Mit Bahar, einer feministischen Wissenschaftlerin und Aktivistin aus der Berliner Gruppe Bolandg00 und dem Netzwerk Feminist4Jina, sprachen wir im Vorfeld des 8.März über den feministischen Kampftag im Iran und Deutschland, die Iranische Revolution und ihr Verständnis von internationaler Solidarität.
Redaktion: Hallo Bahar, wir treffen uns heute anlässlich des 8. März, um über den feministischen Kampftag, die Iranische Revolution und internationale Solidarität zu sprechen. Was bedeutet der 8. März für dich?
Bahar: Es gibt diesen bekannten Satz: »Der 8. März ist jeden Tag«. Ich versuche jeden Tag feministisch aktiv zu sein, also hat der 8. März für meinen feministischen Kampf nicht diese ganz herausragende Bedeutung. Was ich aber an dem Tag schön finde, ist diese Sichtbarkeit zu haben und zu merken, dass mit mir gemeinsam unzählige andere Personen auf die Straße gehen. Viele haben ähnliche Anliegen wie ich, andere solche, die mich weniger direkt betreffen, die ich aber unterstütze und teile. Sich gemeinsam feministisch zu organisieren und auf der Demo mitzulaufen, gibt einem das Gefühl, nicht allein zu sein.
Gleichzeitig ist es aber auch ein Tag, an dem einem klar wird, was für ein Privileg es ist, sich hier in so großen Massen versammeln zu können, während der 8. März beispielsweise im Iran in einem ganz anderen Kontext stattfindet. Aktivist*innen versuchen sich natürlich auch dort zusammenzuschließen und Aktionen zu organisieren, das sind dann meistens aber kleine Gruppen, die sich dreimal verhüllen und irgendwo ein paar Fotos machen, um nicht erkannt zu werden. Wenn man sich dann vor Augen führt, mit welchem Risiko das im Vergleich zu unseren Demos verbunden ist, wird deutlich, wie unterschiedlich der 8. März begangen wird.
Welche spezifische Geschichte hat der 8. März im Iran?
Der 8. März direkt nach der Revolution 1979 war ein historischer Augenblick des feministischen Kampfs im Iran. Es war die Zeit, in der die Kleriker dabei waren sich zu etablieren und ihre Rufe nach extrem misogynen Familiengesetzen sowie dem obligatorischen Hijab immer lauter wurden. Gegen diese Politik gingen damals am 8. März Millionen Frauen auf die Straße, nicht nur in Teheran sondern in zahlreichen Städten. In letzter Zeit habe ich mir öfters die Videos von diesem Tag angeschaut. Einerseits machen sie Mut, andererseits ist es aber auch so frustrierend zu sehen, dass Frauen und feministische Kämpfer*innen vor 44 Jahren genau die gleichen Dinge einforderten wie wir heute. Sie waren es, die die Revolution mitgetragen und gegen den Schah protestiert hatten, und nur wenige Monate später wurden ihre Rechte dermaßen beschnitten. Diese Frauen wurden um ihren Beitrag in der Revolution betrogen, und trotzdem - oder gerade deswegen - gingen sie auf die Straße.
Du bist in Berlin in verschiedenen politischen Gruppen aktiv. Was macht ihr als Bolandg00? Wie seid ihr entstanden? Wie seid ihr in die Proteste im Iran involviert?
Ich bin Soziologin von Beruf und würde mich als feministische Wissenschaftlerin und Aktivistin bezeichnen. Organisiert bin ich in der Gruppe Bolandg00, Bolandg00 bedeutet übersetzt Megafon. Wir sind eine Plattform mit dem Ziel, die Stimmen der Revolution im Iran zu verstärken, sie hörbar zu...
]]>Was der Wahlsieg Giorgia Melonis und ihrer postfaschistischen Partei Fratelli d'Italia für die italienische Linke bedeutet und warum sich soziale, ökologische und feministische Kräfte gegen die neue rechte Hegemonie verbünden müssen, argumentiert Giansandro Merli in diesem Text.
Die Wahl
Die erste weibliche Ministerpräsidentin in der Geschichte Italiens wird Giorgia Meloni heißen. Noch steht die offizielle Amtseinführung aus, aber die Wahlergebnisse sprechen für sich: Die Rechtskoalition hat eine Mehrheit in der Abgeordnetenkammer und im Senat. Die Fratelli d'Italia (FdI) erhielten 26 Prozent und setzten sich von den beiden anderen Bündnispartnern deutlich ab: der Lega von Matteo Salvini (8,9 Prozent) und der Forza Italia des unsterblichen Silvio Berlusconi (8,3 Prozent). Die beiden Spitzenpolitiker müssen einen Schritt hinter Meloni treten, aber ihre Stimmen werden für die Aufrechterhaltung der Regierung in beiden Kammern des Parlaments notwendig sein.
Im Vergleich zu den vorangegangenen Wahlen im Jahr 2018 hat die FdI ihren Stimmenanteil versechsfacht, dies vor allem auf Kosten der anderen rechtsgerichteten politischen Kräfte. Einer der Gründe dafür ist sicherlich, dass sie in allen drei Regierungen der letzten Legislaturperiode in der Opposition war: Erste Regierung Conte (Movimento 5 Stelle - Lega); Zweite Regierung Conte (Movimento 5 Stelle - Partito democratico); Regierung Draghi (technokratische Regierung bestehend aus allen Parteien außer der FdI).
