#metoo – Feminismus heißt Einmischen

Hat #metoo wirklich etwas bewirkt? Ja, eine Verankerung queerfeministischer Themen im Mainstream, finden die Autorinnen dieses Beitrags. Statt die Widersprüche und neoliberalen Vereinnahmungen in den Fokus linksradikaler Kritik zu rücken, sollten die Chancen zur Verbreiterung des Sprechens über Sexismus und sexualisierte Gewalt gesehen und für radikale Interventionen nutzbar gemacht werden.

Als Kreis von Genossinnen, die im Winter 2017 gemeinsam in Berlin die #metoo-Demo veranstaltet haben, wollen wir hier eine solidarische Kritik an dem vor uns veröffentlichten Beitrag »#metoo tut mir weh« formulieren. Uns ist bewusst, dass nach der Demo und dem Artikel schon einiges an Zeit verstrichen ist. Angesichts der Tatsache, dass #metoo jedoch immernoch Titelseiten füllt, dass sexualisierte Gewalt durch den Hashtag ganz bestimmt nicht verschwunden ist und dass wir glauben, der Diskurs wurde in unseren linksradikalen Kreisen bislang zu wenig besprochen, möchten wir trotzdem antworten. Zusätzlich hoffen wir, ein paar Anstöße dafür zu geben, die Debatte weiter ins Rollen zu bringen. Im Hinblick auf die Begriffe, die wir benutzen, schließen wir uns unseren Vorrednerinnen an: auch wir sprechen von Frauen*, um auf eine heterosexuell konstruierte Geschlechterordnung hinzuweisen, in der unterschiedliche Diskriminierunsgformen existieren.

Im Spätsommer 2017 leitete #metoo - zumindest in Europa und Nordamerika – die seit Jahren größte Debatte um sexualisierte Gewalt ein. Diese Debatte hat einen langen Atem, der über Auseinandersetzungen rund um Sexismus und sexualisierte Gewalt an Filmsets in Hollywood hinausgegangen ist, Dinge sagbar gemacht, Sichtweisen verschoben hat. An unserer heterosexistischen Machogesellschaft ist das nicht spurlos vorbeigegangen: ZEIT-Autor Jens Jessen klagte im April 2018 wehleidig, Männer würden seit Beginn der #metoo-Debatte ausnahmslos dämonisiert werden und sieht darin den Aufstieg des totalitären Feminismus. Getroffene Hunde bellen. Mit diesem Beitrag wollen wir sagen: #metoo kann durchaus etwas verändern.

Die strukturelle Ebene

Unsere Vorrednerinnen klagen an, die #metoo-Debatte würde nicht viel tiefer gehen, als es in Debatten um cis-Frauen in Chefetagen oder Quoten der Fall ist. Strukturelle Probleme, die darauf hinweisen, dass Patriarchat mit Kapitalismus zusammenhängt, dass diese Gesellschaft darauf ausgerichtet ist, Gewinner*innen und Verlierer*innen zu produzieren, würden nicht zur Sprache kommen. Ebenso wenig würden Gegenvorschläge artikuliert.

Aber was stellen wir uns denn vor? Dass ein absolutes Tabuthema auf's Tableau gesellschaftlicher Auseinandersetzungen kommt und auf einmal können wir Kapitalismus abschaffen, weil alle Leute denken »Mir ist ein Licht aufgegangen, die strukturelle Ungleichbehandlung von Frauen* nützt der Kapitalakkumulation!«? Wir stehen nunmal leider nicht kurz vor dem feministischen Rätekommunismus und #metoo ist keine feministische Revolution. Unserer Meinung nach ist das, was im letzten Jahr passiert ist, in den heutigen Verhältnissen trotzdem als feministischer Erfolg zu verbuchen. Als ein erster Schritt einer Debatte, die auf verschiedene Weisen strukturelle Ebenen aufzeigt:

Erstens hat die bloße Anzahl der Betroffenen, die den Hashtag benutzten, für alle ersichtlich gemacht, dass es nicht um ein individuelles Thema geht. Selbst wenn am Ende des Tages bei vielen nur hängen geblieben ist, dass sexualisierte Gewalt ein riesiges Problem ist und zahlreiche Menschen betrifft, dann ist der Weg zum »Warum?« nicht so weit.

Zweitens wurden die öffentlichen Debatten oft vor dem Hintergrund der Frage nach strukturellen Ursachen geführt. Auch wenn wahrscheinlich nur die wenigsten Tweets gesamtgesellschaftlichen Sexismus benannt haben, so wurde in den Medien durchaus auf sexistische Grundstrukturen eingegangen - wenn auch nicht mit linksradikaler Schärfe.

Und drittens ist das Sprechen über sexualisierte Gewalt an sich schon ein Bruch mit strukturellen Dimensionen: Gerade durch die Stigmatisierung und die gesellschaftliche Tabuisierung erhalten die Täter Macht über die Betroffenen. Sexualisierte Gewalt funktioniert als gesellschaftliches Problem eben auch nur über diese Stigmatisierung. Das ist ein struktureller Bestandteil, den #metoo angreift.

Es ist ein Erfolg eben dieser Betroffenen, dass #metoo das geschafft hat. Und ja, das tut auch weh. Absolut keine betroffene Person sollte gezwungen werden, die Berichte und Erzählungen lesen zu müssen. Es ist bitter und wenig verwunderlich, dass sie es sind, die sich mit sexualisierter Gewalt auseinandersetzen müssen, denn sie sollten nicht die einzigen sein, die die Verantwortung haben, das Thema auf die Agenda zu setzen. Aber solange wir in diesen Verhältnissen leben, ist es ein Anfang, das Schweigen über sexualisierte Gewalt zu brechen, denn Schweigen und Verlagerung der Schuld, »Victim blaming«, sind zentrale Instrumente von Rape Culture und sexualisierter Gewalt. Wenn wir eines Tages so leben können, dass Betroffene das Erlebte erzählen können und dabei ernst genommen werden, dann würden diese Instrumente ausgehebelt werden. Das will #metoo. Und das ist weit mehr als ein einsames Teilen von Horrorstorys oder »sex sells«.

