Nochmal Anlauf nehmen


Wieso wir eine neue Friedens- und Antikriegsbewegung brauchen und wie wir uns das ungefähr vorstellen

Aufrüstung, Krieg, Militarisierung und Abschottung – am Anfang des 21. Jahrhundert zeigt sich auch in den globalen Zentren von neuem, dass der Katastrophenkapitalismus auf Gewalt beruht. Höchste Zeit also für eine neue Friedens- und Antikriegsbewegung, meinen die Genoss*innen von der Berliner Krisen-AG – und stellen vor, was es aus ihrer Sicht dafür bräuchte.

Die USA ziehen sich aus einer bedeutenden Abrüstungs- und Rüstungskontrollvereinbarung zurück, dem INF-Vertrag. Viele Kommentatoren befürchten ein neues Wettrüsten. Aber wir stehen nicht vor einem neuen Rüstungswettlauf. Wir sind schon mitten drin.

Die Welt rüstet auf

Im Jahr 2017 wurde laut dem Friedensforschungsinstitut SIPRI weltweit so viel für Rüstung ausgegeben wie seit dem Ende des Kalten Kriegs nicht mehr. Staaten wie China, Indien und Saudi-Arabien rüsten massiv auf. Aber auch viele NATO-Staaten versuchen, ihre Ausgaben für Rüstung und Militär auf das 2014 auf dem NATO-Gipfel beschlossene Ziel von 2% des Bruttoinlandsproduktes zu schrauben. Selbst das für Deutschland »realistischere Ziel« von 1,5% würde eine Erhöhung des Rüstungsetats von ca. 37 Milliarden im Jahr 2017 auf 50 Milliarden Euro pro Jahr bedeuten. Für 2019 sind bereits 43,2 Milliarden eingeplant. Auch von Seiten der »Friedensmacht Europa« werden die Rufe nach Aufrüstung und einer »richtigen« EU-Armee lauter. Macron hat es vor kurzem wieder gefordert, Merkel hat ihm beigepflichtet. Militärische Handlungsfähigkeit, Unabhängig von den USA und damit letztlich auch von der NATO wird das neue Integrationsprojekt der EU.

Noch ein Regime-Change

Während unter dem Radar der Öffentlichkeit die Kriege in Syrien, im Jemen und in der Türkei andauern, zündelt die Trump-Regierung schon am nächsten Pulverfass. Die Aufkündigung des Iran-Atomabkommens, die gegenwärtigen Sanktionen und der seit Anfang November von den USA verhängte Erdöl-Boykott sollen das Regime in Teheran in die Knie zwingen. Saudi-Arabien ist dafür ein unverzichtbarer Partner, militärisch, aber natürlich auch wegen der saudischen Ölproduktion, die dann bald auszuweiten wäre. Dass ein von den USA erzwungener Regime-Change im Iran ebenso unkalkulierbare Folgen haben wird, wie diejenigen im Irak oder in Libyen, scheint das Vorhaben nicht besonders zu beeinflussen, ebenso wenig wie die Tatsache, dass die EU wie auch Russland kein Interesse an einem Regime-Change haben. Dass die USA in dieser Frage keine Rücksicht auf die Interessen der EU nehmen, stützt wiederum die Argumentation derer, die die EU auch zur militärischen Weltmacht entwickeln wollen.

Vor der eigenen Haustür

Aber wir müssen nicht nur in den Nahen und Mittleren Osten oder nach Nordafrika schauen, um zu sehen, weshalb wir wieder kontinuierlicher und aktiver darauf hinwirken müssen, eine Friedensbewegung aufzubauen. Als sich die Mahnwachen für den Frieden anlässlich des Ukraine-Konflikts im Frühjahr 2014 bildeten, stellte sich sehr schnell heraus, dass die radikale Linke weder handlungsfähig war, um eine Alternative anzubieten, noch ernsthaft den Versuch machte, die Hegemonie in der Mahnwachenbewegung zu erlangen. Sie hat das Feld den Rechten überlassen. Die Mahnwachen waren letztlich ein wichtiger Zwischenschritt beim Aufbau von Pegida.