Zwei weitere Faktoren begünstigten den Sieg der Rechten: ein sehr kompliziertes Wahlgesetz, das ein Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht kombiniert und Koalitionsbildungen belohnt. Und die Entscheidung des Sekretärs der Demokratischen Partei (PD), Enrico Letta, die Koalition mit dem Movimento 5 Stelle (M5S) zu sprengen, nachdem dieser der Regierung Draghi das Vertrauen entzogen hatte. Lettas Wahlkampf, der 19 % der Stimmen brachte, scheiterte an allen Fronten. Er wollte in der Auseinandersetzung zwischen ihm und Meloni polarisieren und dann im Angesicht einer faschistischen Gefahr die voti utili (1) einsammeln. Beides ist ihm nicht gelungen.
Vor allem in den letzten Wochen und insbesondere im Süden hat der M5S, der noch vor wenigen Wochen für tot gehalten wurde, schnell wieder an Zustimmung gewonnen. Im Süden wurde er stärkste Partei, mit sehr hohen Prozentsätzen in den Armenvierteln der Städte. Landesweit lag der M5S mit 15,6 % hinter der PD. Im Vergleich zu den Wahlen 2018 ist er die politische Kraft, die in absoluten Zahlen die meisten Stimmen verloren hat, nämlich rund 6 Millionen. Und dennoch kann er mit dem Ergebnis zufrieden sein. Während der Legislaturperiode hat der M5S unter der Führung von Giuseppe Conte, einem bis dato unbekannten Rechtsanwalt aus der Provinz Foggia, der vor vier Jahren aus dem Nichts ins Rampenlicht der nationalen Politik getreten ist, sein Gesicht gewechselt. Aus einer Mischung von populistischen Forderungen, die weder rechts noch links waren und dem M5S erst zu einer Regierung mit der Lega und unmittelbar danach mit der Demokratischen Partei verhalfen, hat er sich neu aufgestellt. In sozialen und ökologischen Fragen gilt er als linker als Lettas Partei. Nicht weil der M5S besonders radikale Positionen vertritt, sondern weil die PD sich weiter in die Mitte bewegt hat. Wie die geografische Verteilung der Stimmen und die Verteilung nach Einkommensklassen zeigen, wurde der M5S bei...
]]>Am 4. September wird in Chile über die neue Verfassung abgestimmt. Mit Javiera Manzi, Soziologin und feministische Aktivistin, sprechen wir über die Potenziale und Grenzen des Verfassungsprozesses und über die feministische Streikbewegung.
Die gegenwärtige Verfassung Chiles stammt aus der Zeit der Diktatur unter General Augusto Pinochet. Darin verankert ist ein neoliberales Finanz- und Politikmodell, das den Sozialstaat auf ein Minimum reduziert und soziale Infrastruktur weitestgehend dem privaten Sektor überlässt. Im Herbst 2019 entzündete sich nach der Erhöhung der Preise für den öffentlichen Nahverkehr eine soziale Revolte, die über mehrere Monate andauerte und landesweite Massenproteste nach sich zog. Der politische Kitt der Revolte lag in der Forderung, den Neoliberalismus zu beenden. »Der Neoliberalismus wurde in Chile geboren und wird in Chile sterben«, war die Parole der Revolte. Der Prozess um eine neue Verfassung ist somit die Errungenschaft sozialer Bewegungen.
2021 wurde eine Verfassungsgebende Versammlung demokratisch gewählt. Dieser Versammlung gehörten Vertreter*innen der Umwelt- und feministischen Bewegungen an, von indigenen Gemeinschaften, sowie Akteur*innen aus der vorausgegangen Protestbewegung. Den Vertreter*innen ist es unter anderem gelungen ein Recht auf Sorge, sowie Rechte für Klima und Umwelt mit Verfassungsrang festzuschreiben. Unter Wahlpflicht entscheiden nun am 4. September die Menschen in Chile, ob die Verfassung angenommen oder abgelehnt wird. Unsere Gesprächspartnerin Javiera Manzi ist in feministischen Kämpfen und der Kampagne für ein „Ja“ zur neuen Verfassung im Abschlussplebiszit aktiv.
Debattenblog: In Chile bereitet ihr gerade das große Referendum am 4. September für den neuen Verfassungsentwurf vor. Wie kam es dazu? Wie hast du die letzten Monate erlebt?
Javiera: Aktuell sind wir Teil des Verfassungsprozesses, der mit einer sozialen Revolte und dem Aufstand am 18.Oktober 2019 begonnen hat. Deswegen ist es mir wichtig ,dass wir uns in Erinnerung rufen,dass dieser Prozess mit massiven sozialen Mobilisierungen auf der Straße begann, und seinen Ursprung nicht im Parlament hat. Unsere Bewegung hatte keine Anführer*innen oder Repräsentant*innen, sondern war ein spontaner Ausbruch gegen den Neoliberalismus und die Prekarisierung des Lebens in Chile. Nun steht der verfassungsgebende Prozess, kurz vor seinem Ende. Am 4. September werden wir in Chile über den endgültigen Verfassungsentwurf abstimmen. All das ist jetzt schon ein großer Erfolg für die sozialen Bewegungen und die chilenische Linke. Wir haben das politische System verändert und konnten viele soziale Rechte in der Verfassung verankern, etwa in Bezug auf den Schutz der Umwelt und die Rechte der Natur, insbesondere aber auch durch feministische Forderungen und Veränderungen im Justizsystem. Wir hoffen, dass wir die Mobilisierungen am 4. September mit einer massiven Zustimmung zur Verfassung abschließen können.
