Politische Gefangene in Athen


Einblick in das Berufungsverfahren gegen zwei für 13 Jahre verurteilte junge Menschen

In Athen wurden zwei junge Menschen unter einem Terorparagraph zu 13 Jahren Haft verurteilt. In den letzen Wochen liefen die Berufungsverfahren. Die Autor*innen waren an den Prozesstagen anwesend und teilen mit diesem Artikel ihre Informationen und Eindrücke.

UPDATE: die beiden politischen Gefangenen wurden in der Zwischenzeit überraschend freigesprochen.

Am 24. Mai 2018 fand im Berufungsgericht in Athen der dritte Verhandlungstag gegen zwei als Terrorist*innen Verurteilte statt. Aufgrund von dubiosen Beweisen wurden die beiden jungen Menschen am 01.06.2017 zu jeweils 13 Jahren Haft nach dem »Terrorparagraphen« 187A verurteilt. Ähnliche Paragraphen bzw. gesetzliche Ausführungen gibt es in vielen Staaten der EU. Seit 2007 haben die meisten EU-Staaten auf dieser Grundlage ähnliche Gesetze gegen verschiedenste Gruppen genutzt, darunter auch Aktivist*innen und mit linksradikaler Politik assoziierte Menschen.

Grob zusammengefasst wurde Irianna aufgrund von zwei »Hauptfakten« verurteilt und eingesperrt: a) ihrer Liebesbeziehung zu einem Anarchisten und b) einem kleinen Teilsample ihrer DNA auf Waffen, die auf ominöse Weise gefunden worden sind und bisher keinem Verbrechen zugeordnet werden konnten. Obwohl ihr Partner von allen Vorwürfen einer Verbindung zu den Taten einer als terroristisch eingestuften linksradikalen Organisation freigesprochen wurde, war diese Liebesbeziehung ein maßgeblicher Faktor, der zu ihrer Verurteilung von 13 Jahren geführt hat.

»Die Leidenschaft für die Freiheit ist stärker als jedes Gefängnis!«

Am 24. Mai besuchen wir mit Freund*innen und Familie sowie einigen Unterstützer*innen den 3. Teil der Berufungsverfahren. Der Polizeieinsatz ist martialisch. Während sich Freund*innen und Verwandte auf den Stufen des Gerichts begrüßen und unterhalten, hören wir von weitem schon die Sirenen. »Das muss der Konvoi mit Irianna sein«, sagt eine Freund*in und zeigt in die Richtung, aus der der Gefangenentransport mit Blaulicht auftaucht. Die Polizei stellt sich, in voller Schutzmontur, inklusive Helmen und Schildern, auf und sperrt den belebten Gehweg ab. Die Menge ruft währenddessen: »Die Leidenschaft für die Freiheit ist stärker als jedes Gefängnis!« Wir versuchen, einen Blick auf die junge Frau zu erwischen, aber die Szenerie ist so gut abgeschirmt, dass nicht mal das möglich ist. Zusammen mit den Verwandten, Freund*innen und Unterstützer*innen gehen wir durch die Securitykontrolle und fahren in den sechsten Stock des riesigen Gerichtsgebäudes.

Auch hier oben stehen schon zwei Polizisten bereit. Der Gerichtssaal füllt sich nach und nach und es ist schwierig, einen der 40 Sitzplätze zu erwischen. Irianna und Perikles werden in Handschellen von einer Terrorspezialeinheit in den Gerichtssaal geführt und nehmen links oben Platz. Das Ganze ist ein skurriles Schauspiel. Während der zierlichen jungen Frau und ihrem Mitangeklagten die Handschellen abgenommen werden, postieren sich zwei Terroreinheitspolizisten mit ihren Maschinengewehren innen links und rechts an der Eingangstür im Saal. Die anderen drei, zum Teil maskierten Terrorpolizisten stellen sich, Hände an der Waffe, hinter die beiden Angeklagten. Insgesamt zählen wir 8 bewaffnete Polizisten im Gerichtssaal.

Wir fühlen uns wie Zeug*innen eines schlechten Filmes, nur leider ist das hier bittere Realität. Es ist schwer, bei diesen Begebenheiten und der immer noch über Allem schwebenden Bedrohung von 13 Jahre Haft für zwei – unter zweifelhaften Umständen verurteilte – Menschen, nicht an einen politischen Schauprozess zu denken. Deswegen haben wir hier Einiges aus dem seit März laufendem Berufungsverfahren zusammengestellt, in dem die beiden Verurteilten versuchen, mit ihren Anwält*innen Gegenbeweise zu den zur Verurteilung führenden Indizien zu liefern. Folgendes ist im Laufe der Berufungsverhandlungen bisher ans Licht gekommen.

