Was der Wahlsieg Giorgia Melonis und ihrer postfaschistischen Partei Fratelli d'Italia für die italienische Linke bedeutet und warum sich soziale, ökologische und feministische Kräfte gegen die neue rechte Hegemonie verbünden müssen, argumentiert Giansandro Merli in diesem Text.
Die Wahl
Die erste weibliche Ministerpräsidentin in der Geschichte Italiens wird Giorgia Meloni heißen. Noch steht die offizielle Amtseinführung aus, aber die Wahlergebnisse sprechen für sich: Die Rechtskoalition hat eine Mehrheit in der Abgeordnetenkammer und im Senat. Die Fratelli d'Italia (FdI) erhielten 26 Prozent und setzten sich von den beiden anderen Bündnispartnern deutlich ab: der Lega von Matteo Salvini (8,9 Prozent) und der Forza Italia des unsterblichen Silvio Berlusconi (8,3 Prozent). Die beiden Spitzenpolitiker müssen einen Schritt hinter Meloni treten, aber ihre Stimmen werden für die Aufrechterhaltung der Regierung in beiden Kammern des Parlaments notwendig sein.
Im Vergleich zu den vorangegangenen Wahlen im Jahr 2018 hat die FdI ihren Stimmenanteil versechsfacht, dies vor allem auf Kosten der anderen rechtsgerichteten politischen Kräfte. Einer der Gründe dafür ist sicherlich, dass sie in allen drei Regierungen der letzten Legislaturperiode in der Opposition war: Erste Regierung Conte (Movimento 5 Stelle - Lega); Zweite Regierung Conte (Movimento 5 Stelle - Partito democratico); Regierung Draghi (technokratische Regierung bestehend aus allen Parteien außer der FdI).
Zwei weitere Faktoren begünstigten den Sieg der Rechten: ein sehr kompliziertes Wahlgesetz, das ein Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht kombiniert und Koalitionsbildungen belohnt. Und die Entscheidung des Sekretärs der Demokratischen Partei (PD), Enrico Letta, die Koalition mit dem Movimento 5 Stelle (M5S) zu sprengen, nachdem dieser der Regierung Draghi das Vertrauen entzogen hatte. Lettas Wahlkampf, der 19 % der Stimmen brachte, scheiterte an allen Fronten. Er wollte in der Auseinandersetzung zwischen ihm und Meloni polarisieren und dann im Angesicht einer faschistischen Gefahr die voti utili (1) einsammeln. Beides ist ihm nicht gelungen.
Vor allem in den letzten Wochen und insbesondere im Süden hat der M5S, der noch vor wenigen Wochen für tot gehalten wurde, schnell wieder an Zustimmung gewonnen. Im Süden wurde er stärkste Partei, mit sehr hohen Prozentsätzen in den Armenvierteln der Städte. Landesweit lag der M5S mit 15,6 % hinter der PD. Im Vergleich zu den Wahlen 2018 ist er die politische Kraft, die in absoluten Zahlen die meisten Stimmen verloren hat, nämlich rund 6 Millionen. Und dennoch kann er mit dem Ergebnis zufrieden sein. Während der Legislaturperiode hat der M5S unter der Führung von Giuseppe Conte, einem bis dato unbekannten Rechtsanwalt aus der Provinz Foggia, der vor vier Jahren aus dem Nichts ins Rampenlicht der nationalen Politik getreten ist, sein Gesicht gewechselt. Aus einer Mischung von populistischen Forderungen, die weder rechts noch links waren und dem M5S erst zu einer Regierung mit der Lega und unmittelbar danach mit der Demokratischen Partei verhalfen, hat er sich neu aufgestellt. In sozialen und ökologischen Fragen gilt er als linker als Lettas Partei. Nicht weil der M5S besonders radikale Positionen vertritt, sondern weil die PD sich weiter in die Mitte bewegt hat. Wie die geografische Verteilung der Stimmen und die Verteilung nach Einkommensklassen zeigen, wurde der M5S bei...
]]>Berena, Vincent und Peter sprechen über Nähe und Distanz, über Identitätspolitik und migrantisch situiertes Wissen, über gemeinsame Kämpfe um Befreiung und globale Solidarität in Zeiten der Pandemie.
Dieses Gespräch steht im Kontext der Pandemie. Gleich zu ihrem Beginn hat Rassismus auf viele Weisen sein Gesicht gezeigt: der rassistische Anschlag in Hanau, wenig später der Mord an George Floyd durch Polizisten in Minnesota. Feldarbeiter:innen wurden eingeflogen, während Moria in Flammen stand und Menschen dort schutzlos der Pandemie und allen anderen widrigen Bedingungen des Grenzregimes ausgeliefert waren. Während die Regierungen hierzulande versuchten, das Virus durch Grenzen und Bullen zu kontrollieren, liegt es auf der Hand, dass es ohne eine Patentfreigabe und ohne die Möglichkeit zur Impfung überall nicht gelingen wird, mit der Pandemie umzugehen.