Wie kam es dazu, dass ihr euch dafür entschieden habt, eine neue Verfassung zu schreiben? Und was ist die Rolle sozialer Bewegungen in einem solchen Prozess?
Ich bin Teil der Coordinadora 8M. Wir organisieren seit 2018 jeden 8. März einen feministischen Streik und kämpfen gegen die Prekarisierung des Lebens. Für uns war es sehr wichtig zu verstehen, dass der verfassungsgebende Prozess eine historische Chance ist, die autoritäre und neoliberale institutionelle Struktur in Chile zu zerschlagen. Als feministische Bewegung wollen wir nicht nur als ein Mitglied der verfassungsgebenden Versammlung...
]]>Mit dem Ziel keinen Femi(ni)zid mehr unbeantwortet zu lassen, begann die feministische Bewegung »Claim the Space« in Wien ihre Politisierungsarbeit. Seit zwei Jahren treffen sie sich nach jedem Femi(ni)zid am ehemaligen Karlsplatz zu einer Kundgebung oder Demonstration. Für das Interview sprachen wir mit Frana von der AG Feministischer Streik.
Wie kam es dazu, dass ihr in Wien mit der Politisierung von Femi(ni)ziden begonnen habt? Gab es einen Auslöser?
In der österreichischen Linken waren Femi(ni)zide das erste Mal Anfang 2019 mehr Thema. Damals gab es eine Reihe Femi(ni)zide, die medial eine große Aufmerksamkeit bekommen haben. Zu dem Zeitpunkt war es vor allem die Identitäre Bewegung, die die Morde bei einem Gedenkmarsch in Wien aufgegriffen und rassistisch instrumentalisiert haben. Und auch konservative Politiker*innen ließen im Zuge dieser Debatte häufig verlautbaren, das Patriarchat sei importiert und Frauenmorde seien kein österreichisches Problem. Dieses Narrativ kennen wir alle, für uns war es damals aber das erste Mal seit der Kölner Silvesternacht 2015, dass sexualisierte Gewalt auf eine dermaßen rassistische Weise diskutiert wurde. Damals gab es den ersten Versuch von autonomen Feminist\innen, das Thema öffentlich aufzugreifen. Als wir 2020 erneut begannen zu Femi(ni)ziden zu arbeiten, stand am Anfang aber vielmehr der Fokus auf die Zusammenarbeit mit Ni Una Menos Austria und lateinamerikanischen Gruppen. Da ging es darum, ein globales Phänomen zu beschreiben, das wir auch hier in Österreich verstehen wollten.
In welchen Situationen geschehen Femi(ni)zide? Was sind die strukturellen Bedingungen einer solchen Form der Gewaltausübungen gegenüber FLINTA (Frauen, Lesben, intersexuelle, nonbinäre, trans sowie agender-Personen: Anm. d. Redaktion)?
Natürlich gibt es viele Gründe dafür, dass Femi(ni)zide verübt werden. Auch wenn es eine wachsende wissenschaftliche und juridische Auseinandersetzung mit dem Thema gibt, bleiben die Taten trotzdem meist recht individualisiert und die Täter*innen werden oft pathologisiert. Dass Femi(ni)zide mehr als nur Frauen betrifft, kommt nicht einmal im bürgerlichen Feuilleton an. Die strukturelle Komponente - also die Frage danach in welchen Abhängigkeiten FLINTA im Kapitalismus stecken - versuchen wir mit unseren Aktionen zu politisieren.
Ein erster Schritt ist für uns dabei überhaupt erstmal zu verstehen, wie verschiedene Femi(ni)zide zusammenhängen und welche Strukturen dabei jeweils wirken. Mit jedem Femi(ni)zid werden neue Fragen aufgeworfen. Es ist weniger so, dass wir die Kritik schon immer im Vorhinein haben und sie dann auf die Straße tragen, sondern wir müssen jedes Mal neu überlegen, was überhaupt die geschlechtsspezifische Komponente der Gewalt ist oder wie man den Fall politisieren kann und wie man möglichst viele patriarchale Gewaltformen miteinbeziehen kann, ohne dass es total losgelöst von den jeweiligen Subjektpositionen ist.
Gibt es Elemente und Motive, die ihr in den meisten Fällen wiederfindet? Und an welchen Punkten wart ihr überrascht und habt eure Analyse noch einmal verändern müssen?
