Ostritz – Plädoyer für einen solidarischen Support

Wie sinnvoll sind antifaschistische Interventionen aus der Großstadt im ländlichen Raum? Was kann das Ziel solcher Aktionen sein? Können sie nachhaltig wirken und wie kann die Interaktion mit Strukturen vor Ort gelingen? Anne und Philipp von Prisma Leipzig mit einigen Antworten.

In diesem Text wollen wir uns mit diesen Fragen, insbesondere mit Fokus auf den Protest gegen das neonazistische »Schild und Schwert«-Festival in Ostritz auseinandersetzen. In Sachsen war das Wirken für emanzipatorische Kräfte nie wirklich einfach. Eine CDU, die sich als Staatspartei begreift und Problemanzeigen als Nestbeschmutzung diffamiert, erschwerte die Situation für viele Aktive, zusätzlich zu den Kameradschaften und Nazigruppen, die nach wie vor überall im Freistaat ihre Rückzugsmöglichkeiten haben.

Das krasse Bundestagswahlergebnis der AfD von deutlich über 20% in Sachsen zeigt, auf wie viel Zustimmung rassistische und andere diskriminierende Einstellungen in der so genannten “Mitte der Gesellschaft« stoßen. Linke und emanzipatorische Kräfte befinden sich heute, in Folge einer drastischen Diskursverschiebung nach rechts, einhergehend mit dem Trend zur drastischen Ausweitung von Überwachungs- und Eingriffsbefugnissen, in der Defensive.

Das Auftreten von Akteur*innen aus der rechten Szene wird zudem zunehmend selbstbewusster. Rechte Strukturen suchen den öffentlichen Raum. Wie erfolgreich sie darin sind, zeigt sich nicht zuletzt an der großen medialen Aufmerksamkeit, die etwa der Identitären Bewegung zu Teil wird. Insbesondere die Neue Rechte findet immer neue Formate für ihr Auftreten. Aber auch Rechtsrockkonzerte finden wieder in sehr viel größerer Zahl statt, als noch vor ein paar Jahren.

Konzerte, Sportevents und Familienfeste dienen rechten Strukturen als Plattformen für Austausch, Vernetzung und binden gleichzeitig durch den Freizeitcharakter Menschen fester an die Strukturen. Für ihre Veranstaltungen suchen sie sich meist abgelegene Orte im ländlichen Raum, wo wenig zivilgesellschaftlicher Widerstand zu erwarten ist und wo auch die Verwaltung wenig Erfahrung mit solchen politischen Großveranstaltungen hat. Auch bekannt ist, dass rechte Akteur*innen Objekte insbesondere im ländlichen Raum aufkaufen, um dort feste Anker für Veranstaltungen zu schaffen.

Widerstand auf dem Land?

Bereits 2014, spätestens jedoch 2015 verschärfte sich die Situation insbesondere für Geflüchtete, aber auch für linke Strukturen drastisch. Als Reaktion auf die Angriffe und Bedrohungsszenarien in Freital, Dresden und anderen Orten, verlagerten auch die antifaschistischen Strukturen ihre Aktivitäten zunehmend in den ländlichen Raum. In diesem Zusammenhang wurde die Zusammenarbeit mit den örtlichen Aktiven immer wieder thematisiert. Nicht selten spielen die unterschiedlichen Lebensrealitäten in Stadt und Land auch eine Rolle im Verständnis einer »erfolgreichen Intervention.« Vielerorts gab es Support durch erfahrene städtische Aktive bei Demoanmeldungen und ähnlichem. An mancher »Intervention aus der Großstadt« wurde jedoch auch durch die örtlichen antifaschistischen Strukturen Kritik geübt.

