zu Hause weitermachen wie bisher? Oder »Deutsche Wohnen & Co. enteignen!« aktiv unterstützen und aus konkreten Erfahrungen lernen? Wir haben die Wahl. Nutzen wir die Chance!
Als Interventionistische Linke haben wir Enteignen und Vergesellschaften in der Vergangenheit vor allem als »Richtungsforderung« und »roten Faden interventionistischer Politik« diskutiert, z.B. in unserer »Vergesellschaftungsbroschüre« aus...
]]>Die aktuelle Form der Demokratie hilft wenig dabei, wirklich andere Gesellschaftsformen zu denken – geschweige denn, sie aufzubauen. Der folgende Beitrag argumentiert, dass es stattdessen den Aufbau rätedemokratischer Strukturen braucht, um die Partizipation aller zu ermöglichen und dem Langzeitziel einer kommunistischen Gesellschaft näher zu kommen. Was die radikale Linke damit zu tun hat? Lest selbst!.
In der jüngeren Debatte innerhalb der interventionisitschen Linken ist die Organisationsform der eigenen Strukturen bisher erstaunlich wenig beachtet wurden. Dabei sollte klar sein, dass die Organisationsform, die wir als Kommunist*innen wählen, nicht einfach nur eine funktionale Konsequenz unserer strategischen Debatte sein kann, sondern sich im Zentrum dieser befinden muss. Denn die Form unserer Organisierung trägt nicht nur zu unserer eigenen Subjektivität bei, die elementar im Ringen um eine bessere Welt ist, sondern muss auch schon die Keimform von Strukturen vorwegnehmen, die später zur politischen Selbstverwaltung einer kommunistischen Gesellschaft dienen können. Das bedeutet vor allem, dass wir die Demokratiefrage in unseren Organisationen als Teil einer Strategie zur Überwindung des Kapitalismus ernst nehmen müssen. Denn was ist der Kommunismus, wenn nicht eine radikal demokratisch-sozialistische Gesellschaft?
Die kommunistische Demokratie hat jedoch wenig mit der bürgerlichen Demokratie gemein, die schon immer mehr Ideologie als eine wirkliche Herrschaft der breiten Bevölkerung war. Denn eine verkümmerte Demokratie ist die gegenwärtige der kapitalistische Zentren in zweifacher Hinsicht: Zum einen, weil sie das Politische vom Ökonomischen trennt und ihre Demokratie nur in der politischen Sphäre errichtet, während sie die Ökonomie der Diktatur des Kapitals überlässt. Auch wenn diese Trennung in der Realität nie ganz gelingt und der Staat durchaus regulierend ins wirtschaftliche Geschehen eingreift, um das Wohl seines Wirtschaftsstandorts zu sichern, verweigert die bürgerliche Demokratie ihrem Wesen nach sich selbst tiefgreifende Entscheidungsbefugnisse in ökonomischen Fragen – ganz im Interesse der herrschenden Klasse, die so eine diktatorische Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel und den materiellen Reichtum unserer Welt ausüben kann.
Zum anderen ist die bürgerliche Demokratie nur eine halbierte Demokratie, da sie parlamentarisch ist. Im Endeffekt bleibt sie eine Regierung durch Eliten, die sich die Bevölkerung in regelmäßigen Abständen und in einem engen institutionellen Rahmen aussuchen darf – begleitet von einem finanzstarken, multimedialen Wahlspektakel und ohne ernsthafte von der Bevölkerung ausgehende Kontrollmechanismen. Ob die Regierenden schon vor ihrer Amtszeit ein Teil der Eliten der bürgerlichen Gesellschaft waren oder es erst durch ihre Regierungstätigkeit werden, ist dabei zweitrangig. Fest steht, dass die bürgerliche Demokratie keine kollektive Selbstregierung der Bevölkerung bedeutet, sondern nur die Wahl darüber, wer die Bevölkerung regieren darf – und das ausschließlich innerhalb der ökonomischen Zwänge des globalen Kapitalismus und meistens nur mit der Gunst nationaler Kapitalfraktionen sowie ihrer ideologischen Apparate.