Ausgangspunkt unserer Analysen ist eine feministische Kapitalismuskritik: Das bedeutet die Sphärentrennung in 'privat' und 'öffentlich' infrage zu stellen und Arbeitsbedingungen und Abhängigkeiten zu thematisieren. Ein Großteil der Gewalt an FLINTA geschieht im Privaten. Die bürgerliche Familie, die oft als rein und harmonisch imaginiert wird, stellt für sie den gefährlichsten Ort dar. In Österreich gibt es eine massive Verherrlichung der Kleinfamilie,...
]]>Krieg ist patriarchal, jener in der Ukraine und die andernorts. Krieg funktioniert entlang klarer geschlechtlicher Rollenbilder und die mediale Berichterstattung tut ihr Bestes, alles fern des kämpfenden Mannes* und der flüchtenden FLINTA*-Personen unsichtbar zu machen. Und Das folgende »Kommuniqué No. 3« wurde nach anregenden Gesprächen unter Genoss*innen aus dem Rheinmetall-Entwaffnen-Bündnis verfasst.
Wenn wir von FLINTA*-Personen sprechen, sprechen wir von Frauen, Lesben, inter*-, nichtbinären*, trans* und agender* Personen.
Dieser Krieg ist kein Ort für Emanzipation und Befreiung. Längst überwunden geglaubte Ideologien betreten wieder die gesellschaftliche Bühne. In den Bildern, der Sprache und der Politik feiert die Militarisierung fröhliche Urständ. Dieser Krieg ist ein Ort des patriarchalen Rollbacks, insbesondere im kapitalistischen Gesellschaftssystem, in dem wir leben.
Die Fotoaufnahmen vom reitenden bzw. fischenden Putin mit nacktem Oberkörper dienen den Medien schon länger als willkommene Darstellung des russischen Staatschefs. Auch Selenskyj weiß als Schauspieler, wie er sich im olivgrünen Hemd bzw. mit schusssicherer Weste vor Kameras inszenieren kann. Bei allen Unterschieden dieser beiden: Hierbei geben sich die zwei Kriegsherren, der Angreifer und der Angegriffene, nichts. Sie spielen den männlichen Helden und werden gerne als solcher gesehen. Hinter den Bildern dieser beiden stellvertretenden Figuren verschwinden die Interessen und Ursachen der imperialistischen Kriege, über die wir hier schreiben.
Auch in ihrer Rhetorik gleichen sie sich. Putin und Selenskyj sprechen von »Tapferkeit« und »Heldentum«, von »hartem Kampf« und »ewigem Ruhm«. Mit ihrer kriegsverherrlichenden Sprache propagieren sie entgrenzte Gewalt und sowohl das Töten als auch das »Sterben fürs Vaterland«. Vor dem Hintergrund dieser fortschreitenden verbalen Eskalation können Friedensverhandlungen und Diplomatie – selbst auf dieser Ebene sind fast ausschließlich Männer beteiligt – nicht gelingen. Absurderweise setzen sich ausgerechnet Diktatoren und Kriegsherren wie Erdogan als Friedensvermittler in Szene, während dieser gleichzeitig die jesidische und kurdische Bevölkerung in Rojava und im Nordirak bombardiert. Denn imperialistische, militaristische Politik ist und bleibt patriarchal, egal ob sie von Frauen oder Männern gemacht wird. Eine neue Qualität und Quantität der Kriegsrhetorik kennen wir auch von bundesdeutschen Politiker*innen, hierzulande hat sich die Sprache ebenfalls innerhalb weniger Tage militarisiert.
Dieses Vokabular wird von Medien und Gesellschaft aufgegriffen. In den Kommentarspalten und in Sozialen Medien werden Selenskyj und Putin abwechselnd als »Freiheitsheld« gefeiert oder als »Schlappschwanz« beschimpft. Bestimmte Ideale von Männlichkeit werden damit extrem verstärkt und positiv besetzt. So wird das Soldaten- und Heldentum gesellschaftlich akzeptabler und patriarchale Strukturen gefestigt.
Aber es geht über die Bilder und die Sprache hinaus: Als Handelnde werden im Krieg meist Männer wahrgenommen. Frauen bekommen andere Rollen zugeschrieben; als Opfer von Gewalt, von Vergewaltigung und Vertreibung. LGBTQ*s sind nahezu unsichtbar. Wir erleben absolute Heteronormativität, die Zuweisung klassischer Frauenrollen und die selektive gesellschaftliche Beteiligung von Frauen nach patriarchalen Kriterien. Die Reproduktionsarbeit und Auswirkungen des Krieges haben auf allen Seiten vor allem Frauen zu tragen. Die Ukrainerinnen müssen die Kinder an sich nehmen und können bzw. sollen zum eigenen Schutz das Land verlassen. Die Männer bringen sie noch an die Grenze, um dann in den Krieg zu ziehen. Sie müssen...
]]>Die kritische Auseinandersetzung mit Femi(ni)ziden nimmt erfreulicherweise immer weiter zu. Welche Herausforderungen das mit sich bringt und warum queere und antirassistische Perspektiven auf geschlechtsspezifische Gewalt zentral sein müssen, diskutiert die Berliner Initiative #keinemehr in ihrem Debattenbeitrag.