Als Beispiel hierfür soll eine Demo in Heidenau im Sommer 2016 genannt werden. Ein Jahr nach den rassistischen Ausschreitungen wollte man mit einer Demo ein Zeichen gegen das Vergessen vor Ort setzen. Kritik gab es vor allem an den Teilnehmer*innen, die »aus der Großstadt« anreisten und während der Demo vorrangig »scheiß Drecksnest« oder »Kühe, Schweine, Ostdeutschland« skandierten. Verweisen möchten wir an dieser Stelle auf die differenzierte Auseinandersetzung der FAU Dresden mit dem Geschehen.

Unserer Ansicht nach ist es bei weitem zu kurz gedacht, aus dem gesellschaftlichen Rechtsruck den Schluss zu ziehen, »Die Pampa« sei verloren und man müsse nur hin und wieder hingehen und seine Abneigung gegen die Gesellschaft vor Ort demonstrieren. Damit verkennt man das umfassende Problem des Rechtsrucks der Gesamtgesellschaft und dieser betrifft uns alle, auch wenn wir ihn in der Stadt (noch) nicht so deutlich zu spüren bekommen, wie auf dem Land. Gerade aufgrund des akzeptierten Rassismus in einem Großteil der Gesellschaft ist es umso wichtiger, die Bemühungen der örtlichen Strukturen in ihrer Arbeit für Geflüchtete, Jugendliche usw. zu unterstützen. Der Schlüssel ihrer Arbeit ist jedoch persönlicher Kontakt und Graswurzelarbeit. Das können wir auch aus eigener Erfahrung beurteilen, denn wir sind im ländlichen Raum in Sachsen groß geworden.

Auch bei Aktionen, deren Ziel es ist, Nazis auf dem Land mit »unversöhnlicher Feuerwehrpolitik« abzuschrecken, sollten Antifas nicht darüber hinwegsehen, dass Protestformen, wie beispielsweise in Heidenau, vor allem eine günstige Steilvorlage für die örtlichen rechtskonservativen Lokalfürsten bieten, um linke Strukturen zu delegitimieren.

Rechts rockt nicht in Ostritz

Für uns war von Anfang an klar: »Ziel muss es sein, dass sich die Menschen aus der Region auch noch ein Jahr später positiv auf unsere Veranstaltung beziehen.« Auch wenn es schwer fällt, ein solches Ziel zu überprüfen, sind wir davon überzeugt, dass wir zumindest den Grundstein dafür gelegt haben. Wir werten die Geschehnisse von Ostritz deshalb insgesamt als Erfolg. Dies machen wir an verschiedenen Faktoren fest:

  1. Der Aufruf von »Rechts rockt nicht« und die lokale Arbeit im Vorfeld zielten immer auf Anschlussfähigkeit und Vermittelbarkeit ab. Etliche Genoss*innen und Aktive unter anderem aus Bautzen, Görlitz und Zittau gaben über Monate ständig ihr Bestes und vermittelten so gut es ging. Auch der Anmelder Mirko Schultze (Die Linke, Landkreis Görlitz) betonte, dass linke Proteste keineswegs gegen die Ostritzer*innen gerichtet seien. »Wer hier anreist und meint, das ist ein braunes Kacknest mit lauter Unterstützern, der irrt und wird das auch sehr schnell feststellen«. Wir sind der festen Überzeugung, dass es überall Menschen gibt, die nicht mit rechten Debatten einverstanden sind und dass auch kleine Strukturen im ländlichen Raum unterstützt werden müssen. Enge Absprachen mit diesen Leuten sind unabdingbar und sollten als Ressource genutzt werden, da sie diejenigen sind, die Region und Menschen vor Ort kennen. Die erste Frage sollte deshalb immer lauten: »Was wollt ihr und wie können wir euch dabei unterstützen?«