Der Kommunismus hingegen hebt die Trennung zwischen Politik und Ökonomie sowie zwischen Unten und Oben auf, indem er in sämtlichen gesellschaftlichen Angelegenheiten eine Rätedemokratie, eine demokratische Selbstverwaltung der gesamten Bevölkerung errichtet. Diese kollektive Form der Selbstregierung bringt den Demokratiebegriff erst zu seiner Verwirklichung, indem sie politische und ökonomische Gleichheit nicht als gegensätzlich, sondern sich gegenseitig bedingend begreift. Die kommunistische Demokratie geht so Hand in Hand mit der Auflösung von Klassengesellschaft, weißer...
]]>Warum die Kämpfe für Klimagerechtigkeit auch eng mit feministischen Kämpfen verwoben sind und sein müssen? Steht im folgenden Beitrag der Nürnberger Ortsgruppe von Fridays for Future, den wir freundlicherweise hier zweitveröffentlichen dürfen.
Ein großer Teil der Klimagerechtigkeitsbewegung wird getragen von FLINTA* (Frauen, Lesben, Inter-, Nonbinary-, Trans- und Agender Personen). Wir kämpfen tagtäglich für ein besseres Leben, aber für uns kann dieser Kampf nur zweigeteilt sein. Wir können es uns nicht leisten, nur für Klimagerechtigkeit einzustehen. Nein. Tagtäglich fordert uns der Kampf um unser eigenes, selbstbestimmtes Leben, jetzt und hier. Wir werden strukturell weniger von Zeitungen zitiert als unsere cis männlichen Pressesprecher; wir werden weniger ernst genommen von Politiker*innen; wir leisten den Großteil unsichtbarer- und Care Arbeit, während unsere cis männlichen Kollegen meist öffentlich zu sehen sind; was wir sagen, wird immer parallel mit unserem Aussehen diskutiert und wir sind non stop und ungeschützt misogynen Angriffen im Netz ausgesetzt. Wir verdienen weniger als cis Männer; wir sind oft verantwortlich für unbezahlte (Care-)Arbeit im Privaten; wir dürfen auch heute noch nicht über unseren eigenen Körper bestimmen und von einem Posten in der Chefetage können wir meist nur träumen. Diese Liste könnte lange fortgesetzt werden. Wir müssen tagtäglich einen Kampf an zwei Fronten führen, oftmals auch in unseren eigenen Reihen. Es ist hart, es ist kräftezehrend, und es sollte schon genug Grund sein, um an einem einzigen Tag im Jahr solidarisch für unsere Rechte auf die Straße zu gehen. Aber das ist nur einer von vielen Gründen.
Wir fragen uns: Wer verursacht diese Krise? Wer leidet am stärksten darunter?
Die Antworten darauf sind sicherlich komplex, allerdings wissen wir: Mit steigendem Wohlstand steigen auch die Emissionen. So sind die reichsten 10 % der Erde für die Hälfte der Emissionen verantwortlich, die ärmsten 50 % gerade einmal für circa 7 %. (Stand 1990-2015). Gleichzeitig ist es in unserem aktuellen System ebenfalls eine Frage des Geldes und natürlich des Zugangs zu Ressourcen und allgemeinen Rechten, wie gut wir uns vor der Klimakrise schützen können. Während Rechte und Ressourcen bekannterweise lange noch nicht gerecht verteilt sind, sind es weltweit auch zu 70 % Frauen die unterhalb der Armutsgrenze leben. Männer verfügen global gesehen über 50 % mehr Vermögen als Frauen, verdienen im Durchschnitt 23 % mehr als Frauen – obwohl Männer circa 6 Stunden 44 Minuten, und Frauen circa 7 Stunden und 28 Minuten pro Tag arbeiten. Stichwort: care Arbeit.
Aber auch ein einfacher Blick nach Deutschland reicht: Eine Studie des Statistischen Bundesamts zeigt: Frauen verdienten auch im Jahr 2019 noch 19% weniger als Männer. Das ist zurückzuführen auf diverse strukturelle, patriachalen Logiken folgende Bedingungen. Aber selbst der letzte berechnete bereinigte Gender Pay Gap lag im Jahr 2018 bei 6%. Dieser vergleicht das Einkommen von Frauen und Männern bei gleicher Tätigkeit und vergleichbarer Qualifikation.
