Mit Klima in die Offensive a.k.a Last chance for communism

Warum es gerade jetzt einen Global Strike braucht und welche Potentiale in ihm liegen, erklärt die Klima-AG der Interventionistischen Linken.

Seit einem halben Jahr streiken die Schüler*innen von Fridays for Future (FfF) – international und zu Hunderttausenden. Dieser Generationenwechsel hat nicht nur die Klimabewegung verändert. Was mit dem Hambi in 2018 begann, führt Fridays for Future weiter: Sie haben das gesellschaftliche Wahrnehmungslevel der Klimakrise schlagartig erhöht und diese zu der zentralen gesellschaftlichen Auseinandersetzung gemacht. Sie fordern den Status Quo heraus: Der vermeintliche gesellschaftliche Konsens der Kohlekommission, der dem Kohle-Bewegungszyklus den Deckel drauf setzen sollte, konnte sich dank der Forderungen von FfF gar nicht erst als solcher etablieren. Und die FfF-Bewegung politisiert, ganz nebenbei, Hunderttausende junge Menschen – in Deutschland und international.

Nun möchte FfF den nächsten Schritt gehen und ruft für den 20. September 2019 zum Global Strike mit anschließender Aktionswoche auf. Der Streikaufruf richtet sich nicht, wie gewohnt, nur an Schüler*innen, sondern ist eine explizite Einladung an alle Menschen, sich daran zu beteiligen.

Mit seiner Öffnung für alle gesellschaftlichen Gruppen, den Schüler*innen von FfF als zentraler Legitimationsfigur und der rapide gewachsenen gesellschaftlichen Relevanz bietet er die Chance, neue Akteur*innen und soziale Milieus zum Thema Klimakrise auf die Straße zu bringen. Und er bietet die Gelegenheit, das diskursive Feld über das Thema Klimakrise weiter von links aufzurollen. Bisher profitieren von der Diskursverschiebung vor allem die Grünen, aber leidtragend sind sowohl CDU und SPD als auch AfD.

Der Global Strike könnte nicht nur aus Perspektive der Klimagerechtigkeitsbewegung einer der Kristallisationspunkte 2019 werden, sondern es ebenfalls schaffen, sich in anderen sozialen Kämpfen und Bewegungen zu verankern. Wir wollen aber nicht nur Mitstreiter*innen aus anderen Kämpfen gegen die Klimakrise auf die Straße bringen, sondern vor allem junge Menschen, die sich gerade an der Klimakrise politisieren, für andere Kämpfe gewinnen.

Der Global Strike ist eine Möglichkeit, mit der Klimakrise als Querschnittsthema und gemeinsamen strategischen Bezug unser Kämpfe zu verbinden. Mit Zivilem Ungehorsam für Radikalisierung, Zuspitzung und Empowerment auf der einen Seite und Verankerung in unterschiedlichen Themenfeldern und Kämpfen können wir einen Unterschied machen und Klima zur gesamtgesellschaftlichen, antikapitalistischen Frage machen. Als radikale Linke können wir gemeinsam eine intersektionale Vision von Klimagerechtigkeit als Antwort auf eine der fundamentalsten und existenziellsten Krisen des 21. Jahrhunderts entwickeln.

Was kann das konkret bedeuten?

Massenhafter Ziviler Ungehorsam: Gemeinsam mit Ende Gelände, Extinction Rebellion und anderen Akteuren blockieren wir Brücken, Kreuzungen, Fabriken und die Logistik des Kapitals.

Frauen*Streik: Klima und Feminismus gehören zusammen. Die patriarchale Logik von Objektivierung, Ausbeutung und Aneignung schafft die Klimakrise und die sozialen Folgen der Naturausbeutung treffen vor allem Frauen* und die Lebens- und Wirtschaftsbereiche, die maßgeblich von ihnen bestritten werden.

Gesundheit: Care-Arbeit statt Autoindustrie. Sorge-Arbeit und gesellschaftliche Reproduktion sollten kollektiv organisiert werden und die gesellschaftliche Anerkennung erhalten, die heute Profitmaximierung und der rücksichtslosen Ausbeutung von Arbeit und Ressourcen zukommt.

