Zu unserer Hoffnung stehen.


Klimapolitik zwischen radikalem Systemwandel und realpolitischen Prozessen

»Wir haben nichts erwartet und sind trotzdem enttäuscht« stand auf einem populären Banner zum Ende der Kohlekommission. Der Satz steht symptomatisch für das ungeklärte Verhältnis der radikalen Klimabewegung zu realpolitischen Prozessen. Mit unserer radikalen Verurteilung alles Falschen haben wir zwar meistens recht – aber keine gemeinsame Hoffnung auf Veränderung.

Nach dem letzten Klimajahr will ich hier Bilanz ziehen, um strategisch zu lernen: Erstens aus den Erfolgen im Agenda-Setting, durch das die Klima- und Kohlepolitik von einem Nischenprojekt zu einem national diskutierten Thema avancierte. Zweitens aus dem letztjährigen Policy-Prozess, der Diskussion und Entscheidung über konkrete Gesetze, Maßnahmen und Instrumente, um den Kohleausstieg umzusetzen.

Agenda-Setting zum Kohleausstieg

2014 gründete sich ›Ende Gelände‹ mit dem erklärten Ziel, eine Bewegung für den Kohleausstieg zu schaffen und das Thema aus dem lokalen Widerstand auf die nationale Agenda zu heben. Diese erste Phase der breiteren Anti-Kohlebewegung ist eine Erfolgsgeschichte: Am Kohleausstieg zerstritt sich die mögliche Jamaika-Koalition im November 2017, die folgende Große Koalition fühlte sich genötigt, ein Klimaschutzgesetz zu versprechen und die Kohlekommission einzusetzen.

Dieser Erfolg war nicht zuletzt der guten Zusammenarbeit zwischen NGOs und Graswurzelbewegung geschuldet. Über mehrere Jahre hatte sich eine implizite Zusammenarbeit herausgebildet: Die linksradikale und nicht-institutionalisierte Bewegung organisierte mit Ende Gelände bildgewaltige Klima-Massenaktionen und damit Medienaufmerksamkeit. Inhaltlich äußerten sich jedoch weiterhin meist die großen Umwelt-NGOs zu Klimafragen. Mit dieser Arbeitsteilung von Aktion, Bildern und legitimierten Expert*innenpositionen schaffte es die Klimabewegung, den Kohleausstieg als Politikthema zu setzen – gegen die Interessen beider Regierungsparteien. In dieser politischen Erfolgsphase wuchs auch die Anti-Kohlebewegung und differenzierte sich örtlich und thematisch aus.

Policy-Prozess zum Kohleausstieg

Dann war letztes Jahr alles anders: Die Umweltverbände gingen in die Kohle-Kommission – mit bitterem Ende. Denn dort stimmten sie einem Ergebnis zu, mit dem wir für das 1,5-Grad-Szenario fünf bis zehn Jahre zu spät aus der Braun- und Steinkohleverstromung aussteigen. Selbst das deutsche Klimaziel für das 2-Grad-Szenario im Energiesektor wird fünf Jahre zu spät erreicht. Dieses klimapolitisch desaströse Ergebnis kam in einem Moment, in dem die Klimabewegung in Deutschland und im Hambacher Wald so groß und breit war wie nie zuvor und große Teile der deutschen Bevölkerung einen deutlich schnelleren Kohleausstieg unterstützten.

Die politische Niederlage trotz bester Bewegungsbedingungen: Wie konnte das passieren? In den vergangenen Jahren funktionierte die Arbeitsteilung, weil Graswurzelbewegung und NGOs gemeinsam außerhalb von realpolitischen Prozessen standen – und mit der Untätigkeit der Bundesregierung eine gemeinsame Gegnerin hatten. Doch dann gab es plötzlich einen politischen Prozess zum Kohleausstieg, an dem die Verbände teilnahmen – und begannen, mit den Gegner*innen zu verhandeln.

Wir als radikale Klimabewegung kamen jedoch kaum weiter, als den Prozess als solchen zu kritisieren und erwartbare Verurteilungsfloskeln vorzubringen. Da diese weder neu noch irgendwo anschlussfähig im Diskurs waren, konnten wir de facto keine inhaltlichen Akzente setzen.

Radikale Forderungen in den realen Prozess

Mit unserer radikalen Kritik von außen sind wir immer im Recht:Wir brauchen den radikalen Systemwandel, denn der kapitalistische Wachstumswahn zerstört ganz offensichtlich Lebensressourcen, zuerst von Menschen im Globalen Süden oder in Gebieten, in denen Extraktivismus (die neoliberale Variante der Rohstoffausbeutung) stattfindet und schließlich von uns allen. Doch von Parteien und Politiker*innen als ›Teil des Systems‹ erwarten wir nichts. Viel zu groß ist die Angst vor realpolitischen Enttäuschungen und damit einhergehender Demobilisierung der Bewegung. Stattdessen wollten wir den Kohleausstieg ›selber machen‹ oder beschwören den Ausstieg ›von unten‹.