Vincent: Einen Tag nach dem Anschlag in Hanau haben sich Angehörige, solidarische Zivilgesellschaft und Aktivist*innen in Hanau versammelt. Ich bin mit zwei Bandkollegen am 20. Februar zu der ersten Kundgebung gefahren und war überrascht, wie viele Menschen ich vor Ort kannte. Wir lagen uns in den Armen, trösteten uns, standen einander bei - ich wurde von meinen Freund*innen gut aufgefangen. Aber was ich gesehen habe, war eine seltsame Mischung: Auf dem Podium sprach ein Politiker von einer wehrhaften Mitte der Gesellschaft und neben nationalistischen türkischen Symbolen wurden MLPD-Fahnen, wie immer schön dezentral, geschwenkt. Irgendwo wurde noch ein mutloser linker Spruch gejohlt. Sowas wie »Kapital, Staat, Scheiße!«“ oder »Hass, Hass, Hass wie noch nie!«.
Berena: In der iL haben viele BiPoC beschrieben, dass sie sich links und rechts umgeschaut haben, aber keinen emotionalen Resonanzraum hatten. Sie haben sich allein gefühlt und sind wütend. Dass deutsche Aktivist*innen ihre Gefühle oft außerhalb des Plenumraums lassen, was sich dann auch in der Politik äußert, die sie machen, mag dazu beigetragen haben. Aber ich glaube, dass der gesellschaftliche Rassismus nach wie vor tief sitzt, auch bei Linken. Bei mir entsteht oft das Gefühl, dass es am 19.2. einen Anschlag auf "die Anderen" gab. Kanax und Shishasbars sind oft immer noch fremd. Für viele Kanax und BiPoC ist das anders. Wir denken: »Es hätte auch mich treffen können, meine Freund*innen, meine Kinder...«. Ich glaube, dass dieser Anschlag auch von Menschen, die keine Rassismuserfahrungen machen, als etwas sehr Nahes erlebt werden kann, aber Rassismen und unterschiedliche Vorstellungen von Solidarität zu dieser Distanz führen. Während ein bestimmtes Spektrum der antirassistischen Landschaft direkt vor Ort war, waren es andere Teile der radikalen und organisierten Linken nicht. Während die einen sehr nah mit Betroffenen Politik machen und Freundschaften entstehen, arbeiten andere an ihnen vorbei und bleiben in ihrer Bubble.
Vincent: Aber ich wurde auch positiv überrascht: Es gab ein enormes mediales Interesse an dem Ereignis, anders als es mit dem NSU der Fall war. Während damals rassistisch von »Dönermorden« geschrieben worden war, hatte ich den Eindruck, dass bei Hanau die Perspektive der Betroffenen häufiger im Zentrum stand. Das ist eine Errungenschaft migrantischer Communities und von Antirassist*innen, die immer wieder für Öffentlichkeit, Erinnerung und Gedenken hinsichtlich rassistischer und rechter Gewalt gekämpft haben. Beispielsweise die Inititative 19. Februar und die...
]]>In den vergangenen beiden Jahren wurde der 8. Mai nicht nur als Tag der Befreiung vom deutschen Faschismus begangen, sondern auch als Tag gegen Rassismus und für die Entnazifizierung der Sicherheitsbehörden neu angeeignet. In diesem Text fordert David Kowalski mehr Geschichtsbewusstsein von diesen Aufrufen sowieso ein übergreifenderes Verständnis des 8. Mai als ein Tag des Antifaschismus.
Den 8. Mai 1945 erlebten meine Großeltern an unterschiedlichen Orten. Die einen waren in Lublin, bis wohin sie als Teil der Roten Armee im Kampf gegen die Wehrmacht vorgestoßen sind. Die anderen verbrachten das Kriegsende in Paris. Als Teil der Resistance hatten sie aus dem Untergrund heraus gegen die deutsche Besatzung gekämpft. Der 8. bzw. 9. Mai 1945 war ein bedeutender Tag in ihren Leben. Der Faschismus war besiegt, die Zukunft stand wieder offen. Ob sie am Tag der deutschen Kapitulation feierten, ist mir nicht bekannt. Angesichts des Ausmaßes der Zerstörung, der Ermordung zahlreicher Angehörigen im Holocaust und dem Verlust der eigenen Kinder war ihnen vielleicht nicht danach zumute. In jeden Fall war es ein denkwürdiger Tag.
Inzwischen ist das Gedenken an das Kriegsende und die Millionen von Opfern des Nationalsozialismus zur deutschen Staatsräson geworden. Der 8. Mai wird in großen Teilen der Gesellschaft als »Tag der Befreiung« verstanden. Bis hierhin war es ein langer Weg. An ihm lässt sich beispielhaft die Entwicklung der bundesrepublikanischen Erinnerungspolitik und des nationalen Selbstverständnisses nachzeichnen.
Denn zumindest in der alten Bundesrepublik galt die Kapitulation lange Zeit als Niederlage und Demütigung. Die nationalsozialistische Ideologie verschwand schließlich nicht von einem auf den anderen Tag und personelle Kontinuitäten zogen sich durch alle Gesellschaftsbereiche. Daher musste die heute vorherrschende Gedenkkultur gegen diese Kontinuitäten erkämpft werden. Als Richard von Weizsäcker in seiner berühmten Rede am 8. Mai 1985 vom »Tag der Befreiung« sprach, war dies auch ein Ergebnis verschiedener politischer und juristischer Kämpfe von Holocaust Überlebenden, Exilant*innen oder auch den 68er*innen.