Die Initiative #keinemehr (Berlin) hat sich 2017 gegründet, um ein größeres Bewusstsein für Femi(ni)zide (1) in Deutschland und ihre strukturellen Hintergründe zu schaffen. Wir wollen zeigen, dass Sexismus tötet, auch in Deutschland. Wir beobachten, dass sich der gesellschaftliche Diskurs zu geschlechtsspezifischer Gewalt und Femi(ni)ziden verändert hat: Die kritische Auseinandersetzung nimmt zu. Immer mehr Gruppen und Einzelpersonen arbeiten in diesem Kontext. Seit einiger Zeit finden beispielsweise am umbenannten Widerstandsplatz (2) im Berliner Stadtteil Wedding Mahnwachen statt, wenn ein Femi(ni)zid in Berlin bekannt wird; Vortragsreihen und Publikationen zum Thema werden zunehmend auch jenseits feministischer Kontexte rezipiert.
Das hat zur Folge, dass Begriffe und Konzepte einerseits geschärft werden. Andererseits findet eine Vereinnahmung statt und das Konzept Femi(ni)zid droht seinen gesellschaftskritischen Gehalt zu verlieren. Für uns bedeutet diese Entwicklung, den Erfolg feministischer Kämpfe in der Thematisierung geschlechtsspezifischer Gewalt anzuerkennen und gleichzeitig über die neuen Herausforderungen zu reflektieren. Es geht uns um eine politische Auseinandersetzung, in der wir unsere Praxis gegen Femi(ni)zide strategisch verorten. Wir möchten in diesem Debattenbeitrag fünf Punkte in der bestehenden Auseinandersetzung um Femi(ni)zide hervorheben.
Punkt 1: Vordenker*innen sichtbar machen
Ein Großteil unseres Wissens geht auf Errungenschaften feministischer Bewegungen zurück, die dieses Wissen erkämpft haben. In Deutschland hat vor allem die autonome Frauenbewegung der 1970er und 1980er Jahre eine politische Auseinandersetzung um geschlechtsspezifische Gewalt begonnen. Frauenhäuser und Beratungsstellen arbeiten seither kontinuierlich zu dem Thema. Viele der Konzepte, mit denen wir heute arbeiten, wie das des Femi(ni)zids, haben außerdem ihren Ursprung in den feministischen Bewegungen Lateinamerikas. Wenn wir uns darauf beziehen, dann mit dem Bewusstsein, dass die Realitäten der Gewalt in Deutschland andere sind und Wissen und Konzepte entsprechend angepasst werden müssen. Die Vordenker*innen und ihre Impulse müssen klar benannt werden, um nicht ein weiteres Mal koloniale Strukturen zu reproduzieren.
Punkt 2: Transfemi(ni)zide in Analyse und Praxis aufnehmen
Im Kontext unserer Öffentlichkeitsarbeit – vor allem bei Vorträgen und im digitalen Raum – nehmen wir eine zunehmende Queer- und insbesondere Transfeindlichkeit wahr. Sogenannte Radikale Feministinnen oder kurz TERFs (trans-exclusive radical feminists), aber auch »feministische« Organisationen bedienen sich der Debatte um Femi(ni)zide und geschlechtsspezifische Gewalt, um über die Definition von Männern als Tätern und Frauen als Opfer letztlich die Binarität von Geschlecht zu reproduzieren. Ein Beispiel dafür ist die Organisation Terre de Femme, die sich unter anderem gegen Femi(ni)zide stark macht. In ihrem Positionspapier erkennen sie allerdings die Selbstbestimmung von trans Menschen nicht an. Sie gehen sogar so weit, trans Menschen die Verantwortung für die Gewalt im binären Geschlechtersystem unserer Gesellschaft zuzuweisen. Eine solche Instrumentalisierung vermag nichts zum Abbau geschlechtsspezifischer Gewalt beizutragen, sondern befeuert auf gefährliche Weise die bereits vorhandene Gewalt.
Die Zurückweisung des bei der Geburt festgelegten Geschlechts ist Ausdruck von Selbstbestimmung über das eigene Leben und den eigenen Körper. Gerade diese geschlechtliche Selbstbestimmung ist es, die als Bedrohung der männlichen Vormachtstellung aufgefasst und mit Gewalt geahndet wird....
]]>Seit Jahren organisieren queer_feministische Aktivist*innen Sitzblockaden gegen den christlich-fundamentalistischen »Marsch für das Leben« in Berlin. In den letzten Jahren nahm die Repression gegen die Demonstrant*innen zu: Über 100 Personen wurden durch die Staatsanwaltschaft angeklagt. Warum ziviler Ungehorsam unerlässlicher Bestandteil im Kampf gegen die AbtreibungsgegnerInnen ist, diskutiert die Berliner Queer_Feminismus-AG.
In alljährlicher Zuverlässigkeit fand auch 2019 am 19. September der sogenannte »Marsch für das Leben« in Berlin statt. Wie jedes Jahr zogen unter dem Deckmantel des vermeintlichen »Lebensschutzes« christliche FundamentalistInnen (1) gemeinsam mit konservativen bis rechten AkteurInnen durch Berlin. So fanden sich in den Reihen des Marsches in den letzten Jahren auch immer wieder AfD-Mitglieder wie Beatrix von Storch und andere organisierte Rechte.