Angesichts konkreter Verhandlungen ließ sich das nicht nur schwer nach außen vermitteln, sondern eigentlich glaubten auch viele in der Bewegung nicht so richtig daran. Denn konkrete politische Veränderungen werden momentan in parlamentarischen Verfahren verhandelt. Wir ersticken die Hoffnung auf ein halbwegs sinnvolles Ergebnis dabei, aus Angst Maximalforderungen nicht durchsetzen zu können. Das Ergebnis: Wir haben zwar fast immer recht, aber keine Hoffnung. Das ist auch ein strategischer Fehler. Denn Bewegungen haben immer auf der Grundlage von Hoffnung auf Wandel funktioniert, der oft unwahrscheinlich scheint. Und viele von uns glauben auch heute daran: Wir haben dabei immer wieder das Unmögliche möglich gemacht, sind über uns als Bewegung hinausgewachsen und haben damit in der Agenda-Setting-Phase geschafft, was viele uns nicht zugetraut hätten. Um – wie oft betitelt – »größenwahnsinnig«zu sein und zu bleiben, müssen wir hoffen.

Die Aktionen der letzten Jahre zielten auf Agenda-Setting auf nationaler Ebene ab, aus der einerseits eine Bewusstseinsveränderung in der Bevölkerung und andererseits ein Politikprozess entstehen konnte und sollte. Und als es diesen gab, hofften natürlich viele wider besseren Wissens auch auf ein vertretbares Ergebnis der Kohlekommission. Nur so lässt sich ein populäres Banner bei den Aktionen zum Ende der Kohlekommission erklären: »Wir haben nichts erwartet und sind trotzdem enttäuscht« stand darauf. Erwartet haben wir nichts, aber gehofft vielleicht schon.

Das ist auch gut so. Denn Rechte und Konservative gewinnen Mehrheiten auf der Grundlage von Angst, wir aber – wie die Kommunikationsexpertin Carys Afoko sagt – »win on hope«. Hoffnung auf Veränderung ist damit auch eine strategische Frage für die Bewegung und ihre Strahlkraft. Wo aber entsteht diese Hoffnung? In den frühen Ende-Gelände-Aktionen haben wir immer wieder das scheinbar Unmögliche geschafft und konnten gemeinsam Veränderung in der Ermächtigung spüren. Danach aber entsteht Hoffnung, so Dorothee Sölle, im Kleinen und Konkreten: Biobäuer*innen, die die Bundesregierung verklagen, Schüler*innen, die in Massen für den Klimaschutz auf die Straße gehen, viele Menschen, die sie unterstützen.

Die Hoffnung in der konkreten Veränderung aber heißt für uns, sich aus dem bequemen radikalen Verurteilungshaus zu wagen und in die Komplexität realer Politikprozesse einzutreten. Wir hätten realistische Maßnahmen von der Kohlekommission fordern können: Den Kohleausstieg bis 2025 oder innerhalb der 1,5°C-Grenze. Dann hätte es aber auch eine Klimapolitik gebraucht, die »brave enough to fuck with the grays«, wie Joan Morgan sagt, gewesen wäre – eine Klimapolitik, die sich Positionen in der realen, komplizierten Welt zutraut.

In realen Politikprozessen jedenfalls ist die Zeit, in der wir die NGOs überall für uns sprechen lassen konnten, vorbei – allein schon, weil sie verhandeln und von der Gegenseite ernst genommen werden wollen. Dadurch fordern sie – auch bedingt durch eigene Bündnisarbeit – den Wandel oft nicht in der notwendigen Radikalität. Viele NGOs befinden sich zudem in einem Dilemma: Sie könnten ihr Wissen zur Forderung machen, aber keine Aktionen organisieren, welche die Dringlichkeit in ihrer Form spiegeln. Wie passt eine Appell-Demo dazu, dass wir laut Weltklimarat nur noch zwölf Jahre für die gesamte Transformation haben?

Hier kommt der nicht-institutionalisierte Teil der Klimabewegung ins Spiel: Wir können das NGO-legitimierte Wissen aus den Studien und daraus resultierende Forderungen durch angemessen radikale, aber noch vermittelbare Aktionsformen zur Diskussion stellen. Wenn wir nur noch zwölf Jahre haben und die Parteien jetzt beginnen zu handeln, fordern wir: Klimaneutralität bis 2030 und konkrete Maßnahmen, wie unser ungerechtes Energiesystem radikaldemokratisch reformiert werden kann. Das ist größenwahnsinnig, aber technisch nicht unmöglich.

