Die feministische Revolte


Wenn Frauen* und Queers streiken

Der Frauen*streik steht vor der Tür und überall auf der Welt laufen die Vorbereitungen für den 8. März längst auf Hochtouren, auch in Deutschland. Grund genug für uns, bei unseren Freund*innen und Genoss*innen noch ein Mal nachzufragen: Warum unbedingt streiken? Was verbindet unsere Kämpfe von Buenos Aires bis Berlin – und was trennt uns? Und wird unser Streik mehr als bloß symbolisch sein?

Die Bilder des vergangenen 8. März, des internationalen Frauen*kampftags 2018, gingen um die Welt: In Spanien lag der Verkehr in ganzen Städten lahm, Schulen und Geschäfte blieben geschlossen, 5 Millionen Frauen* streikten im Haushalt und in der Lohnarbeit. Die Argentinier*innen fluteten die Straßen mit grünen Halstüchern, pañuelos, um gegen die Morde an ihren Schwestern zu protestieren. Es war der Tag des zweiten internationalen Frauen*streiks, den wir in diesem Jahr auch nach Deutschland tragen wollen. Es sind Frauen* und Queers, die in der ersten Reihe gegen neoliberale Krisenpolitiken und Rechtsautoritarismus stehen, als Betroffene, aber vor allem als Widerständige, sei es in den USA, in Lateinamerika, in Südostasien oder Europa. Beim Feminismus geht es schon lange nicht mehr »nur« um die Belange von Frauen*, nein, er hat sich aufgeschwungen zu einer viel allgemeineren Bewegung der gesellschaftlichen Emanzipation. Der Streik ist ihr Mittel der Wahl.

Den politischen Streik zurückerobern

Gerade in unseren eigenen politischen vier Wänden gab es, wenn in letzter Zeit vom Frauen*streik gesprochen wurde, einiges an Verwirrungen und skeptischen Nachfragen. Ist der Frauen*streik wirklich ein Streik? Was soll denn da überhaupt bestreikt werden und wie? Soll da wirklich in irgendeiner Form ein ökonomischer Schaden entstehen? Wir glauben, erklärbar kann das Projekt Frauen*streik nur werden, wenn man/frau* sich auf einen Streikbegriff einlässt, der breiter gefasst ist als das klassische Verständnis eines politischen Arbeitskampfes mit gewerkschaftlichem Hintergrund. Feministische Streiks der letzten Jahre haben sich eher durch die Idee der massenhaften Verweigerungshaltung hinsichtlich des Status quo definiert, die keinem spezifischen Arbeitskampf zugrunde liegt. Streikbewegungen wie in Argentinien oder Mexiko haben sich zuerst an Fragen von Selbstbestimmung über den eigenen Körper und/oder kulturell und gesellschaftlich verankerten Sexismen radikalisiert und diese Themen danach mit einer ökonomischen Perspektive verknüpft. Genau darin liegt unserer Meinung nach das Potenzial solcher Streiks. Doch dazu später mehr. Wofür wir vor allem plädieren ist, die feministischen Streiks und auch den Frauen*streik in Deutschland als vielschichtigen Prozess zu betrachten, der gerade erst angefangen hat. In dieser Betrachtungsweise wollen wir einlenken, kann und soll der Frauen*streik natürlich auch Arbeitskampf sein. In der Frauen*streik AG der IL Berlin versuchen wir beispielsweise, nach längerer Diskussion über einen möglichen Schwerpunkt im Streik, gemeinsam mit anderen Akteuren mit Erzieher*innen über den Streik zu sprechen und die Warnstreiks im öffentlichen Dienst mit dem Frauen*streik zu verknüpfen. Zu den tatsächlichen Ausmaßen des Streiks also: Ja, vielleicht werden irgendwann so viele streiken, dass tatsächlich ein ökonomischer Schaden daraus entsteht. Aber wir sind nicht in Spanien und es werden nicht 5 Millionen Frauen* am 8. März die Arbeit niederlegen. Gerade geht es erstmal um Bewegungsaufbau. Hinzu kommt, dass das Streikrecht in Deutschland es uns nicht leicht macht. Nur, wenn die Gewerkschaften selbst zum Streik aufrufen, ist Streik legitimiert. Politische Streiks, also nicht-gewerkschaftlich organisierte Streiks, sind in Deutschland illegalisiert und wer am 8.März die Lohnarbeit niederlegt ist unter Umständen Repression ausgesetzt und gefährdet den Job. Uns geht es darum, uns den politischen Streik neu anzueignen und den Kampf um seine Legitimierung zu führen. Bis dahin gilt es, Streikformen zu nutzen und zu entwickeln, die es möglichst vielen Frauen* ermöglichen, mitzustreiken - auch und vor allem für denjenigen, denen das Streiken durch das bestehende Streikrecht verwehrt bleibt, zum Beispiel illegalisierten und informell angestellten Care Arbeiter*innen.