Die TeilnehmerInnen propagieren ein christlich-fundamentalistisches Weltbild, konservative Geschlechterrollen, eine rigide Sexualmoral, sind homo- und transfeindlich. In ihren Thesen verschränken sich antifeministische Argumentationsmuster mit rechtspopulistischen Parolen. Beispielsweise lässt sich auf Fotos erkennen, wie AbtreibungsgegnerInnen Schilder mit »All lives matter«-Parolen und »Make America great«-Caps tragen. Rassistischen Slogans, wie die Forderung nach einer »Willkommenskultur für Neugeborene« zeigen, darüber hinaus Parallelen zu nationalsozialistischen Bevölkerungspolitiken, bei der die Reproduktion des »Volkes« über die Gesundheit und das Selbstbestimmungsrecht der schwangeren Person gestellt wird. Was für ein Gefahrenpotenzial eine solche Überschneidung rassistischer und antifeministischer Argumentationslinien für einen Schulterschluss zwischen antisemitischen, rechtsextremen, erzkonservativen und völkischen Milieus beinhaltet, liegt auf der Hand. Sie alle teilen ein Weltbild, in dem manche Leben mehr wert sind als andere.
Allen emanzipatorischen Entwicklungen zum Trotz sind solche nationalen, konservativen und antifeministischen Positionen nie wirklich verschwunden und erleben gegenwärtig ein regelrechtes Comeback. So auch der selbsternannte »Marsch für das Leben«. Der Marsch fand das erste Mal 2002 in Berlin statt - damals hieß er noch »1000 Kreuze für das Leben« - und hat seither jährlich an Größe gewonnen. In den letzten Jahren lag die Zahl bei etwa 5.000 Teilnehmenden.
Ebenso zuverlässig wie diese alljährliche Manifestation misogyner und antifeministischer Kräfte im öffentlichen Raum ist auch der Protest dagegen. Seit 2013 organisiert das queer_feministische und antifaschistische Bündnis »What the fuck« laute, entschlossene und kreative Protestaktionen mit unterschiedlichsten Beteiligungsmöglichkeiten, um die Stimmen der Fundis zu übertönen und die Massenveranstaltung radikaler AbtreibungsgegnerInnen zu stören.
Und so stellten sich auch am 19. September 2019 - neben vielen weiteren Protestformen - über 100 Aktivist*innen dem »Marsch« mit einer friedlichen Sitzblockade entgegen, und das zunächst überaus erfolgreich. Allerdings endete der Tag für einen Großteil der Aktivist*innen in der Gefangenensammelstelle (Gesa). Die Strafbefehle, die den Beteiligten etwa ein Jahr später in den Briefkasten flatterten, lesen sich zunächst wie die Anerkennung einer äußerst effektiven Aktion zivilen Ungehorsams:
»Aufgrund der [...] errichteten und nicht überwind- oder umgebahren Blockade wurden die ca. 2.000 Aufzugsteilnehmer gezwungen, bis zur Räumung der Fahrbahn gegen 15.43 Uhr vor Ort auszuharren. Sie konnten den Aufzug erst im Anschluss an die Räumung und nur mit deutlich verkürzter Strecke fortzusetzen.«
Die Vorwürfe, die die Staatsanwaltschaft aus diesem Tathergang ableitet, sind weniger erbaulich: Nötigung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Vermummung und Verstoß gegen das Versammlungsgesetz. Als Nötigung (§240 StGB) gilt eine Tat, die andere durch Gewalt oder Androhung eines empfindlichen Übels« zu Handlungen, Duldungen oder...
]]>Nach 150 Jahre Abtreibungsverbot ist es Zeit, den Paragraph 218 in den Ruhestand zu schicken. Warum der Kampf für einen legalen und kostenlosen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen nicht ausreicht, sondern Feminist*innen auch für das Recht auf Elternschaft und das Recht auf die Möglichkeit, Kinder abgesichert großzuziehen streiten müssen, diskutiert die Berliner Frauen*streik-AG in diesem Text.
2021 wird das deutsche Strafgesetzbuch 150 Jahre alt – das ist kein Grund zum Feiern. Denn das heißt auch, dass der Staat indem er mit den §§218, 219 StGB Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellt, seit 150 Jahren darüber entscheidet, ob Schwangere ein Kind auf die Welt bringen oder nicht. Das ist vor allem auch für diejenigen bitter, die zum Beispiel in der DDR einen viel selbstbestimmteren Umgang gelebt haben. Die fortwährende Geltung des Abtreibungsverbot ist ein unzumutbarer Zustand, denn das Gesetz bedeutet, dass Schwangere das grundlegende Recht auf körperliche Selbstbestimmung mit der Schwangerschaft verlieren. Auch der Einwand, dass es mittlerweile eine sogenannte Fristenregelung (1) gibt, schmälert den Fakt nicht, dass der Staat Schwangeren eine Austragungspflicht vorschreibt. Schwangerschaftsabbrüche werden gesetzlich im gleichen Abschnitt geregelt, in dem auch Mord und Totschlag verhandelt werden. Es ist wichtig, dies in aller Deutlichkeit zu betonen. Auch eine eingeschränkte Straffreiheit in der Praxis verhindert nicht, dass hier etwas gewaltig schief läuft: Schwangerschaft und Schwangerschaftsabbrüche gehören nicht ins Strafgesetzbuch, sondern müssen als Teil der Gesundheitsfürsorge behandelt werden.