Es heißt aber auch: Wir müssen konkrete Forderungen stellen, über die tiefere Diskussionen als »das ist eine offensichtlich symbolische Forderung« möglich sind. Wir müssen sprechfähig sein und möglicherweise stärker Kante zeigen: zum Beispiel gegenüber einer klima-realistischen Transformation und den Arbeitenden. Wir müssen auf konkrete Politikprozesse eingehen und mit dem Risiko leben, dass wir ein paar Menschen verlieren, wenn wir unsere Maximalforderungen nicht durchsetzen können. Die Gewinne mit der Hoffnung auf konkrete Veränderungen sind wahrscheinlich größer. Während das einerseits heißt, diskursiv flexibler sein, gilt das auch für unsere Aktionsformen, Forderungen und Bündnispartner*innen. Denn eine Bewegungsstrategie, die beim Agenda-Setting sehr erfolgreich ist, kann für Policy-Prozesse ungeeignet sein – dann müssen wir schnell genug umdenken. Inzwischen haben wir mit Ende Gelände und dem Hambacher Wald die Möglichkeit zu einer mainstream-adressierten Intervention – auch im Policy-Prozess – und wir sollten sie nutzen. Wenn wir ein linksradikales inhaltliches Gewicht im Kontext von Verhandlungen sind, dann können wir den großen diskursiven Erfolgen der vergangenen Jahre vielleicht auch materielle Veränderungen zur Seite stellen.

Das Falsche richtig machen

Statt alles als falsch zu kritisieren (und damit recht zu haben), sollten wir also überlegen, wie das Falsche richtig werden kann. Wenn wir in den nächsten Jahren nicht die Klima-Revolution erwarten, dann müssen wir das System anders verändern. Eine wichtige und legitime Strategie ist es, unsere Utopien eines gemeinschaftlichen und klimaneutralen Lebens vorzuleben. Alltäglich in ›Inseln‹ und Projekten und immer wieder auf Klimacamps mit Vielen. Dieser Strategie sollten wir andere zur Seite stellen, die stärker in den Mainstream wirken: Systemtransformierende Reformen könnten ein Weg sein, oder revolutionäre Realpolitik.

Ein Blick zu aktuellen Bewegungs-Stars lohnt sich: Das Sunrise Movement ist eine junge Graswurzelbewegung in den USA. Erst 2017 gegründet, wurde die Organisation sehr schnell sehr bekannt. Ziel ist, dass die Demokratische Partei bis zum nächsten Wahljahr 2020 einen »Green New Deal« ins Wahlprogramm aufnimmt. Konkret fordert die Bewegung eine Priorität für Klimaschutz, Transformation der Wirtschaft und Energieversorgung bei gleichzeitiger Arbeitsplatzgarantie. Unterstützt wird sie von mehreren Demokrat*innen, darunter Alexandria Ocasio-Cortez, shooting star der Parteilinken.

Während die Forderungen des Sunrise Movement in Europa eher sozialdemokratisch einzuordnen wären, sind sie im US-amerikanischen Kontext revolutionär. Weite Teile der Forderungen und der Strategie – wie beispielsweise die Adressierung nur einer Partei – wären bei uns nicht sinnvoll oder umsetzbar. Spannend ist aber: Was wären linksradikale und systemtransformierende Forderungen, die wir in einem Policy-Prozess stellen würden? Es hätte beispielsweise ein Kohleausstieg im Rahmen des 1,5-Grad-Szenarios sein können, gekoppelt mit einer Energiegarantie für Niedrigverdiener*innen und finanzieller Absicherung für die Beschäftigten – oder dem bedingungslosen Grundeinkommen. Beim Verkehr könnten es umlagefinanzierter ÖPNV, besserer und billigerer bundes- und europaweiter Schienenverkehr sowie ausgebaute Rad- und Fußinfrastruktur mit autofreien Innenstädten sein: Ein klimaschonender Ausbau gemeinschaftlicher Infrastruktur.

Während wir in der ersten Phase von Agenda-Setting und Opposition gegen die Verhältnisse sehr gut darin sind, Wut und Enttäuschung zu kanalisieren und positive Erfahrungen der Selbstermächtigung zu erzeugen, können uns konkrete Visionen Hoffnung auf eine gerechtere Welt geben. Dorothee Sölle beschrieb Hoffnungslosigkeit als ein Luxusgut der Reichen, die nicht in konkreten Kämpfen stecken. Im Gegensatz zu vielen Menschen im Globalen Süden sind wir aktuell noch wenig von der Klimakrise betroffen.

In absehbarer Zeit aber werden auch wir sie spüren – und spätestens dann können wir uns Hoffnungslosigkeit nicht mehr leisten. Fridays for Future haben das schon heute intuitiv verstanden. Hoffnung wirkt in die Bewegung, kann uns Kraft für weiteres Handeln geben und strahlt nach außen. Im Erlebten, Kleinen und in den politischen Fortschritten wird diese Hoffnung konkret. Sie ist wichtig für uns als Bewegung, aber auch eine strategische Entscheidung. Lasst uns also zu unserer Hoffnung stehen – und damit den Konflikt um die Klimakrise und Klimaschutz radikal von links aufrollen.

Die Autorin Inken Behrmann ist seit vielen Jahren in der Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv, von 2015 bis 2017 vor allem bei Ende Gelände.

Dieser Artikel erschien zuerst in BRAVE NEW CLIMATE, der aktuellen Ausgabe der arranca! mit dem Themenschwerpunkt Klimagerechtigkeit.