  2. Es ist uns gelungen einen vielfältigen und anschlussfähigen Protest in Ostritz zu organisieren. Allein aus Leipzig kamen ca. 150 Menschen. Insgesamt reisten rund 400 Menschen von außerhalb – unter anderem aus Dresden, Leipzig, Jena und Frankfurt am Main an. Unser Auftreten vor Ort hat maßgeblich mit dem Aktionsformat und der eigenen Mobilisierung zu tun. Das Format eines Gegen-Konzerts zielt bewusst darauf ab, auch Menschen jenseits des klassischen Antifa Publikums zu erreichen. In den Leipziger Bussen befanden sich sehr viele Menschen, die man ansonsten nicht oder zumindest eher selten auf Demonstrationen antrifft. Diesen Erfolg führen wir auch auf die Mobilisierung von »Leipzig nimmt Platz« zurück. Ein zivilgesellschaftliches Bündnis bestehend aus Parteien, Gewerkschaften, Jugendverbänden, Kirchen, linksradikalen Gruppen und Einzelpersonen hat nicht nur die Möglichkeit, Aktionen zivilen Ungehorsam zu legitimieren, sondern ist auch in der Lage weit über die Szene hinaus Menschen zu mobilisieren. Rentner*innen, Familien, Parteileute und Genoss*innen zeigten eine Woche vor Ostritz bei unserer Foto-Aktion auf dem Leipziger Marktplatz sehr deutlich, wie vielfältig der Protest aussehen sollte. Bei zahlreichen Mobi-Vorträgen in Leipzig haben wir immer wieder betont, wie wichtig es ist, das Aktionsformat vor Ort zu berücksichtigen. Infolgedessen kam es bei der »Konferenz gegen den Rechtsruck« in Leipzig zu einer kurzen Diskussion über Auftreten und Ästhetik. Wir sind der Meinung, dass die radikale Linke solche Debatten in Zukunft verstärkt führen sollte.

  3. Die Niedrigschwelligkeit des Aktionsformats in Form des Gegen-Konzerts und die gute Anmelde-Situation ermöglichten es sowohl den Menschen vom Friedensfest als auch den Genoss*innen, die jeweils andere Veranstaltung zu besuchen. Wir sehen es als Erfolg an, dass auch ältere Ostritzer*innen auf unserer Veranstaltung waren, mit den Besucher*innen ins Gespräch kamen und sich selbst ein Bild der Lage machten. Außerdem betrachten wir es als Erfolg, dass der Ministerpräsident Kretschmer nach einem Gespräch mit Sebastian Krumbiegel (Prinzen), seine Meinung auf offener Bühne revidierte. Spätestens am Freitagabend stellten sich die Weltuntergangsprognosen von Polizei und Berichterstattung als haltlos heraus. Kretschmer konnte sein Feindbild nicht mehr widerspruchsfrei aufrechterhalten und den Protest in das »gute unpolitische Friedensfest« und die »gefährlichen Linken« auf der Lederwiese spalten. So rief selbst er dazu auf, gemeinsam ein Zeichen gegen Neonazis zu setzen. Das gab es die letzten 28 Jahre in Sachsen nicht! Auch wenn er seine Aussage durchschaubar taktisch einsetzt, ist dies ein Erfolg und unsere Protestform blieb dennoch die laute und politische, die sie sein sollte.

  4. Und auch medial zahlte sich unsere Arbeit aus. Das zuvor beschworene Bild großer Bedrohungsszenarien durch anreisende Gegendemonstrierende konnte nicht mal im Ansatz bestätigt werden. Vor ein paar Wochen noch, äußerte ein Familienvater beim Vereinsstammtisch des Internationalen Begegnungszentrums (IBZ) Ostritz seine Bedenken und erinnerte an die G20-Krawalle in Hamburg. »Ich habe Angst, dass Ostritz zwischen die Mühlsteine gerät. Mir ist doch egal, wer meine Fassade beschmiert oder mein Auto zerstört.« Trotz des Nicht-Eintretens dieser Horrorszenarien wurde bundesweit über den Protest in Ostritz berichtet. Maßgeblich dazu beigetragen hat auch das Auftreten der Protestierenden. Als wir in Ostritz ankamen und unseren Demonstrationszug zum Gelände hin starteten, waren unter anderem Pressevertreter*innen von Tagesschau und Sat 1 sofort zugegen. Unser Transparent mit der Aufschrift »Solidarität mit Ostritz« schaffte es in sämtliche Medien und setzte ein positives Zeichen. Die Botschaft, die an diesem Wochenende von Ostritz gesetzt werden konnte, war: Viele Menschen aus unterschiedlichen linken Strukturen solidarisieren sich mit den Menschen in Ostritz, weil deren Ort von Nazis geflutet wird. Die Menschen vor Ort haben sich den öffentlichen Platz genommen, sie haben nicht zugelassen, dass Nazis in gespenstischer Stille durch den Ort streifen und Angst verbreiten.