Ein solches Verständnis von der deutschen Kapitulation muss gegen rechte Umdeutungen vehement verteidigt werden. Denn die deutsche Kapitulation als Befreiung zu feiern, den Tag beispielsweise zu einem Feiertag zu ernennen, wie in Berlin 2020, deutet auf eine tatsächliche Verschiebung des gesellschaftlichen Bewusstseins hin – freilich eine ambivalente. Es gehört zur »Wiedergutwerdung der Deutschen« (Eike Geisel), sich der historischen Schuld bewusst zu sein, Rassismus und Antisemitismus abzulehnen. Daraus speist sich der neue Nationalstolz. Staatliches Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus verkommt zur deutschen Selbstvergewisserung. »(…) wer einen Schlussstrich fordert,« mahnt Bundespräsident Steinmeier etwa 2020 anlässlich des 8. Mai, »der verdrängt nicht nur die Katastrophe von Krieg und NS-Diktatur. Der entwertet auch all das Gute, das wir seither errungen haben – der verleugnet sogar den Wesenskern unserer Demokratie.« Es geht beim staatstragenden Gedenken – und der 8. Mai steht hier nur beispielhaft für die allgemeine deutsche Erinnerungskultur an die nationalsozialistischen Verbrechen – also stets auch um die Inszenierung eines geläuterten Deutschlands. Bedeutete der 8. Mai 1945 noch die Öffnung eines Zukunftshorizonts, zementieren heutige Gedenkfeiern seine Schließung: Das seit 1990 wiedervereinigte Deutschland hat aus seiner Geschichte gelernt und steht jetzt für Antisemitismuskritik und...
]]>Die Berliner Antifa-AG erforscht im Rahmen ihrer Recherchekampagne »EntnazifizierungJetzt« Nazistrukturen in den Sicherheitsbehörden. Ihr erschreckendes, wenn auch wenig überraschendes Ergebnis: Das Problem ist massiv und strukturell. Warum der Kampf für Entnazifizierung nur in Verbindung mit antirassistischen Gruppen gelingen kann, diskutieren sie in diesem Text.
Vor einem Jahr, am 8. Mai 2020, haben wir - das ist die Antifa AG der Interventionistischen Linken in Berlin - die Kampagne »#EntnazifizierungJetzt« gestartet. Die sogenannte »Entnazifizierung« wurde nach Ende des Zweiten Weltkrieges von den Alliierten beschlossen. Genauer hieß das, Menschen, die eng mit dem Nazisystem verbunden waren, aus dem Staatsdienst zu entlassen. Mit einem Schlussgesetz 1951 wurde diese jedoch bereits offiziell für beendet erklärt. Wir haben für unsere Kampagne diesen historischen Begriff gewählt, um aufzuzeigen: Nazis in den Sicherheitsbehörden haben System und eine historische Kontinuität.
In den Monaten vor unserem Kampagnenstart erfuhren wir nahezu täglich von Skandalen um Nazis und rechte Netzwerke in den Sicherheitsbehörden. Diese Beobachtung betraf alle Behörden gleichermaßen: Bundeswehr, Polizei, Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienste oder Justiz. Der große öffentliche Aufschrei blieb dennoch aus. Umso dringlicher wollten wir wissen: Wie groß ist das Ausmaß wirklich und handelt es sich um ein historisches, strukturelles Problem?
Entnazifizierung Jetzt – ein Rechercheprojekt
Wir riefen zu einer bundesweiten Crowdrecherche auf, in der Menschen dazu aufgefordert waren, mit uns gemeinsam jede Art rechter Vorkommnisse in den Sicherheitsbehörden zu sammeln. Die Skandale veröffentlichten wir auf unserer Homepage www.entnazifizierungjetzt.de. Die Liste war erschreckend: Netzwerke, die einen faschistischen Putsch vorbereiten und Todeslisten anlegen, Bedrohungen und Gewalt gegen Linke und Geflüchtete, Nazipropaganda im Wochentakt, Munitions- und Waffendiebstahl, illegale Datenabfragen von Polizeicomputern, rechte Staatsanwaltschaften und Gerichte, die Nazis verharmlosen und ihre Taten vertuschen, Geheimdienste, die faschistische Strukturen in den Sicherheitsorganen nicht nur deckeln, sondern teilweise fördern…
Heute, ein Jahr später, können wir sagen: Nazis in den Sicherheitsbehörden sind ein strukturelles Problem, das erschreckende Ausmaße annimmt. Dieser Umstand hat historische Ursachen, die von einem enormem Aufarbeitungsunwillen der Behörden verschleiert werden. Konkret lässt sich festhalten: Eine Entnazifizierung nach 1945 hat nicht stattgefunden. Die alten Nazis wurden lange weiterhin in Führungspositionen beschäftigt, verschwunden waren sie erst, als sie das Zeitliche segneten. Zurückgelassen haben sie autoritäre, menschenfeindliche Strukturen und Einstellungen, die bis heute fortbestehen. Es handelt sich um ein subtiles System, in dem Mitarbeiter*innen, Dienststellen und ganze Einheiten der Sicherheitsbehörden bewusst oder unbewusst zusammenarbeiten, um die Gesellschaft weiter nach rechts zu verschieben. Was wir sehen, sind die Spitzen des rechten Eisbergs. Was dahintersteckt, ist eine rechte Normalität, die den Alltag in den Sicherheitsbehörden prägt und an den wir - so kommt es uns jedenfalls manchmal vor - uns schon irgendwie gewöhnt haben und den wir kaum noch in Frage stellen.