Ist das ein Stück DNA?

Die DNA Probe ist wohl so klein, dass keine weitere Prüfung möglich ist. Metheniti, die Biologin der Direktion für Kriminalforschung der griechischen Polizei, antwortet im Zeugenstand, dass es unklar ist, welchen Ursprung (Blut, Schweiß, Speichel) die DNA hat.

Dr. Metheniti: »2011 (als die DNA Probe untersucht wurde) hatten wir keine Zertifizierung, sowie kein Labor in Griechenland. Wir machen Statistik, wir suchen nach der Häufigkeit der Erscheinung in der Bevölkerung.«

Richter: »Sind die Ergebnisse 100% richtig?«

Dr. Metheniti: »Das kann man so nicht sagen. Dies ist in der Statistik nicht der Fall. Statistisch gesehen, da wir 11 Millionen Menschen in der griechischen Bevölkerung haben, kann dieser genetische Typ nur einmal vorkommen.«

Iriannas Anwältin: »Der Zeuge, der die Waffen gefunden hat, hat sie nach seinen Aussagen ohne Handschuhe angefasst. Wie kann man den Test dann noch für glaubwürdig halten?«

Ein ehemaliger Vorgesetzter von Dr. Metheniti hat in einem Brief die Arbeitsweise des Labors kritisiert und dargelegt, dass die Leiterin politisch voreingenommen ist. Dr. Fitsialos, der Biologe von Iriannas Verteidigung, macht ebenfalls ein paar wichtige Aussagen zur Arbeitsweise:

»Es gibt keine Meinungsverschiedenheiten in der wissenschaftlichen Gemeinschaft was Dr. Metheniti’s Aussagen angeht. Sie drückt ihre persönlichen Ansichten aus. Die Probe ist von schlechter Qualität und geringer Menge. Diese Einschätzung teilt die wissenschaftliche Gemeinschaft. Das internationale Institut von Lausanne kam zum selben Ergebnis. Es ist nicht nur nicht sicher, ob es Iriannas DNA ist, sondern sogar sicher, dass sie es nicht ist. [...] Die wissenschaftliche Gemeinschaft gibt den Richtern ein Alarmsignal. Diese Taktik (Dr. Methenitis) darf auf keinen Fall als glaubwürdig betrachtet werden.«

Ein skurriler Waffenfund und die politischen Hintergründe des Prozesses

Guliamakis, der Polizist, der den Waffenfund begleitet hat, sagt aus. Der Waffenfinder selbst ist nie im Gericht aufgetaucht, da er laut Polizei nicht mehr auffindbar sei. Der Mann habe die Waffen auf dem Campus gefunden, nachdem er eine Person beim Eingraben beobachtet hätte. Er dachte, es könnte sich bei dem eingegrabenen Gegenstand um Gold handeln und grub es wieder aus. Nach dem Fund hat er das Gefundene begutachtet, es wieder eingepackt und es an einer anderen Stelle wieder eingegraben. Erst 10 Tage später ging er zur Polizei und berichtete von seinem Fund. Der vor Gericht aussagende Polizist ist daraufhin mit dem Zeugen zum Campus gefahren, um die Waffen wieder auszugraben. In der ausgegrabenen Kiste mit den Waffen waren auch christlich orthodoxe Heiligensymbole. Als Guliamakis von Iriannas Anwältin gefragt wurde, ob die gefundenen Waffen irgendeinen Bezug zur »Verschwörung der Feuerzellen« (eine als »linksextremistisch« eingestufte Terrororganisation) hatten, antwortete er: »Nein, keinen.« Der politische Hintergrund der Verurteilung bzw. der Möglichkeit, dass dieser Prozess als Warnung für Aktivist*innen eingesetzt wird, ist kaum zu übersehen, wenn man sich einige der Fragen der Staatsanwältin vor Augen führt:

Staatsanwältin: »Der Saal ist ja voll anarchistischer Gruppen. Wieso interessieren sie sich für Irianna, wenn sie nicht auch zu denen gehört?«

Zeuge (Iriannas Partner): »Die Leute leisten Solidarität, weil sie die Absurdität sehen.«

Staatsanwältin: »Ihr hättet den Fall nicht an die Öffentlichkeit bringen dürfen. Es war der falsche Weg der Verteidigung, weil es in der Ermou Strasse (nach der Ablehnung des Antrags auf Aussetzung des Urteils) zu Vandalismus führte.«

Zeuge: »Wir hatten keine andere Wahl (als an die Öffentlichkeit zu gehen). Während der ersten Gerichts- verhandlung wollten wir keine Öffentlichkeit. Aber nach dieser kafkaesken Situation und der Verurteilung musste der Fall bekannt werden. So Sachen (wie die Verurteilung Iriannas) dürfen nicht zweimal passieren.«