150 Jahre und keinen Tag länger
Trotz jahrzehntelanger feministischer Kämpfe für die Abschaffung des Abtreibungsverbots in §218 StGB, scheint dieser nicht ins Wanken zu geraten. Heute befinden wir uns gesellschaftlich in einer ambivalenten Situation: Während von rechtskonservativer Seite jeder kleinste Schritt in Richtung emanzipatorischer Entwicklung mit medialer Empörung über die Ausbreitung des »Gender-Gagas« aufgebauscht wird, gibt es in linken bis linksliberalen Kreisen eine breite Zustimmung zu Pro-Choice-Positionen.
Regelmäßig gehen tausende Menschen weltweit, aber auch in Deutschland auf die Straße und kämpfen für reproduktive Rechte. Beispielsweise sorgte der Prozess gegen die Ärztin Kristina Hänel regelmäßig für Empörung und löste breite Solidarisierungskampagnen mit ihr aus. Ihr drohen seit 2009 juristische Konsequenzen, da sie vermeintliche »Werbung« für Schwangerschaftsabbrüche machte, die im §219a StGB verboten ist.
Seit 2008 wird jährlich in großem Maße gegen den »Marsch für das Leben« von christlichen Fundamentalist*innen mobilisiert. Immer wieder gibt es Kampagnen, Petitionen und Aktionstage gegen das Abtreibungsverbot - der jährliche »Safe Abortion Day« am 28.09., die Petition »Weg mit § 218« oder der feministische Kampftag am 8. März, an dem reproduktive Rechte jedes Jahr lautstark gefordert werden, sind hier nur einige Beispiele. So scheint es, als herrsche doch eine relativ breite gesellschaftliche Zustimmung darüber, dass das Abtreibungsverbot mittelalterlichen Zeiten angehört.
Parteipolitisch wiederum kommt das nicht zum Ausdruck: Während DIE LINKE Anfang 2021 einen Antrag im Bundestag für die Abschaffung des Paragrafen eingebracht hat, opferte die SPD die Forderung, um eine Regierungskoalition mit der CDU eingehen zu können. Ähnliches wiederholt sich jetzt bei den Grünen: Im neuen Grundsatzprogramm der Partei ist noch die Forderung enthalten, Schwangerschaftsabbrüche aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Im aktuellen Wahlprogramm findet sich allerdings nur noch die aufgeweichte Forderung nach der Abschaffung...
]]>Dass Lockdowns keinen Spaß machen, ist klar. Dass sie nicht der einzig wahre Weg in eine rosige Zukunft sind, ebenso. Warum Lockdowns in den Pandemie trotzdem eingesetzt werden sollten und wie eine längerfristige linke Strategie sich entwickeln ließe, schreibt die Autorin dieses Artikels.
Dieser Text entstand als Reaktion auf den Artikel »Alle Räder stehen still?« von Tove Soiland, der am 05.02.2021 im Neuen Deutschland veröffentlicht wurde. Daher beziehen sich manche Stellen auf Zitate aus diesem Artikel.
Seit Beginn der Pandemie fühle ich mich eigentlich wie so oft in sonstigen politischen Kämpfen: Ich habe eine Analyse und ich habe eine Kritik und ich habe Ideen, was zu tun wäre, nur leider muss ich gerade erst mal den Brand bekämpfen. Genauso ist es in der Corona-Pandemie.
Ein mögliches Mittel, um diesen Brand zu bekämpfen, sind Lockdowns – echte Lockdowns. An dieser starken Einschränkung unserer Bewegungsfreiheit wurde und wird viel Kritik geäußert. So auch von Tove Soiland in ihrem Text »Alle Räder stehen still?«, mit dem die Autorin dem Aufruf Zero Covid eine feministiche Debatte entgegen stellen will. Soiland zitiert dort die Epidemiologin Sunetra Gupta mit der Aussage, Lockdowns seien ein Luxus der Wohlhabenden; etwas, das sich nur die reichen Ländern leisten könnten – und selbst da nur die besser gestellten Haushalten in diesen Ländern. Dieser Aussage möchte ich widersprechen. Lockdowns sind auch oder sogar vorrangig ein Mittel der armen Länder. Länder, welche wissen, dass ihre Gesundheitssysteme einen Anstieg an Inanspruchnahmen nicht verkraften werden; Länder, die keine Beatmungsgeräte haben. Und deswegen wurden die härtesten Lockdowns auch in den ärmsten Ländern verhängt (siehe Bolivien etc.). Ausnahmen bilden Länder, in denen politisch eben gar nicht reagiert oder Corona geleugnet wurde wie z.B. die USA oder noch länger und dramatischer: Brasilien oder Nicaragua. In diesen Ländern können wir leider in einem Live-Experiment beobachten, was passiert, wenn man den Brand nicht löscht: es brennt weiter.