Die rechte und rassistische Normalität der Sicherheitsbehörden äußert sich im täglichen Racial Profiling, in den zahlreichen von Hass und Hetze geprägten Chatgruppen, den rechten Patches auf Polizeiuniformen, in den milden Urteilen von Volksverhetzenden, während friedliche antifaschistische Blockaden verprügelt werden, im soldatischen Männlichkeitsverständnis, in Empathielosigkeit gegenüber Opfern rassistischer Gewalt in Gerichten und Polizeidienststellen, im Hofieren von Nazis und Coronaleugner*innen auf ihren Demos. Die Liste an Beispielen ließe sich...
]]>Unter dem Label »Querdenken« gehen seit einigen Monaten regelmäßig tausende Corona-Leugner*innen, Rechte und Wirrköpfe aller Art auf die Straße. Neben den Ereignissen in Berlin schlug zuletzt auch die Demonstration am 7. November in Leipzig bundesweit hohe Wellen. Im folgenden Beitrag werfen unsere Genoss*innen von Prisma einen genaueren Blick auf die Protestierenden, die Reaktionen der herrschenden Politik und mögliche Antworten von links.
Am 7. November versammelten sich in Leipzig etwa 40.000 sogenannte »Querdenker«. Mit einem Marsch um den Innenstadtring wollten sie an die Leipziger Montagsdemonstrationen anknüpfen und den Mythos der Wende wieder aufleben lassen. Mit Hilfe Hunderter organisierter Neonazis und Hooligans gelang es ihnen, die Polizeiketten zu durchbrechen und den Ring zur Hälfte zu umrunden. Der einzige Lichtblick an diesem Tag war eine antifaschistische Blockade, die den Rechten eine vollständige Inszenierung als demokratische Kämpfer*innen gegen die Corona-Diktatur verdarb.
Ob Friedensmahnwachen, Legida oder nun die »Querdenker« – seit jeher bieten die Montagsdemonstrationen um den Ring eine Projektionsfläche für rechte »Demokratieverteidigung«. Im Jahr 1988 wurden die Ringdemos vor allem von linken, antifaschistischen oder Umweltgruppen initiiert und später von Neonazis gekapert. Die linke Kritik am SED-Regime schlug um in nationalen Taumel und das unstillbare Verlangen nach kapitalistischen Segnungen. Die Erzählung, dass der »Volkswille« einen offiziell antifaschistischen Staat stürzte, bietet einen hervorragenden Anknüpfungspunkt für rechte und rechtsoffene Akteure. Und mittlerweile mobilisiert diese Erzählung nicht mehr nur Ostdeutsche, sondern ebenso Menschen aus den sogenannten alten Bundesländern. Und so erfüllten sich diese ihren Traum einer Rolle im Theaterstück »Die Wende« Seit’ an Seit’ mit Neonazis.
Denen ist Leipzig als »rote Stadt« schon länger ein Dorn im Auge. Schon der Überfall auf Connewitz beim ersten Legida-Geburtstag 2016 zeigt die Obsession rechter und neonazistischer Gruppen, die angebliche linke Vorherrschaft anzugreifen. So überrascht es nicht, dass am 7. November die organisierte Rechte eine weitere Möglichkeit einer Machtdemonstration witterte.
Natürlich waren nicht alle 40.000 »Querdenker« organisierte Rechte. Jedoch einen verschiedene ideologische Überzeugungen diese »rechte Mischszene«. Durchgängig sind antisemitische Stereotype des Fremden zu hören und zu sehen. Wissenschaft und »die da oben« werden adressiert als nicht zum »Volk« zugehörig und von fremden (jüdischen) Mächten gelenkt.
Weiterhin vertreten sie ein egoistisches Freiheitsverständnis. Wenn das Tragen von Masken als große, nicht-hinnehmbare Einschränkung angesehen wird, zeigt das vor allem, dass diese Menschen bisher ein privilegiertes Leben hatten. Ihr Verhalten entspringt einem neoliberalen Freiheitsverständnis, das persönliche Einschränkungen aus Gründen der Solidarität als unzumutbar, sogar als »diktatorisch« labelt. Folgerichtig stehen in ihrer Kritik an den Maßnahmen nicht diejenigen im Mittelpunkt, die existenziell unter den Maßnahmen zu leiden haben. Kein Wort zu Pflegenotstand oder der Lage von Geflüchteten. Schon lange hätten die Empörten auf die Straße gehen können, um die Ungerechtigkeiten dieser Welt anzuprangern. Aktiv werden sie jedoch, wenn ein bisschen Solidarität von ihnen gefordert wird. Die »Freie Fahrt für freie Bürger«-Mentalität vereint unterschiedliche Spektren unter Regenbogenfahne, Herzchenluftballons und Reichsflagge.
Auch wir dachten, dass die »Querdenker« zu heterogen seien, um lange zu bestehen. Doch der Kitt aus Verschwörungsideologien und neoliberalem Freiheitsdenken hält zusammen, was früher unvereinbar schien. Weiterhin...