Mieten/Recht auf Stadt: Bisher werden, ähnlich wie bei Frage von Arbeitsplätzen in der Kohleindustrie, auch in der Stadtpolitik die soziale Frage und das Klima gegeneinander ausgespielt und energetische Modernisierungen sind aktuell vor allem ein Verdrängungsinstrument. Und gleichzeitig geht es bei der Frage von Stadtpolitik und Klimagerechtigkeit um viel mehr als Gebäudesanierung: Es geht auch um Neubau und Stadtentwicklung, um neue, kollektive Mobilitätskonzepte, Stadt-Land-Beziehungen, Ernährungssysteme und städtische Ökologie.

Seebrücke/Antira: Die Klimakrise ist heute schon und wird zukünftig noch viel stärker Fluchtursache für Millionen von Menschen sein. Klimakrise ist Rassismus: Die Menschen, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben, werden am härtesten von seinen Folgen getroffen und leiden schon lange am stärksten unter Ausbeutung, Armut, Hunger und Gewalt. Die imperiale Lebensweise des Globalen Nordens und die Herrschaft des Kapitals wird verteidigt, indem rassistisch ausgegrenzt und sich abgeschottet wird. Indem Menschen im Mittelmeer, der mittlerweile tödlichsten Grenze der Welt, ertrinken, weil sie vor den Folgen der Zerstörung und Krisen fliehen, die die kapitalistischen Zentren überall auf der Welt verursachen.

Antifa: Lasst uns zeigen, wo der natürliche Feind der Klimabewegung steht. Ende Gelände hat es mit »Klimabewegung gegen Rechts« zuletzt am 1. Mai in Erfurt vorgemacht und sich an den Blockaden des AfD-Aufmarschs beteiligt. Rechtsautoritäre und faschistische Regierungen leugnen entweder den Klimawandel oder machen, wie in Brasilien unter Bolsonaro, unverhohlen industriefreundliche, klimazerstörerische Politik. Sie kriminalisieren und greifen vor allem auch die sozialen Bewegungen an, die für soziale Gerechtigkeit, Umweltgerechtigkeit und Landrechte kämpfen. Die Hunderttausend frisch politisierten Schüler*innen sind alle potentielle Antifaschist*innen – und das brauchen wir, denn mit globalem Rechtsruck wird sich die Klimakrise nur noch autoritärer zuspitzen, wird es niemals Klimagerechtigkeit geben.

Unteilbar: Auch für Klimakämpfe gilt: Wir sind unteilbar. Feministische, antirassistische und soziale Kämpfe sind Kämpfe der Klimagerechtigkeit.

Mit Klima in die Offensive, oder auch: Last chance for communism

Der Global Strike könnte der Anfang einer neuen strategischen Schwerpunktsetzung in der radikalen Linken sein: Eine Schwerpunktlegung, bei der die Klimakrise und die Forderung nach Klimagerechtigkeit verbindend durch die unterschiedlichen Kämpfe gedacht wird und die gegenseitige Bezugnahme in den Kämpfen und Praxen sukzessive vertieft wird. Dafür braucht es offene Diskussionsprozesse und die Erfahrungen und das Wissen aus anderen Kämpfen und Bewegungen.

Wir glauben einerseits, dass das strategisch richtig, und andererseits, dass es dringend notwendig ist:

(1) Fridays for Future hat im letzten halben Jahr eine politische Situation geschaffen, die offen und dynamisch ist und in der die Klimakrise neben dem Mietenwahnsinn gerade am stärksten in der Lage ist, den Status Quo von links herauszufordern. Es spricht viel dafür, dass die Klimakrise das bestimmende Thema bleiben wird. Mit FfF politisiert sich in extrem jungen Jahren eine ganze Generation – eine potentielle neue Generation an Aktivist*innen. Die Klimakrise verdeutlicht in extremer Form, dass der Status quo untragbar ist und unsere Zukunft zerstört. Das sind reichlich Möglichkeiten, mit einer intersektional gedachten Klimagerechtigkeit – die antikapitalistisch, aber auch feministisch, antirassistisch und antifaschistisch ist – in die Offensive zu kommen.