Katastrophenkapitalismus

Krieg, Militarisierung und Abschottung sind am Anfang des 21. Jahrhundert wichtige Mechanismen der Reproduktion des katastrophenkapitalistischen Systems. Die militärische Eskalation von Konflikten im Kampf um globale Einflusszonen und die gleichzeitige Abschottung der Wohlstandsregionen bedingen sich in diesem System wechselseitig. Ob Flüchtende von Europa fern gehalten oder Rohstoffausbeutung in Afrika gesichert werden soll, die Kriege zur Aufrechterhaltung der globalen Unordnung in vermeintlichen fernen Ländern schaffen die Bedingung für das Aufrechterhalten der imperialen Lebensweise hierzulande. Das Ende des Multilateralismus ist die logische Weiterentwicklung des Katastrophenkapitalismus, der auf sein Zentrum zurückstrahlt. Krieg und Frieden muss von der radikalen Linken wieder als das zentrale Thema behandelt werden, das es ist. Aber wo und wie sollen wir damit anfangen, wo ist der strategische Ansatzpunkt?

Gegen Waffenexporte, Aufrüstung und Abschottung

Eine Umfrage aus dem Mai 2018 zeigt, dass es in Deutschland eine Mehrheit von 64% gibt, die generell gegen den Verkauf von Waffen und anderen Rüstungsgütern an andere Staaten ist. 80% lehnen Exporte in Kriegs- und Krisengebiete ab. Für viele Menschen liegt es auf der Hand, dass Menschenrechte Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen haben müssen. Es liegt also nahe, sich mit diesem Thema näher auseinanderzusetzen. Gleichzeitig ist im vergangenen Jahr aber auch deutlich geworden, dass es trotz dieser eindeutigen Ablehnung schwierig ist, große Mobilisierungen entlang dieser Frage zu organisieren. Es gab 2018 zwei Mobilisierungen gegen den Waffenproduzenten Rheinmetall, an denen wir teilgenommen haben: Die Mobilisierung gegen dessen Aktionärsversammlung in Berlin und das Camp gegen den Rheinmetall-Produktionsstandort in Unterlüss bei Celle. Obwohl beide Aktionen sinnvoll waren und eigentlich an einer gesellschaftlichen Stimmung anknüpften, blieben sie relativ klein. Der Diskurs um Waffenproduktion und deren Export ist unserer Ansicht nach trotzdem richtig. Denn an diesem Punkt lassen sich mehrere progressive Argumentationen zusammenführen.

Erstens exportieren die Produzenten nicht nur Waffen und Munition in die Türkei oder nach Saudi-Arabien (auch bei einem deutschen Exportstopp exportiert Rheinmetall weiterhin von den Produktionsstandorten in Südafrika oder Sardinien Munition nach Saudi-Arabien), sondern rüsten auch hierzulande auf, profitieren auch von der Aufrüstung Deutschlands.

Zweitens werden weitere Milliarden des Bundeshaushalts in Rüstung gesteckt anstatt in Bildung, in Wohnungen, Kindergeld oder die Gesundheitsversorgung.

Drittens muss das Thema der Militarisierung der EU auf die Agenda gesetzt werden, da es das herrschende Narrativ von der Friedensmacht EU durchkreuzt.

Und viertens denken wir, dass auch das Thema der Abschottung der EU genau in diesem Kontext platziert werden muss. Denn Krieg ist eine Fluchtursache (auch wenn es natürlich nicht die einzige ist) und es sind die gleichen Akteure, die gleiche »Branche«, die davon profitiert, wenn es darum geht, Grenzen abzuschotten. Denn was braucht man für die »Grenzsicherungen« eigentlich so? Unter anderem Schusswaffen, Radpanzer, ggf. Patrouillenboote, Drohnen, Überwachungssoftware, Nachtsichtgeräte.