]]>Nach dem zuletzt erschienen Artikel wissen wir um einige Zustände in der Popkultur. Auch in der politischen Praxis auf der Straße und anderswo nehmen Verschwörungsideologien in den letzten Wochen an Fahrt auf. Warum sich die radikale Linke mit ihnen befassen sollte, was sie ihnen entgegen zu setzen hat und wie sie gegen ihr lautes Getose ankommt, dazu teilt der Autor dieses Artikels einige seiner Gedanken.
Hier geht's nochmal zum Naidoo-Artikel der Genoss*innen von der iL Rhein-Neckar.
Als ich bei der Post gearbeitet habe, hatte ich in meinem Bezirk im Stuttgarter Süden Abonnent*innen für zwei linke Zeitungen, eine rechte Zeitung und fünf Verschwörer-Magazine. Im Unterschied zu heute gab es vor vier Jahren keine Öffentlichkeit für Verschwörungs»theorien«. Ich setze die Anführungszeichen, weil es natürlich keine Theorien im eigentlichen Sinne sind. Beim Flyern auf Kundgebungen und Mahnwachen auf dem Stuttgarter Schloßplatz war in den letzten Jahren auffällig, wie viele ältere weiße* Menschen an mich herangetreten sind, meiner/unser Sache zugestimmt haben und sich gar nicht mehr stoppen konnten bei dem Versuch, mir die geheimen Zusammenhänge der Welt und die im Verborgenen waltenden und steuernden Kräfte zu erklären. Wenn ich im Folgenden von Verschwörungs»theoretiker*innen« spreche, meine ich nicht ausschließlich die Demoteilnehmer*innen der letzten einschlägigen Demos. Ich denke, es gibt jenseits von Demonstrationen eine sehr große Zahl von Verschwörer*innen, die auf keiner Demo, welchen Themas auch immer, zu sehen sind. Ich habe ein paar dieser Menschen getroffen und versuche in diesem Text zu erklären, warum ich es wenig überraschend finden, dass Menschen an Verschwörungs»theorien« glauben.
Erst mit den Corona-Leugner*innen ist mir klar geworden, mit welchem Selbstbewusstsein mir die Menschen auf dem Schloßplatz damals ihre unhaltbaren Geschichten erzählt haben. Wenn ich selbst in politischen Diskussionen argumentiere und zum Beispiel nicht mehr genau weiß, wie viele Menschen aktuell auf der Flucht sind, dann habe ich schon ein schlechtes Gewissen, wenn ich mich erinnere nur gelesen zu haben, dass es so viele wie noch nie sind, ohne das selbst überprüft zu haben. Gefühlt hab ich ein bisschen geflunkert. Nichts dergleichen beim Spektrum der Verschwörungs»theoretiker*innen«. Und das ist mein erster Punkt: Verschwörungs»theorien« schaffen, ganz real, Selbstbewusstsein. Auf einmal kann ein Mensch allein all die komplizierten Zusammenhänge der Welt ordnen. Ich sage nicht »erklären«, ich denke, der Ordnungsdrang ist viel stärker als der Wille, realistische Ursachen benennen zu können.
Die Philosophin Alice Pechriggl vergleicht die Anhänger*innen von Verschwörungs»theorien« mit Kindern, die sich die Augen zuhalten und denken, wenn sie nichts sehen, würden auch alle andern nicht sehen. Nach dem Motto: Wenn ich das Corona-Virus nicht wahrnehme, dann existiert es auch nicht. Wenn sich Menschen Geschichten über die großen Zusammenhänge der Welt ausdenken, können sie nach eigenem Empfinden ausblenden, was sie emotional belasten würde. Ganz nebenbei haben sie dadurch die Möglichkeit, ihre privilegierte imperiale Lebensweise und deren negative Folgen für andere Menschen auszublenden. Ich denke, diese Menschen versuchen, auf diese Art Stress zu vermeiden, der dadurch verursacht werden würde, an der eigenen Lebensweise zu zweifeln.
Vor...
]]>Nicht nur Corona geht viral, mit der Pandemie bahnen sich auch Verschwörungstheorien weiter den Weg durch die Gesellschaft. Dass Personen des öffentlichen Lebens dagegen nicht immun sind, wissen wir leider. Warum Xavier Naidoo längst kein »ungefährlicher Spinner« mehr ist, erläutern unsere Genoss*innen der iL Rhein-Neckar.
Dieser Artikel ist in einer längeren Version im Juli 2020 bereits hier veröffentlicht worden.