Die Staatsanwältin fragt den Zeugen (Iriannas Partner) auch, ob er immer noch mit seinem Artikel in Einklang steht, der vor einiger Zeit in einer linken Online-Zeitung veröffentlicht wurde. Danach verlangt sie, dass Iriannas veröffentlichter Brief, den sie letztes Jahr geschrieben hatte, um all denen, die ihr Solidarität geleistet haben, zu danken, vorgelesen wird. Sie versucht darauf hinzudeuten, dass Irianna sich darin für den Vandalismus in der Ermou Strasse bedanken würde.

Staatsanwältin (zu Perikles): »Was hast du über die Gewalt zu sagen? Verurteilst du sie?«

Perikles: »Persönlich übe ich keine Gewalt aus.«

Staatsanwältin: »Du warst mit einem Paar befreundet, das extreme Meinungen hat. Die Ermou Straße war wirklich zerstört und du hast keinen Text dazu geschrieben. Aufgrund der Ablehnung des Antrags auf Aussetzung des Urteils, wurde das Eigentum der Bürger in eurem Namen zerstört. Warum hast du das nicht verurteilt?«

Perikles: »Ich habe nicht einmal das Urteil gegen mich selbst verurteilt. Ich habe nichts geschrieben. Ich habe es (die Zerstörung) nicht gemacht, warum sollte ich etwas dazu sagen?«

Staatsanwältin: »Wenn Sachen passieren und man sie nicht verurteilt, bedeutet das, dass man ihnen zustimmt.«

»Seit 8 Jahren haben sie uns keine Ruhe gelassen.«

Hier ist gut zu sehen, wie Irianna und auch Perikles nicht als Einzelpersonen, sondern als angenommene Sprecher*innen für ganze Gruppen vor Gericht stehen. Sie werden dazu aufgefordert, sich als Einzelpersonen von Taten zu distanzieren, die andere Personen begangen haben. Tun sie es nicht, wird ihnen dies als Beweis für die eigene Involviertheit angelastet. Diese Vorgehensweise bestätigt die beklemmende Vermutung, dass dieser Prozess vor allem eins ist: ein Warn- und Schauprozess für politisch Aktive und Interessierte. In ihrem Abschlussplädoyer an diesem dritten Tag der Berufungsverhandlung fasst Irianna die polizeiliche Verfolgung, die surrealen, jedoch real destruktiven Elemente der Verhaftungen, der Verurteilung und des Gefängnisaufenthaltes zusammen.

»Ich bin seit Juni [2017] im Gefängnis. Mein Leben hat sich dramatisch verändert. Es nahm eine Wendung, die ich niemals erwartet hatte. So sehr ich Angst vor meinem damals bevorstehenden Gerichtstermin hatte, dachte ich trotzdem, meine Wahrheit wäre selbstverständlich. Das alles fühlt sich an wie ein schlechter Traum, weil es so gar nicht mit dem Rest meines Lebens zusammen passen will. [...] Es ist mir egal, ob das Ganze hier eine Intrige ist, was mich besorgt, ist, dass mein Leben zerstört wurde. Und nicht nur meines, sondern auch das meiner Familie. Und Konstantinos’ [ihr Freund] Leben auch. Seit 8 Jahren haben sie [die Exekutive und Legislative] uns keine Ruhe gelassen.«

Als ihre Rede endet, können wir die erdrückende Stimmung, die Trauer, die Wut und die Ohnmacht über die Ungerechtigkeit fühlen. Viele Menschen im Gerichtssaal weinen. Das, was den Freund*innen, der Familie, den Unterstützer*innen und Irianna Kraft gibt, ist die unbändige Solidarität. Dieser Zusammenhalt ist es auch, der die Einsamkeit in diesem Unrecht etwas lindert. Wir warten auf den letzten Verhandlungstag des Berufungsverfahrens, der eigentlich am schon 28.06.2018 stattfinden sollte und fordern, dass dieses Unrecht und die polizeiliche Verfolgung von Irianna und Perikles endlich ein Ende hat.

Weiteres zu den Hintergründen der Verurteilung findet sich in diesem Artikel. Details zum politischen Kontext dieser Arten von Verurteilungen in Griechenland gegen linke Aktivist*innen oder mit Aktivist*innen assoziierte Personen schreibt die Jungle World. Eine chronologische Abfolge der Geschehnisse (seit der zufälligen Verhaftung (2011) und weiterer Verhaftungen (2013) und der Verurteilung (2017) von Irianna gibt es hier.

Bild: von Markus Pink.