Der Streik als feministische Klassenpolitik

Viel wurde in den vergangenen Monaten und Jahren über die neue Klassenpolitik in der Linken geschrieben. Konkret wurde es dabei leider selten und es blieb meist bei der abstrakten Feststellung, dass heute auch Frauen* und Migrant*innen als Teil der Klasse zu denken seien, wenn nicht gar ihren Kern darstellen. Für uns stellt der Frauen*- und Queerstreik eine Möglichkeit dar, konkret feministisch-klassenpolitisch zu kämpfen. Der Streik als Instrument eignet sich bestens dazu, das zu verknüpfen, was so oft unverbunden bleibt: Sexualisierte Gewalt und ökonomische Ausbeutung von Frauen* sind mitnichten voneinander zu trennen. Wir können nicht über Alltagssexismus, geschweige denn von Femiziden sprechen, ohne über den Hungerlohn und die Arbeitsbedingungen derer zu sprechen, die in privaten Haushalten Sorgearbeit leisten. Der Streik ermöglicht es, die Gewalt in einen größeren, sozio-ökonomischen wie politischen Kontext zu stellen.

Das bedeutet nicht nur inhaltlich einen Schritt nach vorne zu gehen, sondern auch Kämpfe zu verbinden, die bislang zu häufig getrennt geführt werden – nicht zuletzt auch innerhalb der iL. Spätestens seit #metoo ist auch dem letzten Typen (hoffentlich) bewusst geworden, dass sexualisierte Gewalt existiert. Meist blieb die Diskussion jedoch bei der Skandalisierung von Übergriffen stehen. Die Betroffenen sexualisierter Gewalt blieben individualisiert - wenn auch öffentlich gehört - und die Gewalt selbst wurde nur selten in den breiten Kontext von Geschlechterverhältnissen und rassistischer Unterdrückung im neoliberalen Kapitalismus gestellt. Nichtsdestotrotz gewinnen die feministischen Kämpfe, weltweit wie auch hierzulande, an Kraft und haben sich sogar einen (nicht ganz unproblematischen) Platz in hegemonialen Diskursen erstritten. Wir betrachten das als Etappensieg, den es nun zu radikalisieren gilt. Der Frauen* und Queerstreik ist unsere nächste Eskalationsstufe!

Er ist eine neue Eskalationsstufe, weil er über Symbolpolitik und reine Diskursintervention hinausgeht. Von Argentinien bis Spanien zeigten Frauen* und Queers zu was sie nach jahrelangen Organisierungs- und Mobilisierungsprozessen in der Lage sind: Die Welt steht ohne ihre Arbeit und durch die massenhaften Sabotageaktionen für einen Tag weitestgehend still: Die Bahnen fuhren nicht, viele Schulen blieben geschlossen, im Radio waren nur männliche Stimmen zu hören – wie es sich für einen feministischen Generalstreik gehört. Dass dies bei uns 2019 noch nicht der Fall sein wird ist klar. Umso wichtiger ist es uns zu betonen, dass der diesjährige 8. März für uns nur der Auftakt ist.

Die Kämpfe verbinden

Verbinden wollen wir im Streik nicht nur klassisch (queer-)feministische Kämpfe gegen Sexismus, sondern auch solche, die sich in erster Linie gar nicht als feministische verstehen. In Berlin blicken wir auf jahrelange Arbeitskämpfe im Sorgebereich zurück - so etwa den Streik der Pfleger*innen an der Charité oder der Erzieher*innen in KiTas. Einige sind bereits im Berliner Netzwerk aktiv, andere gilt es noch ins Boot holen. Antirassismus und Internationalismus spielen eine nicht minder große Rolle im Netzwerk: Sei es durch die enge Verknüpfung mit den transnationalen Streikbewegungen oder der Vernetzung mit geflüchteten Frauen* und Migrant*innenorganisationen vor Ort. Gemeinsam wird es uns möglich sein, Verbindungslinien zwischen den Kämpfen herzustellen, sich über Streiktaktiken auszutauschen und schließlich am 8. März die Arbeit niederzulegen. Für die eine wird es bedeuten, das Geschirr an diesem Tag liegen zu lassen, für die andere an dem Tag nicht im Büro zu erscheinen, für wieder andere besteht der Streik darin, auf die Straße oder zur Versammlung zu gehen und sich über die alltägliche patriarchale Gewalt auszutauschen und zu verbünden. Frauen*streik bedeutet trotz (oder gerade wegen) aller Unterschiedlichkeit gemeinsam zu sein.