Erstaunlich groß gestaltete sich der mediale Aufschrei, als Mitte März im Internet ein Video des Mannheimer Sängers Xavier Naidoo auftauchte, in dem dieser – sich selbst beim Singen filmend - einen unverhohlen rassistischen Text zum Besten gibt. Darin malt er in diletantischen Zweckreimen Bilder von sich angeblich nahezu täglich ereignenden »Mord(en), bei denen der Gast dem Gastgeber ein Leben stielt«. Die vermeintlichen Täter*innen, im Lied nur als »Ihr« angesprochen, werden nicht näher benannt, damit alles »politisch korrekt« bleibt. Die Reaktion auf das Video folgte prompt: sich überschlagende Presseberichte, Distanzierungen ehemaliger Weggefährt*innen und schließlich sogar den Verlust seines Juryplatzes in der Castingshow »Deutschland sucht den Superstar«. All das scheint Naidoo jedoch relativ kalt zu lassen, wie er in einem Interview mit einem rechten Blogger ausführt. In weiteren Filmschnipseln schwadroniert er munter weiter über den vermeintlichen »Faschismus« etablierter Parteien und die teuflischen Mächte hinter der Fridays for Future-Bewegung. Die rassistischen Ausfälle seines Gesangsvideos konnten dabei keineswegs überraschend kommen, schon seit Jahren fällt Naidoo durch seine Nähe zur Szene der sogenannten Reichsbürger und das Verbreiten homophober und verschwörungstheoretischer Inhalte auf. Trotz kritischer Medienberichte tat dies seinem Erfolg bislang keinen Abbruch. Im Gegensatz dazu bewirkten seine neusten Äußerungen offenbar eine Wende im öffentlichen Bild von Naidoo: Mit seiner Erzählung von durch als Gäste definierten Personen begangenen Morden und – offensichtlich weißdeutschen – Kindern, die sich »mit Wölfen in der Sporthalle umkleiden« müssen, redete er nun allzu offensichtlich den Schlagwörtern rechter Diskurse den Mund. Dieses neue Bild mag zu seiner Isolation in der sich weltoffen gebenden Popmusikszene geführt haben. Es zeigt jedoch – besonders vor dem Hintergrund eines weiteren, obskuren Videos, in dem Naidoo schluchzend von der Entführung von Kindern zum Zweck des Verkaufs ihres Bluts an nicht näher benannte »Mächtige« berichtet – einen vermeintlich »wirren Spinner«. Freilich mögen Verschwörungstheorien, wie sie Naidoos Weltbild zugrunde liegen, oft absurd und lachhaft wirken. Das macht sie aber nicht weniger gefährlich. Denn so wenig sie mit einer faktenbasierten Wirklichkeit gemein haben mögen, so sehr sind sie doch verwoben mit der Realität gesellschaftlicher Verhältnisse. Dies lässt sich anhand einiger von Naidoo bedienten Vorstellungen aufzeigen.
Wer Naidoos Thesen als Produkt eines verwirrten Geistes zu begreifen versucht, wiederholt die falsche Einschätzung, die häufig auch über die rassistischen und antisemitischen Mörder von Hanau und Halle getroffen worden ist, welche ihre Taten mit verschwörungstheoretischen Ausführungen zu begründen versuchten. Zwar mag der Neigung zur Verschwörungsideologie gelegentlich eine gewisse psychische Disposition zu Grunde liegen, doch lässt sich eine solche nicht ausschließlich auf »kranke« Individuen zurückführen, sondern muss unter Bezugnahme auf die Gesamtheit gesellschaftlicher Verhältnisse gedeutet werden. Verschwörungsideologien beruhen stets auf der Konstruktion einer mächtigen Gruppe, die...
]]>Heute, am 8. Mai, fordert auch das Tribunal »NSU-Komplex auflösen« gemeinsam mit vielen anderen Initiativen und Menschen die Fortsetzung der Entnazifizierung Deutschlands. Wir dokumentieren im Folgenden eine Rede des Tribunals, die heute bei Aktionen und Kundgebungen in mehreren Städten gehalten wurde.
Wir wissen, dass dies ein Prozess ist, der schon lange läuft und der nie abgeschlossen sein wird. Wir wissen, dass Entnazifizierung von den existierenden Kräfteverhältnissen abhängt.
Auf mittlerweile drei Tribunalen, 2017 in Köln, 2018 in Mannheim und 2019 in Chemnitz haben wir die Verantwortlichen im NSU-Komplex beim Namen genannt und öffentlich angeklagt. Der NSU-Komplex hat uns gezeigt, dass Entnazifizierung mehr bedeutet als das Aufdecken und Entfernen der Seilschaften alter Kameraden, die in den Behörden immer noch ihr Unwesen treiben. Sicher gibt es die rechten Verschwörer in den Ämtern wie Helmut Roewer, der als Thüringischer Verfassungsschutzchef den NSU faktisch mitaufbaute, oder wie Hans-Georg Maaßen, der für einen Schulterschluss der sogenannten bürgerlichen Mitte mit den Faschist*innen in den Parlamenten wirbt. Das grundlegende Problem sind aber nicht nur die Nazis, sondern der strukturelle Rassismus. Er sorgt für jene gesellschaftlichen Bedingungen, in denen rechter Terror überhaupt erst agieren kann. Wenn wie im Falle des NSU jahrelang die Opfer rassistischer Gewalt zu Täter*innen erklärt werden, wenn selbst die liberale Presse von Parallelwelten krimineller Ausländer-Milieus schreibt, wenn der SPD-Bürgermeister von Köln-Mülheim die Keupstraße als Ghetto verunglimpft, dann bedeutet das für die Betroffenen des NSU-Terrors einen weiteren Angriff gegen sie, eine weitere Bombe nach der Bombe. Wenn der SPD-Innensenator von Berlin medienwirksam gegen Sisha-Bars vorgeht, dann signalisiert die sogenannte Mitte der Gesellschaft genau jene Legitimation, auf die hunderte von sexistischen, rassistischen und antisemitischen toxischen Männern nur warten, um in ihrer Wahnvorstellung eines Rassekrieges losschlagen zu können wie zuletzt in Halle, in Hanau und in Celle. Wenn die BILD-Zeitung gegen migrantische Lebensorte hetzt und Nazis diese mit Waffe angreifen, sind das nur verschiedene Facetten ein und der derselben Logik – Rassismus!