(2) Die Klimakrise wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zwangsläufig zu massiven gesellschaftlichen Brüchen und Veränderungen führen (müssen). Die politischen Eliten sind unfähig, diese Umbrüche zu gestalten: Ob Grüne, CDU oder AfD: Sie alle setzen weiter auf ressourcenintensives Wirtschaftswachstum, ob »grün« oder nicht, das die sozialen und ökologischen Folgen externalisiert und ein Weiter-So vor allem auf Kosten des Globalen Südens erkauft. Unterschiede werden sich vor allem in der Frage zeigen, wie autoritär und repressiv den sozialen und ökologischen Verwerfungen begegnet wird, die diese Prozesse hervorrufen werden. Ob ressourcenintensive Elektromobilität oder eine umfassende gesellschaftliche Aufwertung von Care-Arbeit; ob (groß-)technologische Ansätze wie Geoengineering und andere Scheinlösungen, die neokoloniale Extraktions- und Ausbeutungsmuster unter dem Deckmantel des Klimaschutzes fortschreiben, um und die fossile Industrie am Leben zu erhalten; ob wir einen »overshoot«, ein Überschreiten von 1,5 Grad, in Kauf nehmen, was zu irreversibler Zerstörung und unkontrollierbaren Rückkopplungseffekten im Klimasystemführen würde; oder ob wir das internationalistische Versprechen von Klimagerechtigkeit einlösen können, das der historischen Klimaschuld der frühindustrialisierten kapitalistischen Zentren und dem kolonialen Erbe der Klimakrise Rechnung trägt: Es liegt (auch) an uns, wie diese gesellschaftliche Transformation unter einem extremen Zeitdruck aussehen wird.

(3) Die Klimakrise ist die Gerechtigkeitskrise des 21. Jahrhunderts: Sie spitzt die multiplen Krisen von globaler sozialer Ungleichheit, Ausbeutung und Aneignung von Arbeitskraft und Ressourcen, von Entrechtung, Marginalisierung und Unterdrückung zu, die seit Jahrhunderten durch unterschiedliche Herrschaftsverhältnisse ausgeübt werden. Sie stellt uns vor das Problem eines sich rasend schnell schließenden Zeitfensters:Wir müssen in den nächsten 8-12 Jahren radikal umsteuern, um die Erderwärmung noch auf 1,5 Grad begrenzen zu können. Wenn uns das nicht gelingt, werden sich die Bedingungen für den Kampf für eine befreite Gesellschaft in einer Art und Weise verschlechtern, wie wir es uns bislang noch nicht einmal vorstellen können. Ganze Landstriche werden nicht mehr bewohnbar sein, Nahrungsmittelproduktion und Ökosysteme kollabieren und Verteilungskämpfe, Zerstörung, Leid, Flucht und Migration in bislang ungekanntem Maßstab auslösen. Die Dringlichkeit und die Frage, wie emanzipatorische Zukünfte unter den Bedingungen der Klimakrise überhaupt noch aussehen können, sind schwierig und unangenehm, aber wir können es uns nicht leisten, sie weiter zu verdrängen.

Diese Fragen müssen sich viel stärker in der strategischen Bestimmung der radikalen Linken niederschlagen. Der Global Strike am 20. September kann dafür nur der Anfang sein – aber er ist ein Anfang, um gemeinsam zu zeigen, dass der Status Quo untragbar ist, weil er unsere Gegenwart und Zukunft zerstört – und dass wir alle gemeinsam für eine Vision von antikapitalistischer, feministischer, antirassistischer und antifaschistischer Klimagerechtigkeit kämpfen, die der einzige Weg aus der Krise ist.

Autorin: Klima-AG der Interventionistischen Linken.

Bild: »Streik« von Timo Maier.