Indem der Frauen*streik an viele feministische Kämpfe anknüpft, die in den letzten Jahren und aktuell geführt wurden/werden, schafft er Verbindungslinien zwischen ihnen. Das bedeutet auch, dass die Zusammensetzung der Bewegung sehr viel breiter ist, als wir es aus unseren bisherigen feministischen Bündniskonstellationen gewöhnt sind: Von Gewerkschaften und Parteien über internationale Gruppen wie Ni Una Menos und International Women Space, bis hin zu Care Revolution, diversen Hochschulgruppen und Einzelpersonen sind viele Positionen vertreten. Dadurch entsteht ein vereinender Moment für die sehr zersplitterte linke & feministische Szene, die sich unter dem Regenschirm des Frauen*streiks zusammenfindet und dadurch eine neue, gemeinsame Schlagkraft gewinnt. Etwas, das wir in den vergangenen Jahren in unterschiedlichen QF-Projekten versucht, aber selten geschafft haben – erinnern wir uns zum Beispiel an Feminism Unlimited. Uns ist bewusst, dass wir dabei aus einer stark durch Berlin geprägten Perspektive sprechen und die Streikkomitees nicht in allen Städten so aufgestellt sind. Auch der Aufbau lokaler Netzwerke kann ein längerer Prozess sein. Dennoch glauben wir auch in der bundesweiten Vernetzung wahrzunehmen, dass die Konstellationen in der Tendenz heterogener sind und großes Potential besteht, sie in den kommenden Monaten noch zu erweitern.

Was fängt die iL damit an?

Ein weiters bemerkenswertes Charakteristikum des Frauen*streik-Netzwerks ist, dass es (ähnlich wie die Seebrücke) neue Formen der Bündnisarbeit verhandelt. Es wird sich explizit gegen einen starren Bündnis-Begriff ausgesprochen und versucht eine möglichst offene und transparente Organisierungsform zu schaffen, die eine breite Beteiligung aller ermöglicht. Es gibt kaum Delegierte aus den jeweiligen Quellgruppen, über welche Gruppendiskussionen zurückgetragen werden und die politischen Bestimmungen werden direkt im Netzwerk getroffen. Im Kontrast zu alten, manchmal starren Bündniskonstellationen werden neue Anknüpfungs- und Politisierungsräume geschaffen: Für viele ist der Frauen*streik der erste und primäre Ort der Organisierung. Wir finden uns also in einer Struktur wieder, für die wir als große organisierte Gruppe mit mehreren Ebenen der politischen Debatte und Bestimmung teilweise zu langsam sind. Wie können wir auf solche Prozesse reagieren und welche Rolle können organisierte Gruppen dabei einnehmen? Wir glauben, dass die Erfahrung von bereits organisierten Feminist*innen im Prozess des langfristigen Bewegungsaufbaus wichtig und hilfreich sein wird. Der Frauen*streik ist keine auf dieses eine Event angelegte Kampagne, sondern der Versuch, eine dauerhaft starke Bewegung zu sein, die über den 8. März hinaus weiterbesteht und aktiv bleibt.

Der Frauen*streik soll für all die Themen und Kämpfe, die sich in ihm vereinen, einen Aktionsrahmen bilden, ein Praxisangebot schaffen. Die Stärke, so viele Schwerpunkte und Kämpfe unter einen Hut zu bekommen, wird bei der Frage der inhaltlichen Zuspitzung zu einer großen Herausforderung. Denn wenn man sich beispielsweise die Berichte über den Streik 1994 anschaut, dann wird häufig kritisiert, dass es dem Streik genau daran, an einem Kristallisationspunkt, gefehlt hat. Kann die IL an dieser Stelle zu einer Zuspitzung beitragen? Wir glauben, die Forderung nach reproduktiver Gerechtigkeit und damit einhergehend die Abschaffung von §218/219a könnte ein sinnvoller Kristallisationspunkt im diesjährigen Streik sein. Nicht nur, weil die politische Debatte um die Abtreibungsparagraphen in Deutschland seit längerem zu den großen feministischen Auseinandersetzungen gehört, in denen wir real etwas gewinnen können, sondern auch, weil es eine globale Forderung ist, die Kämpfe in Irland, Argentinien, Mexiko, Polen und vielen anderen Ländern vereint. Der Frauen*streik ist eine internationale Bewegung und das soll auch in den Forderungen sichtbar werden.

»Wir müssen den Schmerz in eine rebellische Kraft umwandeln«, sagte Veronica Gago zu uns in einem Interview. Lasst uns den Frauen*streik nutzen, um genau das zu tun.

Autor*innen: Frauen*streik-AG der Interventionistischen Linken Berlin

Bild: Tuch aus Buenos Aires, 08. März 2018, »Ahora mas que nunca juntas somos« (privat)