Die Anschlagsserie der Nazis wird jeden Tag länger. Und es wird fast nichts dagegen unternommen. Weder werden die ca. 500 noch offenen Haftbefehle gegen anscheinend abgetauchte Nazis vollstreckt, noch werden bekennende Faschist*innen und Reichsbürger*innen entwaffnet. Es wird auch nicht am V-Leute System gerüttelt, also jenen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Verfassungsschutzes, die von Behördenseite zu Kadern in der Szene hochgezüchtet, mit Waffen ausgestattet und dann vor Zugriff geschützt werden. Wehrhafte Demokratie sieht anders aus! Gewehr bei Fuß steht auch die Extremismusforschung, die nach jedem rechten Terror die Gefahr von links predigt und damit antifaschistischen Widerstand delegitimiert und kriminalisiert.
Diese Analyse, die erst allmählich und mühselig die Köpfe und Herzen der Öffentlichkeit erreicht, ist ein Wissen, das seit Jahrzehnten unablässig von Betroffenen von Rassismus, von Migrant*innen, Jüd*innen, von Roma und Sinti, von POCs und von Antifaschist*innen gesprochen wird. Das Wissen um strukturellen Rassismus in seiner gesamten Komplexität wie auch in seiner banalen Einfachheit ist vor allem ein migrantisches Wissen, ein migrantisch situiertes Wissen. Die Angehörigen der Ermordeten des NSU-Terrors teilen es genauso wie die Freund*innen und Familien der ermordeten Jugendlichen aus Hanau. Sie wurden und werden nicht...
]]>So allgegenwärtig die Pandemie ist, sie ist bei Weitem nicht das einzige Problem. Dieser Artikel legt ausführlich dar, in welchem faschistischen Normalzustand wir uns befinden und wie die aktuelle Krise rechten Machenschaften in die Hände spielen kann – und was antifaschistische Praxis in diesen Zeiten bedeuten sollte.
So schnell kann’s gehen: War noch der Februar der furchteinflößende Monat einer bevorstehenden rechten Machtergreifung, ist nun seit März Corona das Thema. Seitdem beobachten wir die Machtübernahme von Virolog*innen, Seuchenexpert*innen und politischen Figuren wie Spahn, Scholz, Seehofer oder Laschet. Sie berufen sich auf eine vermeintliche Autorität der Vernunft und eine Art elterliche Fürsorge für ihre Bürger*innen und können auf die Unterwerfung des Souveräns zählen. Aber auch viele - überwiegend männliche - vermeintlich kritische Bescheidwissende setzen sich mit klugen Agamben- oder Schmitt-Zitaten in Szene und »mansplainen« die Krise. Und die Anfälligkeit einer mosaiklinken Szene für krudeste Verschwörungsfantasien schließlich ist ein Fest für Extremismustheoretiker*innen jeder Schattierung, die mit Verweis auf Antisemitismus, Nationalismus und Autoritarismus die angebliche Nähe der radikalen Linken zu rechtem Denken abfeiern können. Einzig die besorgte Kanzlerin Merkel scheint akzeptable Moves hinzulegen, was die fatale Situation der Orientierungslosigkeit noch potenziert.
Das Entsetzen darüber, dass auf unbestimmte Zeit Grund- und Freiheitsrechte suspendiert sind, findet seinen Ausdruck einzig in der Frage, ob man es sich gefallen lassen soll, keine Latschdemos, Mahnwachen und Kundgebungen aller Art mehr auf die Straßen tragen zu dürfen. Jenseits der Frage nach der Einschränkung etwa der Versammlungsfreiheit sind es eher wenige, die stichhaltig auf die Zusammenhänge von viralen Pandemien mit kapitalistischer Zerstörungsdynamik in sozialer wie ökologischer Hinsicht und dem unumkehrbaren Klimawandel und darin auf die katastrophale Deklassierung einer Mehrheit der Menschen hinweisen.
Dass pandemie-bedingt für Hunderte von Millionen Euro »deutsche Staatsbürger*innen« mit dem Flugzeug aus allen Erdteilen »heimgeholt« werden und für Zehntausende osteuropäische Erntehelfer*innen das Corona-Regime ausgesetzt wird, während im Mittelmeer weiter zahllose Geflüchtete ertrinken, Zehntausende Geflüchtete unter menschenunwürdigen Bedingungen in Lagern in Griechenland und Libyen zurück- und ihrem Schicksal überlassen werden und auch im Inland gegenüber Asylsuchenden das Recht auf Infektionsschutz, Gesundheitsversorgung und akzeptable Unterbringung eingeschränkt oder ganz ausgesetzt werden, wird mehrheitlich zur Kenntnis und hingenommen. Geschlossene Grenzen, eine Renationalisierung des Corona-Handlings und ein Über-, was die harten Grundrechtseinschränkungen angeht, bzw. Unterbietungswettbewerb, was die Anrufung niedriger nationalistischer Instinkte angeht, prägen das gesellschaftliche Leben dieser Tage.