Eskalation und Zuspitzung

Es lassen sich also einige Themen zusammenführen, aber das ändert ja nichts daran, dass die genannten Mobilisierungen hinter den (unseren?) Erwartungen zurückgeblieben sind. Wir befinden uns somit in einer Situation, in der auf einer diskursiven Ebene das Thema Krieg und Frieden zu unseren Gunsten steht, in der auch eigentlich schon viel passiert zu dem Thema, aber sich trotzdem diese Ablehnung scheinbar nicht praktisch in Politik umsetzen lässt. Eine Art, darin einen Schritt weiter zu kommen, kann darin liegen, einen Punkt der Eskalation und Zuspitzung zu finden, der mehr sein muss als z.B. eine Demonstration gegen Rheinmetall oder einen Appell für Abrüstung zu unterschreiben. Uns schwebt eine Kampagne vor, in der wir auch ungehorsame Massenaktionen einbauen wie das bei Blockupy, Ende Gelände oder Castor Schottern der Fall war bzw. ist.

Malen wir uns kurz aus, wie es wäre, wenn #RüstungsexporteSchottern über hunderte Kilometer quer durch Deutschland stattfinden würde: No-War-Camps wohin man schaut, massenhafter Ungehorsam, Menschen und Materialblockaden von Bundesstraßen und Schienen und irgendwo würde es uns vielleicht gelingen, den Transport von Rüstungsgütern zum Halten zu bringen. Menschen würden dann auf die LKWs oder Züge klettern und sie mit einer Friedensfahne besetzen. Uns motiviert so ein Szenario, auch wenn es uns zur Zeit noch unklar ist, ob es sich tatsächlich herstellen lässt oder auch wenn es dann wenn es soweit ist, doch ganz anders aussehen mag.

Bündnispolitik

Wir haben aus der gegenwärtigen Situation, in die sich die althergebrachten Akteure dessen, was früher mal Friedensbewegung genannte werden konnte, gebracht haben, die Schlussfolgerung gezogen, dass eine Erneuerung nicht von ihnen ausgehen wird. Wir müssen neue Konstellationen suchen, um eine neue Dynamik in Gang zu setzen. Bereits jetzt leben viele von Krieg betroffene Menschen in Deutschland und haben ein unmittelbares Interesse, sich der Militarisierung und der Kriegspolitik Deutschlands entgegenzusetzen. Unsere kurdischen Freund*innen kämpfen bereits seit Jahren unter anderem gegen die Kooperation zwischen der Türkei und der BRD und auch viele Geflüchtete thematisieren Krieg als Fluchtursache. Sie sind unsere ersten Ansprechpartner*innen.

Internationalismus

Unser Erfolg wird auch davon abhängen, ob es uns gelingt, in dieser Frage eine internationalistische Dimension und Kooperation zu finden. Will Internationalismus tatsächlich etwas anderes heißen als Solidarität mit »den Anderen«, muss das Gemeinsame herausgearbeitet werden, das sich tief hinter verschiedene Blickweisen, politischen Kulturen und national-politischen Konstellationen verbergen kann, und miteinander in Kooperation gebracht werden. Neben konkreten Ansatzpunkten wie etwa dem, dass der Rüstungskonzern Rheinmetall z.B. in Südafrika und auf Sardinien Produktionsstandorte hat, oder dass die Militarisierung der EU einen gemeinsamen Rahmen schaffen kann, denken wir, dass das Thema Krieg und Frieden in einer sehr grundsätzlichen Art und Weise viele Menschen auf der Welt im wahrsten Sinn des Wortes »umtreibt«.

Es ist letztlich die Frage nach Leben oder Nicht-Leben, die wir internationalistisch beantworten wollen und müssen. Wir wollen und können keine deutsche Friedensbewegung sein. Dann haben wir schon verloren.


Die Krisen-AG ist eine von über einem Duzend dauerhafter Arbeitsgruppen der Interventionistischen Linken Berlin. Sie hat sich rund um die europäischen Krisenproteste 2011ff gegründet und viele Jahre den Blockupy-Prozess mitgestaltet.

Bild: War and peace (Honorable Mention), an der Charleston Air Force Base, North Charleston (USA)