Auch sind Lockdowns innerhalb der verschiedenen Länder keineswegs ein Luxus der besser gestellten Haushalte. Auch wenn die Lockdowns mit 300m² und Garten natürlich deutlich einfacher zu verkraften sind, als in einer Zwei-Zimmer-Wohnung mit sechs Personen. Aber dazu später mehr. Vorerst versuchen wir aber mit den Lockdowns die Ansteckung zu verringern. Und dass das Ansteckungsrisiko, sowie auch Schwere der Erkrankung und Sterblichkeit eine Klassenfrage sind, wurde mittlerweile glaube ich hinreichend thematisiert. Insofern schützen Lockdowns erst einmal vulnerable Gruppen.
Und die Debatte ob Lockdown ja oder nein, scheint mir in den letzten Monaten auch völlig unangebracht. Denn wir können es nicht weiter brennen lassen! Ich bin mit meiner beruflichen Perspektive als Ärztin in einem Krankenhaus bestimmt nicht unvoreingenommen. Aber trotzdem, oder gerade deswegen, muss das jetzt auch einfach mal raus: Wann hat unsere Gesellschaft angefangen bei Menschenleben so krass utilitaristisch zu denken? Wieso muss ich immer wieder betonen, dass der Altersdurchschnitt auf unserer COVID Station aktuell bei 57 liegt? Also, nur zum Mitschreiben, wenn ein Flugzeug mit 70 Passagieren gekidnappt wird und auf das berühmte Fußballstadion zufliegt, da sitzen nur Menschen über 70 drin und die sind alle entweder...
]]>Warum die Kämpfe für Klimagerechtigkeit auch eng mit feministischen Kämpfen verwoben sind und sein müssen? Steht im folgenden Beitrag der Nürnberger Ortsgruppe von Fridays for Future, den wir freundlicherweise hier zweitveröffentlichen dürfen.
Ein großer Teil der Klimagerechtigkeitsbewegung wird getragen von FLINTA* (Frauen, Lesben, Inter-, Nonbinary-, Trans- und Agender Personen). Wir kämpfen tagtäglich für ein besseres Leben, aber für uns kann dieser Kampf nur zweigeteilt sein. Wir können es uns nicht leisten, nur für Klimagerechtigkeit einzustehen. Nein. Tagtäglich fordert uns der Kampf um unser eigenes, selbstbestimmtes Leben, jetzt und hier. Wir werden strukturell weniger von Zeitungen zitiert als unsere cis männlichen Pressesprecher; wir werden weniger ernst genommen von Politiker*innen; wir leisten den Großteil unsichtbarer- und Care Arbeit, während unsere cis männlichen Kollegen meist öffentlich zu sehen sind; was wir sagen, wird immer parallel mit unserem Aussehen diskutiert und wir sind non stop und ungeschützt misogynen Angriffen im Netz ausgesetzt. Wir verdienen weniger als cis Männer; wir sind oft verantwortlich für unbezahlte (Care-)Arbeit im Privaten; wir dürfen auch heute noch nicht über unseren eigenen Körper bestimmen und von einem Posten in der Chefetage können wir meist nur träumen. Diese Liste könnte lange fortgesetzt werden. Wir müssen tagtäglich einen Kampf an zwei Fronten führen, oftmals auch in unseren eigenen Reihen. Es ist hart, es ist kräftezehrend, und es sollte schon genug Grund sein, um an einem einzigen Tag im Jahr solidarisch für unsere Rechte auf die Straße zu gehen. Aber das ist nur einer von vielen Gründen.
Wir fragen uns: Wer verursacht diese Krise? Wer leidet am stärksten darunter?
Die Antworten darauf sind sicherlich komplex, allerdings wissen wir: Mit steigendem Wohlstand steigen auch die Emissionen. So sind die reichsten 10 % der Erde für die Hälfte der Emissionen verantwortlich, die ärmsten 50 % gerade einmal für circa 7 %. (Stand 1990-2015). Gleichzeitig ist es in unserem aktuellen System ebenfalls eine Frage des Geldes und natürlich des Zugangs zu Ressourcen und allgemeinen Rechten, wie gut wir uns vor der Klimakrise schützen können. Während Rechte und Ressourcen bekannterweise lange noch nicht gerecht verteilt sind, sind es weltweit auch zu 70 % Frauen die unterhalb der Armutsgrenze leben. Männer verfügen global gesehen über 50 % mehr Vermögen als Frauen, verdienen im Durchschnitt 23 % mehr als Frauen – obwohl Männer circa 6 Stunden 44 Minuten, und Frauen circa 7 Stunden und 28 Minuten pro Tag arbeiten. Stichwort: care Arbeit.
Aber auch ein einfacher Blick nach Deutschland reicht: Eine Studie des Statistischen Bundesamts zeigt: Frauen verdienten auch im Jahr 2019 noch 19% weniger als Männer. Das ist zurückzuführen auf diverse strukturelle, patriachalen Logiken folgende Bedingungen. Aber selbst der letzte berechnete bereinigte Gender Pay Gap lag im Jahr 2018 bei 6%. Dieser vergleicht das Einkommen von Frauen und Männern bei gleicher Tätigkeit und vergleichbarer Qualifikation.
Aber neben finanziellen Aspekten gibt es noch weitere Zusammenhänge: Bei Naturkatastrophen sterben Frauen eher als Männer – laut europäischem Parlament ist die Wahrscheinlichkeit um ein Vierfaches...
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