Widersprüche aushalten

Das heißt nicht, dass #metoo widerspruchsfrei gefeiert werden kann. Denn ja, #metoo gibt auch Anlass zur Kritik: An der rassistischen Gesellschaft, die #metoo nicht wahrnahm, als Tarana Burke als Schwarze Frau die Initiative vor über 10 Jahren ins Leben rief. An den widerlichen Vergleichen verschiedener Diskriminierungsformen, wie sie unsere Genoss*innen in ihrem Artikel völlig zurecht beschreiben.

Nichtsdestotrotz ist #metoo kein weiß vereinnahmter Hashtag. Schwarze Frauen* haben unter dem Hashtag über ihre Erfahrungen mit Mehrfachdiskriminierung geschrieben. Burke selbst nutzte beispielsweise den Erfolg für eine riesige Spendenkampagne zur Unterstützung von betroffenen Frauen. #metoo per se als rassistisch und blind für verschiedene Verbindungen von Diskriminierungen abzutun, halten wir deswegen für zu kurz gegriffen.

Damit wir uns richtig verstehen: wir plädieren durchaus dafür, Kritik auszuüben. Unserer Meinung nach kann sie ein wichtiges Mittel sein, um in einer Bewegung Partizipationsmöglichkeiten für vorerst marginalisierte Gruppen zu schaffen. Wir plädieren aber auch dafür, nicht an jedes Aufkommen einer Bewegung, an jede gesellschaftliche Veränderung von Anfang an den Anspruch zu formulieren, sie müsse komplett widerspruchsfrei und unter Einbezug jeglicher Gesamtscheiße funktionieren. Das wird in einem von Widersprüchen und Doppelmoral geprägten Umfeld höchstwahrscheinlich nicht passieren.

Einmischen

Wenn wir es uns dementsprechend immer erst in der Beobachter*innenposition gemütlich machen, wie es unserer Meinung nach oft passiert, wenn queerfeministische Themen außerhalb der uns vertrauten Räume aufploppen, dann gehen uns Momente, die offen sind für radikale Interventionen, schlichtweg durch die Lappen. Und vielleicht ist #metoo so ein Moment. Wenn wir so überlegen, dann finden wir es durchaus nicht alltäglich, dass heute höchstwahrscheinlich fast niemand mehr behaupten kann, er/sie* wüsste nicht, was sexualisierte Gewalt überhaupt sein sollte. Noch vor 5 Jahren hat sich eine Auseinandersetzung darüber mehr oder minder auf Bereiche wie Frauen*häuser, Beratungsstellen und links-feministische Szenen beschränkt.

Soll heißen, #metoo war in einer langen Aneinanderreihung an Misserfolgen und Scheitern einer der wenigen Momente, in denen linke (und nicht rechte) Inhalte Einzug in gesellschaftlichen Mainstream hatten. Diese Verbreiterung können wir als Neoliberalisierung abtun. Oder wir fangen an, sie als Erfolg zu verbuchen und uns zu überlegen, welchen Beitrag wir selbst leisten können, damit ein kämpferisches, antirassistisches, radikalfeministisches Moment darin nicht verloren geht.

Wenn wir linksradikale, feministische Politik ernst meinen, dann heißt das Einmischen. Das kann auf verschiedene Weisen passieren. In Berlin haben wir zum Beispiel probiert, die unterschiedlichen Ebenen und Kämpfe innerhalb von #metoo, die im Netz viel undurchdringlicher und unsichtbarer sind, auf die Straße zu holen und im November die eingangs benannte Demo organisiert. Trotz Eiseskälte und unter einer Woche Mobilisierungszeit ohne nennenswerte Kooperationen kamen 1000 Menschen zusammen. Klar, das sind nicht die revolutionären Massen und die Frage danach, inwiefern uns das unserer Utopie einer befreiten Gesellschaft wirklich nähergebracht hat, stellt sich hier wie bei jeder anderen iL-Aktion. Wir sind jedoch sicher, dass mehr solcher Aktionen auf Bundesebene rund um #metoo einiges dazu beigetragen hätten, die Debatte zu verschärfen, verschiedene feministische Akteure zusammen zu bringen oder zumindest eine Diskussion über Zielgruppen queerfeministischer Praxis anzustoßen.

Wir hoffen, dass die Nachwehen von #metoo noch ein bisschen anhalten und dass wir beim nächsten erfolgreichen feministischen Hashtag handlungsfähig sind und uns einmischen: Als Aktivist*innen und vielleicht auch als Betroffene. Mit all der Vorsicht, dem Selbstschutz aber auch der Entschlossenheit, die uns gut tut und die es dafür braucht. Und wenn wir dann irgendwann vor der Wahl stehen, Hashtag oder feministische Revolution, dann sind wir uns vermutlich einig. Aber bis dahin wollen wir nicht die Füße stillhalten.

Tessi und Naemi sind in der Interventionistischen Linken organisiert und haben zusammen mit weiteren Genossinnen im Winter 2017, als #metoo Schlagzeile um Schlagzeile füllte, die MeToo-Berlin Demo organisiert.

Bild: Demonstration “#Metoo-Berlin” im November 2017. Von den Veranstalterinnen.