Aber neben finanziellen Aspekten gibt es noch weitere Zusammenhänge: Bei Naturkatastrophen sterben Frauen eher als Männer – laut europäischem Parlament ist die Wahrscheinlichkeit um ein Vierfaches...
]]>Ein Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie ist die von einem Genossen prognostizierte Auseinandersetzung um den Impfstoff in vollem Gang. Die Corona-AG der IL kritisiert mit einem zweiten dezentralen Aktionstag die Blockadepolitk der reichen Industrienationen und fordert eine Freigabe der Impfstoffpatente.
»Well, the people, I would say. There is no patent. Could you patent the sun?« (Antwort von Jonas Salk, Erfinder des Polioimpfstoffs, auf die Frage: »Wem gehört der Impfstoff?«)
Nach Monaten starker Freiheitseinschränkung stagniert der Infektionsverlauf und eine dritte Welle kündigt sich im Zuge der Virusmutationen bereits an. Umso verzweifelter, aber auch voller Wünsche und Begierden, hofft man noch mehr auf eine schnelle Produktion und Verteilung der Impfstoffe. Das Wunder dieser Pandemie, die Entwicklung eines Corona-Impfstoffes in Rekordzeit, bringt aber auch Ungerechtigkeiten und Leid mit sich. Gerade im Moment der Zuspitzung der Pandemie erscheinen die Impfstoffe hierzulande noch zu sehr als die Rettung aus der Not denn als ein Teil ihrer Aufrechterhaltung. Und wer hier zuerst gerettet wird, ist schmerzlicherweise auf Anhieb bewusst. Noch immer gibt es als weniger schützenswert verstandenes Leben, sei es »of Colour« und/ oder von Armut betroffen. Diese Grenzziehung verläuft sowohl global als auch in Deutschland selbst. Neben der kapitalfreundlichen Corona-Politik sind Patente ein Hauptproblem dieser Pandemie und ihrer Bekämpfung. Die Eigentumsrechte am Wissen um die Impfstofftechnologie machen den Impfstoff erst zu einer Ware. Der Drang zum Profit macht diese Ware zusätzlich noch zu einem knappen Gut. Eine Chance, die Pandemie noch 2021 mithilfe des Impfstoffs einzuhegen, besteht allein noch für Europa und die USA. Das ist der kapitalistische Zynismus in Reinform. Der Impfstoff ist eben nur der Anfang vom Ende der Pandemie. Die Linke muss diesen Impfstoff als mögliche Quelle für gesellschaftliche Mobilisierungen begreifen, gerade weil die Pandemie auch die wohlhabenden Teile der Welt befallen hat. Zugleich müssen wir Ellbogenmentalitäten in der Impfstoffverteilung verhindern und die Position der Solidarität und Gerechtigkeit in der Krise stärken!
Die warmen Worte von globaler Solidarität der Kanzlerin Merkel wie von UN und WHO nützen selbst in Zeiten drängender Notwendigkeit einer gerechten Impfstoffverteilung nur wenig, wenn die reichen Industrienationen und Profitinteressen mitspielen. Auf den good will der reichen Staaten und Impfstoff-Charityprojekte zu warten wäre tödlich. Ein Lösungsvorschlag für die sich abzeichnende Misere liegt längst bei der Welthandelsorganisation (WTO) auf dem Tisch: Indien und Südafrika haben die Freigabe der Impfstoffpatente gefordert. Unterstützt werden sie von mehr als 100 Mitgliedern der WTO. Mit einem sog. TRIPS Waiver (TRIPS: Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights - Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums) würde das Recht auf Schutz geistigen Eigentums ausnahmsweise aufgehoben und das Wissen der Impfstofftechnologie geteilt werden. Es ließen sich so vielerorts, in größerer Menge und billiger Impfstoff-Generika produzieren. Die Corona-Pandemie ließe sich so effizienter bekämpfen und gefährlichen Mutationen würde ein Riegel vorgeschoben werden. Die Gegenmacht ist jedoch groß und der Modus kapitalistischer Pandemiepolitik nicht nur blind in ihrer Ungerechtigkeit, sondern auch selbstzerstörerisch. Gegen den Block aus EU, die USA, Kanada etc. werden die vielen Länder des globalen Südens in der...
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