Was können wir aus Ostritz lernen?

Es ist uns bewusst, dass das Konzept Ostritz nicht das Konzept eines jeden Gegenprotestes sein kann, gerade im ländlichen Raum, wo die Strukturen keine großen Polster haben und sich noch mehr Arbeit auf wenige Schultern verteilt. Im Vorfeld des Wochenendes in Ostritz haben viele Menschen enorm viel Zeit und Nerven investiert, um diesen Protest so auf die Beine zu stellen. Nächstes Mal sollten wir nochmal stärker betonen, dass die Leute vor Ort die Proteste organisieren. Ihnen gilt auch unser größter Dank, denn sie waren der Garant für den Erfolg! Auch an diesem Wochenende gibt es natürlich Dinge, die hätten besser laufen können. Deutlich zu spüren war, dass ein bekannterer Hauptact auf der Bühne fehlte. Die Punkbands aus der Region waren cool, aber für das nächste Mal könnten wir noch eine deutlich breiter bekannte (Ost-)Band einladen, vielleicht sogar Silly!

Auf der anderen Seite birgt eine solche Form des Protests natürlich auch immer die Gefahr, dass die politische Auseinandersetzung in den Hintergrund gerät und die Veranstaltung zu einer Party verkommt. Bei vielen der Anwesenden war der Wunsch nach direktem Protest spürbar. Deutlicher Protest in Sicht- und Hörweite ist ein wichtiger Teil des Protests gegen Nazis. Unter Beachtung der persönlichen Sicherheit sollten wir bei kommenden Veranstaltungen auch dafür einen Weg finden. In Ostritz war außerdem deutlich zu erleben, dass Pluralität von Veranstaltungen einen breiten Protest schafft und so manche Spannung nimmt, die aus unterschiedlichen Verständnissen von Protestkultur erwachsen. Wichtig ist jedoch insbesondere, dass sich die Veranstaltungen positiver aufeinander beziehen. Das bedeutet keineswegs, dass inhaltliche Kritik nicht erwünscht ist (auch uns scheint ein unpolitisches Friedensfest, auf dem dann – Überraschung – doch der CDU-Ministerpräsident die Schirmherrschaft übernommen hat, nicht als adäquates Mittel des Gegenprotestes) – im Gegenteil, sie ist notwendig. Dennoch ist die Notwendigkeit des Mitwirkens unterschiedlicher Akteur*innen als Mittel zum Erfolg solcher Proteste zu begreifen und dementsprechend auch mit Umsicht zu agieren. Solidarische Unterstützung aus der Großstadt, die von den Aktiven vor Ort gewünscht wird, ist sinnvoll und sie ist heute nötiger denn je. Gegen Ende des Jahres werden wir vermutlich wieder nach Ostritz fahren, wenn die Nazis ihr Wort halten. Dann wollen wir auf dem Erreichten aufbauen.

Anne und Philipp sind in der Leipziger IL-Ortsgruppe Prisma organisiert.

Das Bild entstand bei der im Artikel angesprochenen Mobi-Aktion, eine Woche vor den Protesten in Ostritz.