Seitdem wir im Minutentakt über die Auswirkungen der Pandemie informiert werden, bleibt kaum Zeit, sich klar zu werden, dass die Zustände auch schon vor der Seuche unerträglich waren. Seit Jahren sind sie zurecht von Nachrichten über eine faschistische Formierung im Lande, in Europa und großen Teilen der Welt dominiert. Am 5. Februar 2020 gelang es der »Alternative für Deutschland« (AfD) erstmals, das ganze Land in eine Krise zu stürzen: Eine Krise der Demokratie, eine Krise des Konservatismus alter westdeutscher Prägung, Krise einer Linken ohne Orientierung und Krise des Liberalismus, Krise des Parlamentarismus, Krise der Institutionen, Krise der Männlichkeit, Krise des »Zusammenwachsens« dessen, was angeblich zusammengehörte usw. usf.
Was war geschehen: Nach zwei vergeblichen Anläufen verhalf im Thüringer Landtag ausgerechnet...
]]>Auf den ersten Blick scheinen die antifaschistische und die Klima-gerechtigkeitsbewegung wenig gemein zu haben. Die Autor*innen dieses Beitrags fragen nach Möglichkeiten und verweisen auf Notwendigkeiten einer Verzahnung antifaschistischer Kämpfe mit jenen der Klimagerechtigkeitsbewegung.
Der »cultural gap«, also die systematischen Unterschiede zwischen einer international vernetzten Klimabewegung, die sich mit einem abstrakten, wenngleich drängendem Problem auseinandersetzt und oft lokal agierenden Antifa-Gruppen, die den/die politischen Gegner*in konkret vor Augen haben, scheint groß. Beide Entwicklungen, der Kampf um Klimagerechtigkeit als auch das Zurückdrängen nationalistischer und faschistischer Bestrebungen sind zwei zentrale Fragen des 21. Jahrhunderts. Wo finden sich, abseits von Klischees wie »Black Block« oder »Klimahippies«, vielleicht auch verbindende Elemente?
Die Klimabewegung erntet mittlerweile die Früchte ihres langjährigen Engagements. Seien es die breiten Mobilisierungen um den Hambacher Forst und die gerichtliche Entscheidung eines vorläufigen Rodungsstopps oder die Reden von Greta Thurnberg, der Klimaaktivistin und Schülerin aus Schweden. Im Rahmen des Bündnis Ende Gelände haben sich über 30 klimapolitische Ortsgruppen gegründet und eine thematische Erweiterung hin zu Landwirtschaft (Free The Soil) oder Autoverkehr (Anti-IAA) angestoßen. Ein Großteil der Bevölkerung und selbst bürgerliche Medien sympathisieren mit der Bewegung und halten ihr Anliegen für notwendig. Auseinandersetzungen führen die Aktivist*innen vor allem mit den Kohlekonzernen oder rückwärtsgewandten Politiker*innen. Das Hauptbetätigungsfeld für Antifaschist*innen, die (extreme) Rechte, stand bis jetzt kaum im Fokus. Diese begegnet dem Thema Klimagerechtigkeit auf zwei Arten: Zum einen versuchen extreme Rechte, vor allem aus der völkischen Siedlerbewegung, das Thema Umweltschutz zu vereinnahmen. Das Neonazimagazin "Umwelt und Aktiv" publiziert regelmäßig zu umweltpolitischen Themen aus einem völkischen Blickwinkel. Dem gab immerhin schon die Ökofeministin Vandana Shiva ein Interview in Unkenntnis des politischen Hintergrunds, wenngleich sie führ ihre biologistisches Konzept der »Öko-Apartheid« in der Kritik steht. Ein weiteres Paradebeispiel ist die Solidaritätserklärung der neonazistischen Kleinstpartei »Der Dritte Weg« mit den Aktivist*innen des Hambacher Walds. Die Verbindung von ökologischen Themen mit anti-aufklärerischen Ideen und der Übertragung von Darwins Evolutionslehre auf bevölkerungspolitische Phänomene hat in Deutschland seit Ende des 19. Jahrhunderts Tradition. Sozialdarwinismus1 und die nationalsozialistische »Blut und Boden«-Ideologie vereinen sich heutzutage mit einem romantisierenden Naturverständnis unter dem Slogan »Umweltschutz ist Heimatschutz« der völkischen Rechten. Akteur*innen aus sogenannten völkischen Siedlungen versuchen gezielt, lokale Initiativen gegen Atomenergie und Gentechnik oder solidarische Landwirtschaftsnetzwerke zu unterwandern.
In der AfD hingegen vermengt sich am auffälligsten rechtes Gedankengut mit der Vorstellung, es gäbe keinen menschengemachten Klimawandel. Beispielhaft dafür ist das Interview vom Parteivorsitzenden Alexander Gauland in der ZEIT, in dem er erklärte, er halte eine Klimapolitik für sinnlos. Gemäß ihrer neoliberalen Ausrichtung positioniert sich die AfD gegen sogenannte „planwirtschaftliche Eingriffe“ und gegen „jegliche Subventionen“ im Energiebereich. Benannt wird jedoch ausschließlich das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das die Partei grundsätzlich abschaffen will. In den AfD-Fraktionen in Sachsen und Brandenburg dominiert eine klare Pro-Kohle Haltung und gerät damit in Konflikt mit anderen Landesverbänden, die sich dem Schutz von Heimat oder dem Kampf gegen Feinstaub durch Kohlekraftwerke verschrieben haben. Zu betonen ist jedoch, dass die Expertise der AfD in Umwelt- oder Klimafragen sehr dünn ist. Neben dem Lieblingsthema Migration werden...
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